Des römischen Kaisers christliche Kleider

Zwei neue Bücher des französischen Historikers Paul Veyne zur griechisch-römischen Religion und zur Christianisierung der Welt. Von Andreas Puff-Trojan

Online seit: 10. September 2019

Gleich zwei Bücher des bekannten französischen Althistorikers Paul Veyne sind nun auf Deutsch erschienen. Und beide Publikationen stehen inhaltlich miteinander in Beziehung. In Die griechisch-römische Religion (Reclam) beschreibt Veyne „Kult, Frömmigkeit und Moral“ in der polytheistischen Welt der Antike. Lehrreich, aber niemals belehrend sind die Worte des Autors und doch wird man einige Bedenken nicht los. Die Götter mögen am Olymp ihre feste Rangordnung haben – unter den Menschen ist das anders. Wer welchen Gott verehrt, ihm Opfer darbringt oder ihn um Hilfe bittet, ist eine individuelle Sache. Nur, dass Verehrung stattfindet, geopfert und Unterstützung erbeten wird, ist eine Leistung des Kollektivs. Veyne präsentiert die religiöse Welt der Griechen und Römer als offenes System. Die aufkommende christliche Religion ist hingegen eine, die die Verehrung des einen Gottes von allen einfordert. Daher ist sie für Veyne dogmatisch und in sich geschlossen. Diese Darstellung vergisst aber eines: Ein „Barbar“, der das römische Bürgerrecht erwarb, musste auch den Göttern des Olymp huldigen – wenn nicht, war er einfach kein römischer Bürger. Zwar herrschte im römischen Reich großzügig gehandhabte Religionsfreiheit. Wer aber, wie die Christen, das religiöse Lehrgebäude und die damit verbundenen Riten und Kulte komplett ablehnte, musste mit Verfolgung rechnen.

„Der Erfolg des Christentums könnte – jedenfalls von einem Ungläubigen, wie ich einer bin – mit einem Bestseller oder weltberühmten Meisterwerk verglichen werden.“ Dieses „Bekenntnis“ Paul Veynes stammt aus seinem zweiten Buch, das ebenfalls jetzt auf Deutsch erschienen ist. Als unsere Welt christlich wurde (C. H. Beck) behandelt den Aufstieg des Christentums zur römischen Staatsreligion. Mit Worten wie „Bestseller“ oder „Meisterwerk“ mag der Autor an das Bild von der Bibel als „Buch der Bücher“ anspielen, doch die historischen Probleme liegen anderswo. Es ist der plötzliche Paradigmenwechsel, durch den die christliche Gemeinde – Paul Veyne bezeichnet sie nicht zu unrecht als „Sekte“ – höchste Wertschätzung erhält: Im Jahr 312 bekannte sich der römische Kaiser Konstantin öffentlich zum Christentum. – „Der römische Thron wurde christlich, die Kirche wurde eine Macht. Ohne Konstantin wäre das Christentum eine avantgardistische Sekte geblieben.“ Das ist eine verblüffende Aussage, zumindest wenn man wie Veyne Historiker ist. Denn das, was er konstatiert, ist reine Spekulation. Niemand kann sagen, wie sich das Christentum ohne Kaiser Konstantins Glaubensbekenntnis weiter entwickelt hätte. Die christlichen Gemeinden nahmen schon vor Konstantin an Bedeutung zu, Christenverfolgungen und Versuche, sie unter Strafandrohung ins römische Gefüge einzugliedern, scheiterten. Den Römern waren die Christen genau deswegen suspekt: Sie bildeten eine äußerst hartnäckige Sekte.

Gerade das Liebesgebot und die Annahme einer unsterblichen Seele übten eine starke Anziehung auf die gebildeten Schichten in Griechenland und Rom aus.

„Es ist ein völlig urbanes Milieu, in dem das Christentum vom Vater an den Sohn weitergegeben wird, wie uns Klemens von Alexandrien voller Sympathie in seinen Texten berichtet“. Dies ist eine der Passagen, durch die Paul Veynes Buch wirklich interessant wird. Kaiser Konstantin wurde Christ aus Überzeugung. Politische Vorteile brachte ihm sein Glaubensbekenntnis keineswegs. Denn zu seiner Zeit waren erst etwa zehn Prozent der Menschen im römischen Reich Christen. Wer aber waren sie? Paul Veyne räumt nun mit dem Mythos auf, es seien in der Mehrzahl ungebildete, also „einfache Menschen“ gewesen. Das Gegenteil ist der Fall. Schon im ersten Buch, Die griechisch-römische Religion, deutet Veyne zaghaft an, dass nicht wenige römische Bürger die stetig wachsende Zahl an Göttern irritierte und für viele Götterkult und Riten zu bloßen Ritualen herabgesunken waren, die bestenfalls den Gemeinschaftssinn stärkten, aber nicht religiöse Bedürfnisse befriedigten. Die Christen predigten den einen Gott, der alle Menschen liebt – und deswegen müssten alle Menschen in Liebe zueinander verbunden sein. Auch wenn dann die Kirche durch die Jahrhunderte dieses Liebesgebot oftmals mit Füßen getreten hat, damals hatte diese Botschaft eine große Strahlkraft. – Ebenso die Verheißung Jesu auf das „ewige Leben“. Gerade das Liebesgebot und die Annahme einer unsterblichen Seele übten eine starke Anziehung auf die gebildeten Schichten in Griechenland und Rom aus. Als Kaiser Konstantin den christlichen Glauben annahm, hatte er zwar nicht die Mehrheit seiner Landsleute hinter sich, aber er konnte auf eine größere Zahl von Menschen aus der Oberschicht bauen, die ihn verstanden und es ihm gleich taten. Kaum verwunderlich, dass unter Konstantin mehr und mehr Christen Schlüsselpositionen im Staatswesen übernahmen. Die Revolte der „avantgardistischen Sekte“, wie Paul Veyne die Christen nennt, kam also von oben. Erst gut hundert Jahre nach Konstantins Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 312 wurde das Christentum Staats- und damit auch „Volksreligion“.

Der ungläubige Historiker

„Konstantin hat sich bekehrt, weil er an Gott und die Erlösung glaubte, das war sein Ausgangspunkt, und dieser Glaube implizierte für ihn, dass die Vorsehung die Menschheit für den Weg des Heils bestimmt habe und Gott folglich seinem selbst gewählten Vorkämpfer oder ‚Diener‘ (wie Konstantin demütig schreibt) den Sieg gewähren werde.“ – Paul Veyne, der Historiker und „Ungläubige“, wie er sich selbst nennt, lässt diese Aussage so stehen, wie sie ist. Auch der Traum Konstantins, in dem ihm der Gott der Christen persönlich erschienen sein soll, wird von Veyne weder tiefenpsychologisch noch als strategischer Schachzug gedeutet. Es gibt Dinge, die man als Historiker am besten auf sich beruhen lässt. Das sagt zwar Paul Veyne nicht, aber er tut es. Und so kann er – ohne sich in metaphysischen Scharmützeln zu verlieren – den Weg der christlichen Gemeinde zur römischen Staatsreligion beschreiben. Das ist lesenswert und auch lehrreich. Doch das große Verdienst Paul Veynes und seines Buches liegt im Folgenden: Der enorme Erfolg des Christentums verdankt sich nicht dem Volk, das massenhaft übertrat, sondern einer gebildeten Schicht römischer, aber auch griechischer Bürger, die mit ihren Göttern, Kulten und Riten nicht mehr zurecht kamen. Kaiser Konstantin war ihr oberster „Hirt“. Damit ist Paul Veynes Buch Als unsere Welt christlich wurde nicht bloß lesenswert, sondern es bietet genügend Diskussionsstoff für weitere Debatten.

Andreas Puff-Trojan, geboren 1960 in Wien, ist Privatdozent für Literaturwissenschaft und lebt als Literaturkritiker in München. Zuletzt erschien Schatten-Schriften. Deutschsprachige und französische Avantgarde-Literatur nach 1945 (Sonderzahl, 2008).

Quelle: Recherche 2/2008

Online seit: 10. September 2019

Paul Veyne: Die griechisch-römische Religion. Kult, Frömmigkeit und Moral. Reclam, Stuttgart 2008. 198 S., € 19,90 (D) / € 20,50 (A).

Paul Veyne: Als unsere Welt christlich wurde. Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht. C.H. Beck, München 2008. 223 S., € 19,90 (D) / € 20,50 (A).