There is a growing mountain of research.“ – Mit dieser Einschätzung beginnt der amerikanische Ingenieur Vannevar Bush seinen Aufsatz As We May Think, der im Juni 1945 in der Ausgabe 176 des Magazins Atlantic Monthly erschien.
Ausgehend vom dem Problem eines zunehmend rascher wachsenden und kaum mehr überschaubaren Bestandes an wissenschaftlicher Literatur kam Bush zu dem Schluss, dass die damaligen Möglichkeiten zur Übertragung, Speicherung und Ordnung von Information unzureichend seien. Um dieser Herausforderung zu begegnen, präsentierte er den Memory Extender (Memex): ein fiktives System zur Erweiterung des persönlichen Gedächtnisses seiner Benutzer, das die Bibliothek und die Kartei eines Wissenschaftlers ersetzen sollte.
Obwohl der Artikel nach seiner Veröffentlichung einige publizistische Aufmerksamkeit erregte, gab es in der Folgezeit keine Versuche zur tatsächlichen Konstruktion eines Memex. Dennoch wurden – vor allem seit Beginn der 1960er Jahre – von Bush formulierte Ideen und Konzepte über die Organisation von Information sowie den Gebrauch des Memex wieder aufgegriffen. Sie beeinflussten die Entwicklung von Hard- und Software in den folgenden Jahren und Jahrzehnten nicht unerheblich.
Vannevar Bush, der am Tufts College in Medford, Massachusetts, Ingenieurwesen studiert hatte, wurde im Januar 1916 von der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) der Doktorgrad verliehen. Am MIT war Bush ab 1919 als Forscher, ab 1923 als Professor für Elektrotechnik beschäftigt. Seit Anfang der 1920er Jahre befasste er sich mit der Entwicklung effizienter Rechentechnik, vor allem Apparaturen zur Lösung komplexer Differenzialgleichungen, darunter der so genannte Differential Analyzer, der noch während des Zweiten Weltkriegs die leistungsfähigste Rechenmaschine war.
1939 wurde Bush vom amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt mit der Leitung des National Defense Research Committee (NDRC) betraut und 1941 zum Direktor des neu ins Leben gerufenen Office of Scientific Research and Development (O.S.R.D.) berufen. Das O.S.R.D. koordinierte während des Zweiten Weltkriegs die Forschungsprogramme des amerikanischen Militärs, zu denen auch das Manhattan Project zählte. In den Jahren beim O.S.R.D. erregte Bush mit seinem Aufsatz Science – The Endless Frontier (1945) erhebliche Aufmerksamkeit, in dem er wichtige Leitlinien für die politische und administrative Struktur der amerikanischen Forschung in der Nachkriegszeit skizzierte. Im selben Jahr veröffentlichte Bush As We May Think – und auch dieser Aufsatz ist vor dem Hintergrund sowohl seiner Tätigkeit als Entwickler von Rechenmaschinen als auch seiner Aktivitäten im Bereich der Wissenschaftspolitik zu verstehen.
Vom Ingenieur zum Visionär
In den 1930er Jahren hatte sich der Typus des selbstständigen Erfinders, für den prototypisch Thomas A. Edison stand, weitgehend überlebt. Entwurf und Konstruktion – die beiden wesentlichen Arbeitsschritte bei der Entstehung eines technischen Artefakts – lagen nicht mehr in einer Hand: Der schriftlich niedergelegte Entwurf, insbesondere die Konstruktionszeichnung, wurde zum Mittler zwischen Idee und Ausführung. Ein Ingenieur musste nun vor allem die Fähigkeit besitzen, sich die Funktionsweise eines technischen Artefakts vorstellen und diese Idee in einen Konstruktionsplan umsetzen zu können. Für Vannevar Bush besaß dieser Prozess, der ja per se noch nichts mit der Realisierung einer technischen Apparatur zu tun hat, eine große Nähe zu künstlerischen Aktivitäten.
Bush zählte mit seinen hohen Ansprüchen an den Ingenieurberuf, mit seiner konservativen Grundhaltung und seiner Rolle als Mitglied der US-Administration zu den prominentesten Vertretern der Technokratie. Deren Leitbild war die Ausrichtung aller politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen an wissenschaftlich-technischen Argumenten und Sachzwängen, um damit dem Wohl der gesamten Bevölkerung zu dienen. Seine besondere Qualifikation machte den Ingenieur nach Ansicht der Technokraten zum Mitglied einer Gruppe von Experten, die zur Mitgestaltung sozialer Prozesse verpflichtet war. Aus dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung leitete Bush nicht nur einen gleichsam naturgegebenen Vorrang der Technik über Wirtschaft und Politik ab, sondern verlangte von der technokratischen Elite auch, die Wirkungen der von ihr geschaffenen Technik einschätzen und gegenüber der Öffentlichkeit verantworten zu können. Zudem lehnte Bush – außer in Fragen von nationalem Interesse wie der Verteidigung – jedwede Zentralisierung von Forschung strikt ab. Stattdessen sollte eine von der Basis ausgehende, dezentrale Koordinierung erfolgen, die Bush während seiner Zeit am MIT als besonders effektiv zu schätzen gelernt hatte. Die Frage, wie man einer derart organisierten Wissenschaft geeignete Hilfsmittel zur Verfügung stellen könnte, hatte Bush schon früher beschäftigt. Ein Ergebnis seiner Überlegungen war die Konzeption des Memex.
Die Memex-Vorläufer
Zu Beginn der 1930er Jahre begann Bush als Vizepräsident des MIT seine Karriere als Wissenschaftsfunktionär, zudem hatte er sich bereits als einer der führenden Köpfe im Bereich der Analogrechnerentwicklung profiliert. In jener Zeit finden sich auch die Ursprünge des Memex-Konzepts: 1933 formulierte Bush in seinem Essay The Inscrutable ’Thirties erstmals die Problematik, dass die Menge des zugänglichen Wissens viel zu schnell zunahm, als dass ein aufmerksamer Leser der Fachliteratur sie einigermaßen vollständig erfassen konnte. In den folgenden Jahren versuchte Bush, dieses Problem aus der Perspektive des Ingenieurs anzugehen und den Zugriff auf – vor allem das in Bibliotheken verfügbare – Wissen unter Einsatz geeigneter technischer Hilfsmittel effektiver zu machen. Hierzu griff er auf eine im angloamerikanischen Raum verbreitete Form der Auseinandersetzung mit den zukünftigen Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik zurück: die technische Utopie, die eine bessere Zukunft prognostiziert und aktuelle Entwicklungen in die Zukunft extrapoliert, um der technischen Entwicklung kreative Impulse zu geben (hierzu ausführlich: Schröter 2004).
Durch diesen Informationsfluss sollte nach Bushs Vorstellungen eine Art Netzwerk entstehen, ein Konzept, das zugleich ein Ausdruck der amerikanischen Vorliebe für dezentrale Lösungen ist.
Bushs Essay The Inscrutable ’Thirties ist ein satirisch anmutender Rückblick auf die Probleme und Fehlentwicklungen der 1930er Jahre aus einer nicht näher bestimmten Zukunft. Im Mittelpunkt stehen die sozioökonomischen und ökologischen Probleme, die durch die industrielle Massenproduktion und den zunehmenden Individualverkehr hervorgerufen wurden. Diese könnten nach Bush nur mit den Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik überwunden werden. Daneben beschrieb Bush einen repräsentativen Tagesablauf eines Wissenschaftlers an einer Universität der Ostküste, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf dessen Recherchen in der Bibliothek legte. Anschaulich vermittelte er die Frustration, die mit der Suche nach bestimmten Informationen beinahe unweigerlich verbunden ist.
Bush rechtfertigte die Veröffentlichung seiner Essays als Fortsetzung der Wissenschaft mit anderen Mitteln. Das eigentliche Problem, so Bush in einer durchaus elitären Haltung, liege darin begründet, dass die breite Öffentlichkeit nicht genug vom Stand der Technik verstehe und daher das Mögliche nicht vom Unmöglichen zu unterscheiden wisse. Daher sei es geboten, ihr – ausgehend vom aktuellen Forschungsstand – potenzielle künftige Entwicklungen nahezubringen. Es ist vor diesem Hintergrund wenig verwunderlich, dass die in The Inscrutable ’Thirties beschriebene fiktive Maschine große Ähnlichkeit mit zwei Apparaturen aufweist, die unter der Leitung Bushs zwischen 1935 und 1942 am MIT entstanden: dem Navy Comparator und dem Rapid Selector.
Gegen Mitte der 1930er Jahre – nach der Fertigstellung des Differential Analyzer – ist eine gewisse Neuorientierung von Bushs Forschung zu verzeichnen. In diese Zeit fällt der Beginn der Entwicklungsarbeiten am so genannten Navy Comparator, dessen Aufgabe es sein sollte, Übereinstimmungen von zwei kodierten Nachrichten zu ermitteln und damit deren Dechiffrierung zu vereinfachen. Die Botschaften sollten in Form von Lochstreifen vorliegen und mit Hilfe von Fotozellen verglichen werden. Obwohl die U.S. Navy das Projekt unterstützte, verzögerte sich die Entwicklung aus technischen und personellen Gründen. Nachdem Bush das noch mit Mängeln behaftete Gerät im Frühjahr 1938 dennoch an die Navy übergeben hatte, wurde es bereits nach kurzer Zeit wieder außer Betrieb genommen.
Dennoch verfolgte Bush seine anspruchsvollen Pläne zur Verbindung von Mikrofilmspeicher, optischer Elektronik und Rechentechnik weiter. Das Ergebnis dieser Bemühungen war ein neuer Entwurf, der unter dem Namen Rapid Selector bekannt wurde. Dieser war als Hilfsmittel zur Verwaltung von großen Datenbeständen und zur Unterstützung wissenschaftlicher Arbeit konzipiert. Bushs Entwurf sah vor, dass die zu speichernden Dokumente stark verkleinert und auf einer Hälfte eines Mikrofilmstreifens gespeichert werden sollten. Die verbleibende andere Hälfte sollte zur Speicherung der Associations verwendet werden – Codebuchstaben, mit deren Hilfe das Dokument wie durch Schlagworte beschrieben werden sollte. An einer Leseeinheit sollten lange Rollen Mikrofilm mit Dokumenten und Codes mit hoher Geschwindigkeit vorbeigeführt werden; immer wenn zwei Codes vollständig übereinstimmten, sollte eine Kopiereinrichtung aktiviert werden, welche die gesuchten Dokumente mit Hilfe eines Stroboskopblitzes zur weiteren Nutzung reproduzierte. Letztendlich war der Rapid Selector – im Gegensatz zum Navy Comparator – zwar funktionstüchtig, erreichte aber bei Weitem nicht die angestrebte Verarbeitungsgeschwindigkeit. Letztlich wurde er umfunktioniert und während des Zweiten Weltkriegs im Bereich der Dechiffrierung eingesetzt.
Die Informationsmaschine
Mit Beginn des Krieges wurde auch die Projektgruppe aufgelöst, die mit der Entwicklung des Rapid Selector betraut war, was das Aus für den zweiten Anlauf zur Realisierung von Bushs „Informationsmaschine“ bedeutete. Doch noch während der Arbeiten am Rapid Selector unternahm Bush 1939 mit dem Aufsatz Mechanization and the Record einen dritten Versuch, der nach dem Zweiten Weltkrieg ein breiteres Publikum erreichen sollte. Die zunächst ins Auge gefasste Veröffentlichung von Mechanization and the Record im Fortune Magazine scheiterte vor allem daran, dass sich Bush weigerte, den anspruchsvollen Aufsatz zu kürzen und für ein breiteres Publikum zu überarbeiten. Gleichwohl zögerte er, den Text in einer kleineren Zeitschrift zu publizieren, weil er einen möglichst großen Teil der interessierten Bevölkerung zu erreichen suchte. Im Jahr 1945 wurde der Aufsatz unter dem Titel As We May Think schließlich doch veröffentlicht, zunächst im Juli im Atlantic Monthly, einer kleineren, aber recht anspruchsvollen Zeitschrift (Bush 1945a). Im September desselben Jahres publizierte außerdem das Magazin Life eine illustrierte und gekürzte Version des Aufsatzes, die zusätzlich mit einigen Kommentaren des Herausgebers versehen ist (Bush 1945b). So war es Bush schließlich doch gelungen, Anspruch und Öffentlichkeitswirksamkeit miteinander zu vereinen.
Die von Bush in As We May Think vorgestellte „Suchmaschine“ wurde nie gebaut. Da es auch in der Folgezeit keine ernsthaften Anstrengungen zu ihrer Konstruktion gab, blieb sie eine Fiktion, wenngleich diese aus heutiger Sicht geradezu visionär erscheinen muss. Selbst die von Bush beschriebenen Komponenten waren 1945 nicht verfügbar; es handelte sich um gedankliche Weiterentwicklungen von Forschungsergebnissen und existierenden Technologien. Bush wurde der eklektische Charakter seines Aufsatzes stellenweise vorgeworfen, nicht zuletzt von Michael Buckland, der insbesondere auf den Entwicklungsstand im Bereich der Mikrofilmtechnik während der 1930er Jahre verwiesen hat (Buckland 1992). Andererseits machte Bush kein Geheimnis daraus, dass er Ideen anderer aufgriff. Seine Originalität besteht vielmehr in der Entwicklung neuer Ansätze aus der Kombination vorhandener Verfahren und Mechanismen.
Bushs Konzept zur Bewältigung der Informationsflut betrifft zunächst nur den Schreibtisch des einzelnen: Der Memex war als Gerät für die individuelle Nutzung konzipiert, das die Bibliothek und die Kartei eines Wissenschaftlers ersetzen und die seine Arbeit schneller, leichter und effizienter machen sollte. Damit erklärt sich auch der Name Memory Extender. Auf einer der Illustrationen, die Alfred D. Crimi zusammen mit Bush für die Life-Variante des Aufsatzes erstellt hat, ist sein Aufbau dargestellt: Auf einem Schreibtisch sind zwei Bildschirme montiert, auf denen die gewünschten Informationen dargestellt werden. Auf der rechten Seite befindet sich eine Schalttafel zur Bedienung, auf der linken Seite eine Vorrichtung zum Einlesen von Papierdokumenten. Außer diesen Vorrichtungen zur Ein- und Ausgabe bleibt der Memex für seine Benutzer eine „black box“, die Technik ist im Inneren verborgen. Das Konzept des Memex unterscheidet sich damit fundamental von den Rechenmaschinen der Nachkriegszeit, bei denen die Mensch-Maschine-Schnittstelle noch kein Thema war (vgl. hierzu Friedewald 1999).
Zur Speicherung von Dokumenten sollte nach Bushs Vorstellungen Mikrofilmtechnik zum Einsatz kommen – diese hatte er bereits für den Rapid Selector verwendet und sie galt 1945 immer noch als zukunftsträchtiges Speichermedium. Bush nahm an, dass sich die Auflösung der Filme in absehbarer Zeit deutlich – mindestens um einen Faktor von 100 – verbessern ließe, womit die Speicherung großer Informationsmengen vergleichsweise unproblematisch wäre: „The Encyclopaedia Britannica could be reducted to the volume of a matchbox. A library of a million volumes could be compressed into one end of a desk.“ (Bush 1945b, S. 118) Anlass zu einer solch positiven Einschätzung der Mikrofilmtechnik gaben Entwicklungen der 1920er und 1930er Jahre. Bereits 1925 war es möglich, den kompletten Text der Bibel auf knapp 20 cm2 Film zu speichern. Solche Fortschritte ließen es machbar erscheinen, jedermann einen einfachen Zugriff auf große Wissensbestände zu ermöglichen. In der entsprechenden Passage von As We May Think wies Bush aber gleichzeitig darauf hin, dass zur Realisierung dieser Vision effiziente Kompression und Speicherung alleine nicht genügten. Die folgenden Abschnitte des Textes befassen sich daher eingehend mit unterschiedlichen Ein- und Ausgabetechniken.
Während der Arbeit – so die Vorstellung Bushs – sollte der Nutzer des Memex mit Hilfe einer Mikrofilmkamera Fotografien aufnehmen können. Diese Kamera sollte auf der Stirn getragen werden, weshalb sie der Herausgeber des Life-Magazins in einem seiner Kommentare zum Text als „the cyclops camera“ bezeichnete. Die Bedienung dieser Kamera sollte sich dabei auf die Auswahl des Bildausschnitts und die Betätigung des Auslösers beschränken. Der Sucher ist dabei in eine Brille integriert, der Auslöser wird am Ärmel von Jacke oder Hemd befestigt. Alle weiteren Funktionen sollten entfallen und automatisch durchgeführt werden. In seinen Vorstellungen war Bush vor allem von Miniaturisierungsbestrebungen im Kamerabau der 1930er Jahre beeinflusst. Zur Entwicklung der aufgenommenen Bilder hoffte Bush auf ein Verfahren der „dry photography“, das es ermöglichen sollte, aufgenommene Fotos sofort betrachten zu können.
Die Mensch-Maschine-Kommunikation
Auch Bush merkte in seinem Text an, dass die Möglichkeit zur Ein- und Ausgabe von Bildinformationen zwar sehr nützlich sein mag, in schriftlicher Form vorliegende Informationen allerdings die bei weitem größte Datenbasis des Memex darstellen. Bei den zur Entstehungszeit des Aufsatzes gebräuchlichen Datenverarbeitungsmaschinen mussten diese erst umständlich, zum Beispiel mit Hilfe eines Lochkartenstanzers, in eine maschinenlesbare Form gebracht werden.
Bush schwebte vor, bereits existierende Ansätze zur Sprachanalyse und -synthese zu kombinieren, um eine Kommunikation in natürlicher Sprache zwischen dem Memex und seinem Nutzer zu realisieren. Hierbei hatte er Verfahren im Sinn, die in den Bell Laboratories während der 1930er Jahre entwickelt worden waren, um die Verständlichkeit von Telefongesprächen zu verbessern. Zum einen handelte es sich um den Voder, ein elektronisches Verfahren zur Erzeugung von Sprache aus einem mittels Tastatur eingegeben Text. Zum anderen weckten erste Verfahren zur Analyse von gesprochener Sprache bei Bush die Hoffnung, dass in absehbarer Zeit die Umsetzung von gesprochener in geschriebene Sprache möglich sein würde. Beide Ansätze sollten in einem Gerät kombiniert werden, das der Herausgeber des Life-Magazins als „supersecretary of the coming age“ bezeichnete. Dieser „Supersekretär“ ist ein Zusatzgerät zum Memex und sollte eine sehr einfache Dateneingabe möglich machen. Aus heutiger Sicht kann man festhalten, dass Bushs Vorstellungen über künftige Möglichkeiten im Bereich der Sprachanalyse und -synthese deutlich zu optimistisch waren.
Ein Ingenieur musste nun vor allem die Fähigkeit besitzen, sich die Funktionsweise eines technischen Artefakts vorstellen und diese Idee in einen Konstruktionsplan umsetzen zu können.
Als Eingabemöglichkeit für gedruckte Text- und Bildvorlagen sah Bush auf der linken Seite der Memex-Apparatur eine transparente Glasfläche vor, auf die papierne Vorlagen gelegt und dann auf Mikrofilm abfotografiert werden konnten. Bush hoffte zukünftig auch auf eine maschinelle Erkennung des fotografierten Textes zurückgreifen zu können und baute wiederum auf Fortschritte bei der Entwicklung von Fotozellen. Die Entwicklungen in diesem Bereich befanden sich allerdings zur Entstehungszeit von As We May Think noch in ihren Anfängen und auch heute sind die Ergebnisse im Bereich der „Optical Character Recognition“ noch längst nicht optimal.
Die Ausgabe der gespeicherten Informationen war aufgrund der zugrunde liegenden analogen Speichertechnologie vergleichsweise unproblematisch. Mit Hilfe geeigneter optischer Vorrichtungen sollten die durch den Benutzer abgerufenen Daten auf die beiden Bildschirme des Memex projiziert werden. Im Gegensatz dazu stellte nach Auffassung Bushs das Auffinden der gewünschten Information ein deutlich größeres Problem dar – denn der Speicher des Memex konnte im Laufe der Zeit enorm anwachsen, was die Suche zu einer ausgesprochen komplexen Angelegenheit machte: „ There may be millions of fine thoughts … but if the scholar can get at only one a week by diligent search, his syntheses are not likely to keep up with the current scene.“ (Bush 1945b, S. 113–114)
Um dieser Problematik zu begegnen, sah Bush eine neuartige Methode der Speicherung vor, für die das menschliche Denken als Vorbild diente. Diese zentrale Überlegung gab auch dem gesamten Aufsatz seinen Titel As We May Think. Die Idee einer assoziativen Datenorganisation, die an das menschliche Gedächtnis angelehnt ist, resultierte aber nicht aus einer Vorliebe Bushs für anthropomorphe Technik, sondern eher aus seiner Unzufriedenheit mit existierenden Verfahren zur Datenselektion über Indizierung. Bereits Bushs Erläuterungen zu einer möglichen Realisierung dieses Speicherungskonzeptes lassen allerdings erahnen, dass er letztendlich doch auf die bewährten Konzepte angewiesen sein würde. Deutlich wird dies in der Passage, in der Bush erläutert, wie ein Benutzer einen Gedankenpfad („trail“) in den Memex eingibt.
Der Benutzer sollte die Möglichkeit haben, sich auf den beiden Bildschirmen des Memex zwei Informationsquellen anzeigen zu lassen, beispielsweise die Seiten einer Enzyklopädie. Die beiden dargestellten Inhalte können inhaltlich voneinander vollkommen unabhängig sein. Die angezeigten Seiten kann der Benutzer nun einem Gedankenpfad zuordnen und außerdem zu ihnen Kommentare eingeben. Ein solcher Pfad kann nach seiner Eingabe aufgrund der Eigenschaften der zugrunde liegenden Mikrofilmtechnik nicht wieder gelöscht werden. Dies mag zunächst problematisch erscheinen – da aber beliebig viele Pfade angelegt werden können, wird hierdurch das Konzept der assoziativen Speicherung nicht wesentlich eingeschränkt.
Der Hyper-Code
Die eigentliche logische Verbindung zwischen den angezeigten Dokumenten sollte aber durch die Eingabe eines bestimmten Codes über die Tastatur auf der rechten Seite des Memex vorgenommen werden: „When the user is building a trail, he names it, inserts the name in his code book and taps it out on the keyboard. Before him are the two items to be joined, projected on adjacent viewing positions. At the bottom of each there are a number of blank code spaces and a pointer is set to indicate one of these on each item. The user taps a single key and the items are permanently joined.“ (Bush 1945b, S. 123) Mit Hilfe des Codes sollte es möglich sein, die Art und die Wichtigkeit der Assoziation zwischen den verbundenen Dokumenten zu beschreiben. Bush hätte also bei der technischen Realisierung der assoziativen Speicherung auf die Verfahren der Indizierung zurückgreifen müssen, die er selbst kritisiert hatte. Andererseits nahm er damit ein wichtiges Verfahren aus der Computer- und Softwaretechnik vorweg, nämlich die Trennung von Funktionalität und technischer Implementierung.
Bush sah die Möglichkeit zur Weitergabe von einmal gespeicherten Pfaden ausdrücklich vor; da diese – im Gegensatz zu menschlichen Erinnerungen – erhalten bleiben, sollte ein Austausch auch nach längerer Zeit noch möglich sein. Durch diesen Informationsfluss sollte nach Bushs Vorstellungen eine Art Netzwerk entstehen, ein Konzept, das zugleich ein Ausdruck der amerikanischen Vorliebe für dezentrale Lösungen ist. So bahnte sich bei Bush bereits eine Vorstellung an, die von Ted Nelson zwanzig Jahre später in seinen Konzepten Hypertext und Hypermedia in den Bereich digitaler Rechner übertragen werden sollte: nämlich die Vision, das gesamte Wissen der Menschheit müsse in einer assoziativ organisierten Weltenzyklopädie gespeichert werden. So spricht Bush am Ende seines Essays von einem „world’s record“, der alles verfügbare Wissen umfassen soll.
Neben der Verwendung des Memex im Bereich der Wissenschaft skizzierte Bush in seinem Essay aber noch weitere, neuartige Einsatzmöglichkeiten: Im Bereich der Justiz könnten Nachschlagewerke mit Gesetzestexten, deren Auslegungen und Präzedenzfällen angelegt werden. Medizinische Lexika könnten Ärzte bei ihren Diagnosen und bei der Auswahl geeigneter Therapien und Medikamente unterstützen – insbesondere dann, wenn es sich um seltene Krankheitsbilder handelt. In Bezug auf den Wissenschaftsbetrieb hoffte Bush auf den Abbau von Barrieren zwischen den einzelnen Spezialdisziplinen und damit auf eine größere Offenheit und Interdisziplinarität. Dazu sollte der einfache Zugriff auf Informationen anderer Fächer durch die assoziative Datenorganisation beitragen. Bei der Lektüre drängt sich allerdings der Eindruck auf, Bush verkenne, dass Interdisziplinarität auch die Bereitschaft voraussetzt, sich auf die Methodik einer fremden Disziplin einzulassen. Man könnte im Gegenteil sogar argumentieren, dass durch die Zugänglichkeit einer riesigen Menge von Fachwissen eher eine weitere Spezialisierung befördert wird.
Was von Memex übrig blieb
As We May Think wird heute unbestritten als Vannevar Bushs wichtigste Veröffentlichung betrachtet – für ihn selbst besaß der Entwurf des Memex jedoch nach 1945 nicht mehr höchste Priorität. Bush war zu dieser Zeit hauptsächlich im Bereich der Wissenschaftspolitik tätig, erst gegen Ende der 1950er Jahre wandte er sich wieder verstärkt der Problematik der Informationsverarbeitung zu. Zu diesem Zeitpunkt kristallisierte sich zunehmend deutlicher heraus, dass künftig der Digitalcomputer die entscheidende Rolle in diesem Bereich spielen würde. Zwischen 1959 und 1970 entstanden drei weitere Texte, die sich mit dem Informationsproblem und der Idee des Memex befassten. Sie stießen allerdings auf eine wesentlich geringere Resonanz als As We May Think.
Grundsätzlich hielt Bush an seinem Konzept der informationsverarbeitenden Maschine für den persönlichen Gebrauch fest, Möglichkeiten einer Realisierung der Apparatur traten jedoch immer mehr in den Hintergrund. Obwohl Bush vermutete, dass die Digitaltechnik hierzu das geeignete Mittel sein könnte, lag ihm die Beschäftigung mit digitalen Rechnern fern. Mit Ausnahme des – in seiner Funktionalität doch recht beschränkten – Rapid Selector gelang es Bush zu Lebzeiten nicht, einen seiner Entwürfe in die Realität umzusetzen. Zwar wurde der Rapid Selector, dessen Technik auch beim Memex zum Einsatz kommen sollte, nach 1945 weiterentwickelt und während der 1950er Jahre im amerikanischen Bibliothekswesen eingesetzt. Ein großer Erfolg war aber auch diesen Maschinen nicht beschieden. Sie wurden nur für kurze Zeit eingesetzt und spätestens in den frühen 1960er Jahren gegen leistungsfähigere Hardware ausgetauscht.
Bush zählte mit seinen hohen Ansprüchen an den Ingenieurberuf, mit seiner konservativen Grundhaltung und seiner Rolle als Mitglied der US-Administration zu den prominentesten Vertretern der Technokratie.
Gewissermaßen eine Weiterführung dieser auf den Einsatz in Bibliotheken konzentrierten Entwicklungstätigkeit stellte zwischen 1965 und 1973 das Projekt Intrex am MIT dar. Es beruhte auf Vorarbeiten von Joseph Licklider und befasste sich mit der Konzeption und Entwicklung einer digitalen Modellbibliothek. Diese sollte allen Mitgliedern der „online intellectual community“ offen zugänglich sein und durch elektronische Publikationen regelmäßig erweitert werden. Bei der Informationsdarstellung diente die assoziative Struktur von Bushs Gedankenpfaden als Vorbild.
Bereits 1965 entstand hier ein frühes Modell des elektronischen Publizierens, das auf einem hypertextähnlichen Konzept basierte.Mittelfristig hatte Bushs Essay aber noch weiter gehende Wirkungen: Die Vision des Memory Extender mit ihren verschiedenen Komponenten und auch die damit verknüpften utopischen Züge dienten immer wieder als Leitbild für verschiedene Entwicklungen im Bereich der Computertechnik. Zwischen 1945 und 1991 wurde der Text von As We May Think mindestens zehn Mal publiziert und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen zitiert. Linda C. Smith hat in ihrer Analyse des Memex als „Image of Potentiality“ (Smith 1991) nachgewiesen, dass sich nahezu alle für die weitere Entwicklung des Hypertextes, der Datennetze und der Personalcomputer relevanten Wissenschaftler an zentralen Stellen auf Bush beziehen. Einer der prominentesten unter ihnen ist Douglas Engelbart, der Bushs Aufsatz las, als er 1945 in Südostasien auf seine Demobilisierung wartete. Er griff fünfzehn Jahre später zentrale Gedanken Bushs auf und entwickelte sie am Stanford Research Institute in Menlo Park weiter.
Überlebt haben vor allem Bushs Ideen von den Möglichkeiten einer informationsverarbeitenden Maschine und seine Einschätzung der Bedeutung eines effizienten Zugriffs auf Information. Im Einzelnen sind vor allem drei Aspekte hervorzuheben: 1) der Versuch, durch assoziative Speicherung Informationen nach dem Muster des menschlichen Denkens zu organisieren und damit den Zugriff zu verbessern; 2) die Idee einer persönlichen „Suchmaschine“, die jedem die Möglichkeit zur Erledigung alltäglicher Aufgaben im Bereich der Informationsorganisation und Recherche am eigenen Schreibtisch bietet; 3) die Transformation der informationsverarbeitenden Maschine in eine „black box“ mit intuitiv zu bedienender Mensch-Maschine-Schnittstelle, die eine effiziente Suche im gespeicherten Datenbestand ermöglicht. Insbesondere ist festzuhalten, dass As We May Think die zentrale Bedeutung der Speicherung, Organisation und Verwaltung von Information stets unterstreicht und damit ein Gegenbild zu der 1945 verbreiteten Vorstellung des Computers als reinem Rechenautomaten formuliert. Durch seine mitreißende Rhetorik erlangte der Aufsatz eine weit reichende stimulierende Wirkung und kam, wie Robert Fairthorne bereits 1958 feststellte, zur rechten Zeit „to open people’s eyes and purses“ (Fairthorne 1958, S. 36).
Literatur
Buckland, Michael K. (1992): Emanuel Goldberg, Electronic Document Retrieval and Vannevar Bush’s Memex. In: Journal of the American Society for Information Science, 43 (4), S. 284–194
Bush, Vannevar (1945a): As We May Think. In: The Atlantic Monthly, 176, S. 101–108
Bush, Vannevar (1945b): As We May Think. A Top U.S. Scientist Foresees a Possible Future World in which Man-Made Machines Will Start to Think. In: Life, 19 (11), S. 112–124
Fairthorne, Robert (1958): Automatic Retrieval of Recorded Information. In: The Computer Journal, 1 (1), S. 36–41
Friedewald, Michael (1999): Der Computer als Werkzeug und Medium. Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers, Berlin
Schröter, Jens (2004): Das Netz und die Virtuelle Realität. Zur Selbstprogrammierung der Gesellschaft durch die universelle Maschine, Bielefeld
Smith, Linda (1991): Memex as an Image of Potentiality Revisited. In: Nyce, James M./Kahn, Paul (Hrsg.): From Memex to Hypertext: Vannevar Bush and the Mind’s Machine, Boston, Massachusetts, S. 261–286
Die Abbildungen auf den Seiten 18 bis 20 stammen aus Vannevar Bushs Artikel im Life Magazine aus dem Jahr 1945.