Wer an Duelle denkt, denkt wohl meist an einsame, nebelverhangene Waldlichtungen im Morgengrauen, an blitzende Degen oder altmodische Pistolen, wohl auch an Herren in Rokokokostümen oder mit Zylinderhut oder in Uniform. Nicht so Kwame Anthony Appiah – er denkt dabei an Revolutionen.
Konkreter gesagt, Appiah bewertet das Ende der iro-britischen Duellkultur als moralische Revolution, ausgelöst durch einen Wandel im Ehrenkodex. Die letzten dokumentarisch belegten Pistolenduelle fanden auf den britischen Inseln (und Irland) um 1860 statt und wurden in der zeitgenössischen Presse bereits nur mehr hämisch kommentiert. Anhand zweier weiterer Kapitel in seinem im englischen Original (The Honour Code. How Moral Revolutions Happen) bereits 2010 erschienenen Essayband stellt der ghanaisch-britische Philosoph und Kulturtheoretiker seine These von der Bedeutung des Begriffes der Ehre vor, um in den beiden übrigen Abschnitten zu einem beinahe flammenden Appell zu kommen, sich dieses Instrumentes zu bedienen, die unmoralische Praxis so genannter „Ehrenmorde“ endlich in unserer Gegenwart zum Verschwinden zu bringen. Dies ist offenbar das eigentliche Ziel, und das zu erreichen, schlägt er den Weg ein, die „Ehre“ überhaupt wieder in den philosophischen Diskurs einzuführen.
Das Ende der Duellpraxis handelt Appiah anhand der bereits kaum verhalten spöttischen Reaktionen in der im Aufblühen begriffenen Tagespresse, inklusive Karikaturen, auf das Treffen im Morgengrauen des britischen Premierministers, des ersten Herzogs von Wellington, mit seinem Kontrahenten, dem heute außer durch diesen Waffengang hinlänglich unbekannten Earl of Winchilsea, im März 1829 ab. Dieser hatte den Herzog in der Presse des unehrlichen Handelns in Bezug auf eine Wahlrechtsreform bezichtigt, Wellington diese Herausforderung genützt, um die gegnerische Position auf dem Umweg über einen Ehrenhandel zu desavouieren. Die Reform (erst 1829 der „Catholic Relief Act“ als Auslöser der Affäre, 1832 dann der „Reform Act“) wurde im Parlament durchgebracht, und als wohl unbeabsichtigter Nebeneffekt das Duell – ohnedies seit Jahrzehnten gesetzlich verboten, aber von Gerichten, besonders militärischen, in ihrer Urteilsfindung in Todesfällen milde, wenn überhaupt, geahndet – auf ein Abstellgleis der Geschichte rangiert.
Die Würde manueller Tätigkeit wurde durch das Fortbestehen der Sklaverei als bedroht empfunden.
Eng beieinander liegen die nächsten Beispiele, beschreibt Appiah doch sowohl den Kampf um das Ende des qualvollen, an Frauen praktizierten Füßebindens im chinesischen Kaiserreich als auch die Durchsetzung des Verbotes des transatlantischen Sklavenhandels jeweils als Appelle an die nationale Ehre der betroffenen Staaten (China einerseits und das Britische Empire andererseits). Bleibt die Argumentation im Falle des Reiches der Mitte ein wenig verschwommen – viele Faktoren, endogene wie exogene, werden genannt, an innerer Gegnerschaft zu dieser nicht nur als Modetorheit zu betrachtenden Praxis hebt Appiah den hohen Beamten und Gelehrten Kang Youwei (1858–1927), an von außen kommendem Widerstand etwa christliche Missionare hervor, ein Zusammenwirken dieser Kräfte wird dabei kaum sichtbar –, wird am Beispiel des Abolitionismus der Zugang über den Ehrbegriff viel deutlicher. Im Widerspruch zu älteren Untersuchungen (genannt wird etwa Eric Williams, 1911–1981, karibischer Historiker und erster Premierminister von Trinidad und Tobago), die davon ausgingen, dass die Abschaffung der Sklaverei vor allem im ökonomischen Interesse des Britischen Weltreiches lag und weniger mit „Menschenfreundlichkeit“ zu tun gehabt habe, sieht Appiah einen deutlichen Rückgriff auf moralische Werte, ja, macht sogar anhand seiner Quellen plausibel, dass ein Beibehalten der Sklaverei in wirtschaftlicher Hinsicht durchaus nicht von Nachteil gewesen wäre. Stattdessen konnte der „Slavery Abolition Act“ 1833 im Parlament in London auch dank einer hohen Zahl von Unterschriften unter entsprechende Petitionen durchgesetzt werden. Nahezu jeder fünfte (männliche) Bürger hatte eine entsprechende Eingabe unterzeichnet. Naheliegend, dass eine solche Menge nur unter Beteiligung der besitzlosen Klassen (die allerdings durch eine Verschärfung des Zensuswahlrechtes nicht sehr lange stimmberechtigt blieben) erreicht werden konnte. Appiah zieht hier Parallelen zur Entstehung der Gewerkschaftsbewegung, die mit einer Aufwertung des Begriffes der Arbeit, also einer Zunahme der Ehre in unserem Zusammenhang, einherging. Dieser Zuwachs an Würde von hauptsächlich manueller Tätigkeit wurde durch das Weiterbestehen der Sklaverei als bedroht empfunden, daher die Bereitschaft auch britischer Arbeiter und Handwerker, denen man einzureden vermochte, dass ihre Situation, wie schlecht sie auch sein möge, immer noch besser sei als Sklaverei, von der sie als Briten ja nun auf gesetzliche Weise tatsächlich nicht betroffen sein konnten, die Abschaffung der Sklaverei zu fordern. Ob dies nicht doch auch eine ökonomische Sichtweise beinhaltet, hier eben der der lohnabhängig Arbeitenden, die sich durch die unentgeltliche Konkurrenz und das dadurch billigere Entstehen von Produkten des Massenkonsums (ein Zuckerboykott wird angeführt) bedrängt fühlten, bleibe dahingestellt. Plakativer, wenn auch nicht mit dem Ziel einen philosophischen Begriff von „Ehre“ zu stützen, dichtet ja auch noch Bertolt Brecht im „Einheitsfrontlied“ von 1934 (Musik: Hanns Eisler): „Und weil der Mensch ein Mensch ist, / drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern! / Er will unter sich keinen Sklaven / sehn und über sich keinen Herrn.“
Dem Kapitel „Kriege gegen Frauen“ mit dem zentralen Anliegen, die Praxis der Ehrenmorde anzuprangern und dereinst – will heißen: bald! – abzuschaffen, stellt Appiah ein Zitat voran, das auch als Ermahnung an die Leser gedacht ist: „Was ist ehrenvoll daran, auf eine wehrlose Frau zu schießen?“ (Asma Jahangir)
Jedenfalls vertritt Appiah seinen Punkt mit Verve anhand zahlreicher Beispiele aus verschiedenen Bereichen, etwa auch aus Film und Literatur, und scheut nicht davor zurück, seine Leser bisweilen direkt anzusprechen und durch Kommentare in Klammern seine ungefilterte Meinung deutlich zu machen. Als philosophische Untersuchung etwas gewöhnungsbedürftig in Stil und Argumentationsweise, legen die Reaktionen darauf in der englischsprachigen Welt dennoch nahe, dass er zumindest dort mit seiner Studie einen Nerv getroffen haben dürfte.