„If there’s something you’d like to try
Ask me – I won’t say ›no‹ – how could I?“
(The Smiths, Ask, 1986)
Stellen Sie sich vor, es ist 1923. Sie sind ein wohlhabender Junggeselle namens Bertie Wooster und gehören zu den besseren Kreisen der Londoner Oberschicht. Ein ansehnliches Vermögen sichert ohne weiteres Zutun oder lästige Interventionen bequem Ihren Lebensunterhalt. Gemeinsam mit Ihrem Diener Jeeves, Ihrem gentleman’s personal gentleman, bewohnen Sie eine geräumige Stadtwohnung in Westminster, und Sie haben die Freiheit, abgesehen von gelegentlichen familiären oder gesellschaftlichen Verpflichtungen, Ihre Tage mit Müßiggang zu verbringen.
Stellen Sie sich vor, es ist 1996 – der Internet-Hype beginnt sich gerade erst zu entwickeln – und Sie stehen in der Verlegenheit, für die treffliche Idee einer Suchmaschine, die Sie bereits als Konzept ausgearbeitet und für die Sie sogar schon Risikokapital aufgetrieben haben, einen Namen zu finden. Die zentrale Idee Ihrer Suchmaschine besteht darin, dass man die Anfrage in natürlicher, das heißt gesprochener Sprache an sie richten kann, ein besonderer Vorzug gegenüber der bis dato üblichen Stichworteingabe, welche unweigerlich die Suchtechnik und damit einhergehend die Metaphorik eines Lexikons evozieren würde. Sie benötigen dagegen so etwas wie die Figur eines virtuellen Gesprächspartners, möglichst allwissend, von dem man annehmen kann, dass er alle Arten von Fragen souverän zu beantworten weiß. Sie erinnern sich einer heiteren Lektüre, in der ein höchst selbstständiger Diener namens Reginald Jeeves seinem Herrn nicht nur hinreichende Auskunft zu allen Lebensfragen zu geben versteht, sondern in seiner dezenten Art zudem über die große Kunst der Antizipation und weisen Vorausschau verfügt. Dieser Kammerdiener soll Ihren Besuchern Rede und Antwort stehen. Sie taufen Ihr Unternehmen und die entsprechende Webseite kurzerhand auf den Namen AskJeeves.
Ihre Wahl scheint gut getroffen. Die Internetnutzer nehmen Ihren Service wahr, die Suchmaschine wird nachgefragt und Sie haben das Glück, eine nahezu beispiellose Erfolgsgeschichte zu verzeichnen, von der hier nur die wichtigsten Eckdaten genannt werden sollen: Innerhalb von nur zwei Jahren verhundertfacht sich der Jahresumsatz, die Firma wird millionenschwer, geht an die Börse und erzielt zu ihren besten Zeiten einen Wert von 190 US$ pro Aktie. Die Besucherzahlen der Webseite nehmen weiter zu. Jeeves hat alle Hände voll zu tun, die Anfragen zu beantworten. 14 Millionen Zugriffe verschiedener Nutzer im Monat lässt sie zu einem virtuellen Ort werden, der unter den meistbesuchten Webseiten auf Platz 17 rangiert. Das Logo findet sich in einem beispiellosen Werbefeldzug sogar auf Äpfeln und Bananen wieder. Mit anderen Worten, die Geschäfte laufen gut.
Der Domestike befindet sich stets auf zwei Ebenen zugleich, insofern er als Angehöriger des gewöhnlichen Volks bei den herrschaftlichen Familien lebt und vom Habitus der „besseren Kreise“ profitiert.
Dann kommt das Jahr 2000 und auf die beispiellose Erfolgsgeschichte folgt ein einzigartiger Börsencrash. Ihre Zahlen bewegen sich weiterhin im Millionenbereich, nun allerdings mit einem Minus vor der Ziffer. Und zu allem Übel tritt ein neuer Konkurrent namens Google auf, dem es zudem gelingt, seinen Firmennamen gleich zum Verb zu machen. Die Erfolgsgeschichte von AskJeeves nimmt sich fortan bescheidener aus, zumal infolge der geplatzten Dot.Com-Blase an der Börse der Kurs der Aktie von 190 US$ auf 85 Cent sinkt. Zwar gelingt es der Firma, als eine der wenigen innerhalb von zahllosen Internetunternehmen zu überleben. Doch die anfänglichen Expansionsentwicklungen gehören nunmehr der Vergangenheit an. Auch eine allmähliche Erholung lässt das Unternehmen bis dato nicht mehr zu den drei Platzhirschen Google, dem ebenfalls nach einem literarischen Vorbild aus Gullivers Reisen benannten Yahoo und dem höchst unpoetischen Microsoft-Suchdienst MSN aufschließen. Es gilt Konsequenzen zu ziehen. Die Führungsetage wird rasch einige Male ausgewechselt, Teile des Unternehmens werden ver-, andere neu hinzugekauft. Man fährt einen behutsamen Konsolidierungskurs. Und schließlich vollzieht man 2005 einen tiefen Einschnitt in der bisherigen Firmenpolitik: am 23. September 2005 wird verlautbart, dass der neue Besitzer der Firma, Barry Diller, verfügt habe, den Namen des Unternehmens dahingehend zu ändern, die Ikone der Firma, den signifikanten Eigennamen Jeeves samt seines immer wieder erneuerten Logos (vgl. Abbildung 1), kurzerhand aus der Corporate Identity des Unternehmens zu tilgen.
Dieser Schritt sei notwendig geworden, da angeblich immer wieder literarisch ignorante Benutzer bei der Pressestelle nachgefragt hätten, was es mit Jeeves eigentlich auf sich habe. Hätten sie nur ihre Frage an den virtuellen Jeeves selbst gerichtet, er wäre ihnen sicher weder eine Antwort noch den Hinweis auf die Geschichten von P.G. Wodehouse schuldig geblieben. Darüber hinaus habe sich jedoch das Leistungsspektrum der Suchmaschine mittlerweile derart erweitert (Toolbar, Bildsuche etc.), dass eine in natürlicher Sprache erfolgende Kommunikation mit einem wenngleich freundlichen und nahezu allwissenden Butler keineswegs mehr den angemessenen Kontext und die entsprechende Bildwelt für das Benutzer-Interface darstelle. Böse Zungen behaupten indes, dass die Entfernung von Jeeves einem eher persönlichen Konkurrenzverhältnis entspringe, und zwar infolge der optischen Ähnlichkeit des neuen Besitzers Barry Diller mit der hausgemachten Ikonifizierung von Wodehouse’ literarischer Figur.
Es mag bereits als ein Anachronismus erscheinen, in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts einen Kammerdiener zur Ikone einer globalen Suchmaschine zu erheben, stand der valet de chambre als Funktionsmodus einer Dienstleistungsgesellschaft doch seinerseits längst auf einer Schwundstufe, die spätestens seit dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang nicht nur von Stefan Zweigs Welt von gestern überwunden zu sein schien. Vor diesem Hintergrund mag der interne System- und Namenswechsel bei Ask.com nur als folgerichtig einzustufen sein, insbesondere wenn er jenen Übergang von den humanoiden Medien zu den Dingen, wie es das 19. Jahrhundert mit seiner Delegation klassischer Dienstleistungen von Butler und Kammerdiener an technische Gerätschaften kennzeichnet, einmal mehr im Virtuellen dupliziert. Möge der wissbegierige Internet-Nutzer doch fortan seine Anfrage nicht mehr an eine schimärenhafte Avatarsgestalt in komischer Kleidung richten, sondern getreu dem Paradigma des Do-it-yourself mit Hilfe von Toolbars und anderen virtuellen Werkzeugkisten mögliche Antworten auf seine Fragen selbst finden. Doch selbst wenn sich dieser Systemwechsel hier innerhalb der Dingwelt selbst abspielt, so lässt sich ein solcher Schritt symptomatisch als eine letztlich zu tilgende Reminiszenz an eine Figur verstehen, die mit der schönen neuen, ökonomisch geprägten Computerwelt von heute nichts mehr gemein haben darf.
An dieser Zäsur sei für einen Moment innegehalten, um aus medienhistorischer Perspektive einige Fragen anzuschließen, die möglichst weit über die vermeintlich absichtsvolle, vielleicht jedoch nur arbiträre Zuschreibung und Abschaffung einer Suchmaschinenikone hinausgehen. Wenn man davon ausgeht, dass die Beweggründe eines Unternehmens, eine literarische Dienerfigur zum Aushängeschild zu erheben, keineswegs einer plötzlichen Nostalgie oder sentimentalen Erinnerungen an gelungene Abendlektüren zu verdanken sind, sondern vielmehr systemischen Umständen folgten, so bleibt zu fragen, worin die Analogie zwischen einem Kammerdiener und einer Suchmaschine genau besteht und nicht zuletzt, welche Gründe für eine etwaige Aufgabe dieser Metaphorik schließlich sprechen. Im Folgenden gilt es daher, eine kleine Geschichte des Dieners als Informationszentrale zu entwerfen.
Der Herr der Dinge: Der Diener
Es mag auf den ersten Blick eigenartig anmuten, den Diener als Informationszentrale zu bezeichnen. Geht man doch klassischerweise davon aus, die Subalternen, besonders prominent in ihrer Funktion als Boten, in erster Linie als Zuträger des Wissens, als sekundäre Instanzen oder als Handlanger in nachgeordneten Positionen einzustufen. Schließlich scheinen die Fäden stets an oberster Stelle, also etwa beim König am Hofe oder im Falle einer kleinen Einheit, der Familie, beim Hausvorstand, dem pater familias, zusammenzulaufen. Wissen und die Verfügungsgewalt darüber verleiht Autorität und ist nicht von ungefähr das vorrangige Herrschaftsinstrument des Patriarchen wie des Souveräns gleichermaßen. Inwieweit sich jedoch an den entscheidenden Schaltstellen tatsächlich die Subalternen befinden, wie sie dort die Produktion des Herrschaftswissens nicht nur mitbetreiben, sondern regelrecht steuern und ihrerseits souverän darüber verfügen, bleibt allzu häufig missachtet oder wird gar unterschlagen. Anhand von drei Aspekten sei daher dargelegt, und zwar sowohl strukturell als auch mit historischen Beispielen unterfüttert, wie dem Diener bereits im Rahmen seiner klassischen Funktionen eine eminente Bedeutung zukommt, die ihn alle Arten von Informationen sammeln und beobachten, sortieren und analysieren, differenzieren und gewichten, systematisieren und aufbereiten sowie schließlich streuen oder gezielt verteilen lässt. Nicht von ungefähr scheinen gentlemen’s personal gentlemen wie Jeeves nie um eine Antwort verlegen, und ihnen kommt infolgedessen ein großer Anteil an der Handlungsmacht zu. Mit anderen Worten, es geht darum, das Wissen der Dienerschaft als eine primäre Herrschaftstechnik zu beschreiben.
Die drei Aspekte, die den Diener zu einem privilegierten Sachwalter und Steuermann des Wissens gleichermaßen machen, sind allen voran seine Funktion als Scharnier oder Mittler zwischen verschiedenen Sphären. Sodann verfügt er über eine spezifische Logik der Ökonomie, die seine Dienstleistungen trägt. Und schließlich spielt seine Institutionalisierung in Form von ausgewiesenen Orten eine wichtige Rolle, die sich zu privilegierten Anlaufstellen für die Informationsdistribution verfestigen. Dass Diener, im Gegensatz zu Fabrikarbeitern oder Tagelöhnern auf dem Land, bevorzugt mit der Produktion von Immaterialitäten befasst sind, ihre Haupttätigkeit also weniger in der Produktion von Artefakten als in der Informationsverarbeitung besteht, wird spätestens um die Jahrhundertwende 1900 auch öffentlich verhandelt. „Die Tatsache, dass die Dienstboten keine materiellen Güter produzieren, die unmittelbar in den Verkehr treten, hat viele dazu veranlasst, sie nicht zu dem produktiven Teil der Bevölkerung zu zählen.“ Wie sehr jedoch das Geschäft der Informationsverarbeitung und damit verbunden ihre Akteure ebenso produktiv und wirksam werden wie die mühsame Verfertigung von Hardware beim Werkeln, sei nun zunächst anhand der Vermittlungsfunktion des Dieners nachgezeichnet.
Mittler und Vermittler
Die Sphären, zwischen denen der Diener vermittelnd wirkt, sind vielgestaltig. Allen ist jedoch gemein, dass sie bis ins 20. Jahrhundert um den Komplex des Hauses (οἶκος) im Sinne der antiken οἰκονομία organisiert sind. Innerhalb dieser Hausgemeinschaft kommt den Subalternen erstens die Funktion einer strukturellen Kopplung zu. Das heißt, privilegierte Subalterne wie der Butler oder Kammerdiener vermitteln zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen, indem sie als Bindeglied zwischen oben und unten eintreten, um somit den Betrieb im Souterrain, der für den reibungslosen Ablauf des Haushalts Sorge trägt, mit dem davon unbeschwerten Leben upstairs, in den Salons und Repräsentationsgemächern, in Kommunikation zu halten. Zweitens leisten Diener spatiale Vermittlungsarbeit, indem sie entlegene Orte in Verbindung bringen und zugleich den Raum dazwischen möglichst minimieren. Ganz profan gesprochen: Nicht jeder Diener ist ein Bote, aber nahezu jeder Bote ist ein Diener, insofern er sich – einerlei ob als valet de chambre oder kleiner Laufbursche – in den Dienst der Sache stellt, eine Botschaft zu übertragen.
Allen voran findet dieser Übersetzungsprozess seine Ausprägung, indem der Diener wie eine Laufmarke (Cursor) zwischen den ständisch streng voneinander getrennten Sphären verkehrt. Er dient als Bindeglied der Schichten, indem er das niedere mit dem höheren Milieu verknüpft, etwa durch vornehme Verhaltensmodi oder bestimmte Informationen, die er aus den Salons ins Souterrain zur weiteren Verbreitung trägt. Der Domestike befindet sich daher stets auf zwei Ebenen zugleich, insofern er als Angehöriger des gewöhnlichen Volks bei den herrschaftlichen Familien lebt und auf diese Weise vom Habitus der „besseren Kreise“ profitiert: „Die Dienstboten konnten Vorstellungen auf sich wirken und Gewohnheiten auf sich abfärben lassen, die sonst für beinahe alle gemeinen Leute eine unbegriffene äußere Größe bleiben und darum auch ihren eigentümlichen herrschaftlichen Charakter behielten.“ Zugleich aber tragen die Dienstboten, wenngleich wohldosiert und zumeist nur auf Nachfrage, das „reale Leben“ in die gepflegte Atmosphäre der Salons hinein: „they bring the wild into the house, or household (oikos)“, wie Bruce Robbins in seiner beachtenswerten Studie The Servant’s Hand bemerkt. Sie verknüpfen also die ungezügelte Welt des gemeinen Volkes draußen über die Zwischenstation im Souterrain des „ganzen Hauses“ mit den geregelten Zugängen in die Hinterzimmer der Macht, die verschwiegenen Besprechungsräume der Höheren, wo sie mit unbedingter Diskretion und nichtsdestoweniger geschärfter Wahrnehmung den Mächtigen aufzuwarten wissen. Mit ihrer Praktik, die entlegenen Sphären virtuos miteinander zu verbinden, entwickeln die Subalternen eine außergewöhnliche Fähigkeit, sich gleichsam wechselwarm verschiedenen Umgebungen anzupassen. Mit einem Wort: Sie sind amphibische Wesen.
Als sich um 1800 die bürgerliche Kleinfamilie als Antwort auf das „ganze Haus“ formiert und das Gesinde von dieser nunmehr reduzierten Gemeinschaft der Kernfamilie fortan ausgeschlossen bleibt, entsteht mit der räumlichen Trennung von Kontor und Wohnung, von Werkstatt und Haus, von Labor und Residenz am Vorabend der elektrifizierten Telekommunikation nicht zuletzt wieder ein Bedarf an humanoiden Kommunikationsverbindungen, der durch eine klassische Funktion der Subalternen, den Boten oder Laufburschen, bedient wird. Mit Blick auf die Frage nach dem Umfang und den Grenzen, die das Wissen der Diener bestimmt, zeigt sich der Domestike hier einmal mehr in einem Zwischenbereich situiert. Insofern das Speichern der Information nicht dem Brief oder versiegelten Schriftstücken anvertraut ist, steht der Diener erneut an der obersten Position desjenigen, der weiß. Auch wenn der Bote in fremdem Auftrag handelt und seinen Bericht schließlich in Stellvertretung erstattet, also mit der Stimme des Absenders spricht, so schränkt diese telematische Übersetzungsleistung zwischen Sender und Empfänger das Wissen des Übertragenden keineswegs ein. Im Gegenteil: Der Bote besitzt, trotz seiner fremdbestimmten Handlungsform, eine umfassende Einflussmöglichkeit auf die zu überbringende Botschaft. „Gerade weil die Kommunizierenden füreinander unerreichbar sind, wird die Frage von Belang, ob der Bote seinen heteronomen Status und die darin angelegte Neutralität wahrt, oder ob er sich doch als Souverän und Manipulator ‚seiner‘ Nachrichten ‚geriert‘, mithin weglässt, verzerrt, oder erfindet.“ Dem Boten kommt demnach eine Verfügungsgewalt über die Nachricht und damit eine Souveränität über das Wissen selbst zu.
Das umfassendere Wissen des Bedienten bleibt jedoch keineswegs auf die realgeschichtlichen Domestiken beschränkt. Auch der Diener als literarische Figur verfügt traditionell über einen privilegierten Kenntnisstand, der ihm dazu verhilft, Geheimnisse aufzudecken oder Intrigen zu spinnen, um auf diese Weise den Plot voranzutreiben oder Spannung zu generieren. Daher kann es nicht verwundern, wenn es in der Literatur, einerlei ob in Romanen wie Gil Blas oder in dramatischen Texten wie Figaro, zum Topos des Dieners gehört, durch seinen Erfindungsreichtum gleichsam den Motor der Narration darzustellen. Gleich einem servus ex machina nehmen die zwischen ephemer und ostentativ gezeichneten Dienerfiguren so richtungsweisende Dinge vor wie Indiskretionen zu begehen, ungefragte Botschaften zuzustellen, Beileid auszusprechen, Vorhersagen zu wagen oder Erkennungen (etwa von Odysseus’ Narbe) durchzuführen. Das Geschäft, entscheidende Informationen zu versammeln, zu manipulieren und zu verteilen, wird von den Bedienten ausgeübt, denn sie besitzen ein spezifisches inside knowledge der Akteure, das weit über das (Selbst-)Bild der vermeintlichen Protagonisten hinausreicht. Hinzu kommt, dass die Diener im Drama traditionell zwischen Bühne und Parkett, zwischen dem Spiel und seinen Zuschauern vermittelnd auftreten. Indem sie die vierte Wand des Bühenkastens durchbrechen, stellen sie in ihrer Kommentatorfunktion des Bühnengeschehens eine Schnittstelle zum Publikum bereit, um die Besucher an ihrem (über-)geordneten Wissen teilhaben zu lassen.
Ein weiterer Effekt, der mit dem privilegierten Kenntnisstand des Dieners in seiner literarischen Gestalt einher geht, zeigt sich darin, dass für gewöhnlich dieses Wissen ein prekäres ist, weil es keineswegs nur zum Wohle aller Beteiligten ausgespielt werden kann. So sieht sich der Domestike einem beständigen Spionageverdacht ausgesetzt, der weit über die Kontexte der Literatur hinausreicht. Der Verdacht liegt allen voran im bevorzugten Funktionsmodus des Dieners begründet: Seine unscheinbare Erscheinungsweise, die ihn dem Paradox von körperlicher Anwesenheit bei gleichzeitig geforderter geistiger Teilnahmslosigkeit unterwirft, verhindert freilich nicht eine geschärfte Aufmerksamkeit für das, was eigentlich nicht für seine Augen und Ohren bestimmt ist. Im Gegenteil, seine so geräuschlose wie diskrete Art versetzt ihn vielmehr in die Lage, die Gespräche und Situationen von anderen unbemerkt zu beobachten, zu analysieren und gegebenenfalls weiter zu verwerten. Dieser Verhaltensmodus prädestiniert den Diener dazu, seinerseits initiativ und zum Agenten zu werden, um sein beiläufig gewonnenes Wissen zum eigenen Vorteil auszunutzen, also diesen Informationsvorsprung gewinnbringend einzusetzen oder weiterzutragen. Es kann daher nicht verwundern, dass sich manche Herrschaften oder auch Fürsten durch ihre Subalternen überwacht fühlen, eine Tendenz, die sich um 1800 zu einer regelrechten Paranoia auswächst, nicht zuletzt befördert durch die Lektüre von Romanen, in denen Diener die entscheidenden Wendungen vollziehen. Um ihrer Angst davor zu begegnen, von den eigenen Angestellten ausgespäht und -gehorcht zu werden, delegieren manche Herren ihren Servicewunsch daher vertrauensvoll an technische Medien. Statt sich weiterhin unter dem beständigen Verdacht des Geheimnisverrats von untreuen Bedienten aufwarten zu lassen, zieht man es seitdem gelegentlich vor, sich selbst technischer Gerätschaften wie dem dumbwaiter, dem Stummen Diener, zu bedienen (vgl. Abb. 2).
Mit diesem Vertrauensverlust in humanoide Medien geht eine neue Schweigsamkeit im Dialog von Herr und Diener einher. Die Sprache, die sich an die Diener richtet, wird knapp. Der zuvor noch gepflegte höfische Kanzleistil in den Formulierungen weicht kurzen Befehlen, was zu tun sei. Anhand der Kommandos lässt es sich zeigen: Kommunikation wird zur Maschinensprache. Und William Thackeray brüstet sich 1850 gar: „We never speak a word to the servant who waits on us for twenty years.“ Nach der Hochphase im 18. Jahrhundert scheint die Kommunikation zwischen Herrschaft und Dienerschaft zum Erliegen gekommen zu sein: „In the Victorian household, there is an impression of increased silence“, konstatiert der Literaturhistoriker Bruce Robbins, und es bleibt zu fragen, was dieses Schweigen verursacht. Etwas schiebt sich zwischen die alte Mensch-Mensch-Schnittstelle. Der eben erwähnte Übergang vom mithorchenden zum stummen Diener deutet es bereits an: Das 19. Jahrhundert ist die Zeit, in der die verschiedensten Serviceleistungen auf breiter Ebene an technische Medien übertragen werden, die in ihrer telematischen, indirekten, mittelbaren Kommunikationsmöglichkeit das persönliche Gespräch zugunsten einer entpersonalisierten Verständigung ersetzen. In diesem allmählichen, nichtsdestoweniger umfassenden Ablöseprozess mag nicht zuletzt ein Grund liegen, warum sich das Unternehmen AskJeeves dazu entschieden hat, die Metaphorik des Dieners letztlich aufzugeben.
Vom Boten zum Bot
Sie mögen sich inzwischen vielleicht fragen, warum diese Funktionsbestimmungen verschiedener Facetten aus dem Dienstbereich der Domestiken überhaupt von Belang sind. Und vermutlich ahnen Sie auch längst, dass mit der Diskussion verschiedener Facetten des Dieners, die ihn zum Zentrum der Informationsgewinnung und -verteilung erheben, untergründig bereits ein Vergleich mit einigen Aspekten erfolgt ist, die sich im Leistungsspektrum einer Suchmaschine befinden. Damit lässt sich zum einen demonstrieren, wie umfassend das Wissen der Suchmaschinen ebenso wie der Domestiken zu veranschlagen ist. Und zum anderen dient diese implizite Gegenüberstellung freilich dazu, Jeeves auf die Spur zu kommen, also die Frage nach der Plausibilität der Metapher zu verfolgen. Das privilegierte Wissen der Domestiken speist sich zum einen aus ihrer Tätigkeit als Boten, aber auch als literarische Erzähler und als Wechselgänger zwischen den Hierarchien, nicht zu vergessen ihre Wirksamkeit als Spione. All diese Facetten, das Sammeln von Informationen, die Übertragung und Bündelung sowie schließlich auch die Weiterverarbeitung legen es nahe, im Diener einen Akteur zu sehen, der strukturanalog zu jenen Agenten operiert, die für Google auf Datenreise gehen: Vom Boten zum Bot ist es nur ein kleiner, signifikanter Schritt. Und es sind diese virtuellen Agenten wie GoogleBot, Webcrawler oder Teoma, der search bot von AskJeeves, die das Internet regelmäßig durchlaufen, stets auf die Suche nach neuen Informationen programmiert, die sie als Zuträger ihrerseits gewinnbringend weiterverarbeiten.
Und auch ein weiterer Aspekt innerhalb eines umfassenderen historischen Prozesses ist bereits zur Sprache gekommen. Mit der Übertragung der klassischen Dienstfunktionen auf technische Medien konfiguriert sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein Setting, auf dessen Basis die uns heute vertrauten Suchmaschinen entstehen. Der Bote wandert in den Kanal, zunächst der Telegraphie, dann der Telephonleitungen, aus denen schließlich die Datenkabel von heute werden. Mit der Delegation des Service an die Dinge wird der Diener zu einer medientechnischen Figur des Wissens, von dessen Nachfahren die heutigen search bots zeugen.
Ökonomie der Dienstbarkeit
In seinem Walten im Dazwischen befindet sich der Diener in einer denkbar günstigen Position, die es erlaubt, eine spezifische Logik der Ökonomie zu entwickeln. Während er etwa bei Tisch aufwartet oder geduldig hinter den Stühlen harrt, als sei er nicht vorhanden, steht der Domestike stumm an der Quelle, die er mit geschärfter Aufmerksamkeit ohne weiteres Zutun abschöpfen kann. Systematisch vermag er die Gespräche mitzuhören, die er noch beim Abräumen des Geschirrs gelegentlich in ökonomisch oder strategisch wertvolle Informationen zu überführen versteht. Der Verdacht des spionierenden Aushorchens, den die Herrschaften gegenüber ihren Angestellten entwickeln mögen, kommt nicht von ungefähr. Schon prominente Kritiker der Domestiken wie Daniel Defoe haben den Diener als Überträger von Kapital aus der höheren in die niederen Klassen charakterisiert, und Kapital ist hier zugleich als Informationsreichtum zu verstehen: Der Bediente weiß über die Geschäfte seines Herrn bestens Bescheid und kann dieses Wissen für sich und seine Unternehmungen nutzen. So gelangen nämlich nicht nur kalte Speisereste zurück ins Souterrain, sondern auch heiße Tipps die Börse betreffend, die von rangniederen Domestiken, noch während die Tischgesellschaft zum Dessert übergeht, bereits außer Haus und an die Orte der Spekulation getragen werden. Die Nachricht ist damit längst selbst zu einer Ware geworden, die beiläufig erlangte Informationen in Werte überführt, sei es in Form von direkt erzielten Kursgewinnen oder einer Weitergabe des Wissens an Dritte. Auch wenn diese Ökonomie auf den ersten Blick wie eine Zweitverwertung erscheint: In der Terminologie des Marktes spricht man im frühen 20. Jahrhundert auch von „Dienstmädchenhausse“, führt sie doch zu Effekten, die das sekundäre Wissen der Diener verselbständigt und die Informationen – ganz wie Googles und AskJeeves’ Suchagenten – letztlich zu primären wandelt.
Der Bote besitzt, trotz seiner fremdbestimmten Handlungsform, eine umfassende Einflussmöglichkeit auf die zu überbringende Botschaft.
Auch wenn der Domestike, der sich durch Börsenspekulation den Status des Kapitalisten verdient, nicht den Regelfall darstellen dürfte, so zeitigt die massierte Aktivität von Kleinanlegern an der Börse durchaus Wirkungen. Die Wirtschaftsgeschichte kennt verschiedene Gelegenheiten, zu denen durch erhöhte Nachfrage von Aktien, auch mit geringeren Beträgen, über die Dienstboten verfügen, Börsenblasen verstärkt und auch zum Platzen gebracht worden sind. Es ist der Moment kurz vor dem Zerplatzen der Blase, den man in der Finanzwelt überheblicherweise als Dienstmädchenhausse bezeichnet. Unbestritten ist allerdings, dass mit den Domestiken, die das neu gewonnene Herrschaftswissen auch mittelfristig gewinnbringend investieren, eine Modifikation der stets prekären Herr-Diener-Relation verbunden ist. Denn mit den Börsenaktivitäten von Dienern, wie Daniel Defoe in seinem Essay The Compleat English Tradesman von 1725 analysiert, wird die Frage nach Kapital und Besitztum neu ausgehandelt, und das heißt im Erfolgsfall auch, dass sich die Besitz- und Machtverhältnisse innerhalb der Relation von Herr und Diener umkehren können. Defoe vergleicht die Subalternen am Markt sogar in einer exklusiven semiotischen Einsicht mit den von ihren ursprünglichen Besitzern befreiten und daher ungehemmt zirkulierenden Geldwechseln selbst, indem er beide, Diener wie Geldwechsel, als frei flottierende Signifikanten begreift. Der Diener, so Defoe, leite aus dem Vorbild eines nicht mehr an einen Besitzer gebundenen Wertes wie einem Geldwechsel seinerseits eine nicht mehr allzu enge Bindung an seinen Herrn ab, dessen Besitzanspruch er – wie im Topos des Marktes vorgeführt – auf sich selbst übergehen sieht. Der Effekt besteht letztlich darin, dass durch das Herrschaftswissen über den Markt und seiner Handhabung dem Diener eine spezifische Souveränität zukommt, die ihn vom Dienstverhältnis emanzipiert. Diese Ablösung aus dem klassischen Besitzverhältnis, die mit der Erfindung des Papiergelds um 1700 und ihrer aufgelösten Referenz zu einem festen Eigentümer zusammenfällt, redefiniert die Relation von Herr & Diener, deren Grenze brüchig und destabilisiert wird; zumindest in einer Richtung: nach oben. Nur folgerichtig fürchtet Defoe bereits, dass ein allzu eifriger Diener den Herrn aus den eigenen Geschäften drängt: „The diligent servant endangers his master; the greater reputation the servant gets in his business, the more care the master has upon him, lest he gets within him and worms him out of his business.“ In letzter Konsequenz droht die Übernahme der Geschäfte durch den Diener, der durch die folgsame Pflichterfüllung ganz nebenbei zum souveränen Akteur wird, weil sein akkumuliertes Wissen selbst dynamisch, effektvoll und gewinnbringend wirksam werden kann.
Die Strategie, Wissen in Besitz zu verwandeln, ist eine dezidierte Herrschaftstechnik. Und dies gilt natürlich auch für unsere Analogie: Wenn der Diener mehr weiß als der Herr und dem Subalternen die Insider-Informationen eignen, spätestens dann stellt sich die Frage, wer hier wen beherrscht. Im Fall von Google oder AskJeeves ist diese Frage freilich längst geklärt, denn niemand würde vermutlich behaupten, bei der Eingabe in die Maske einer Suchmaschine noch Herr der Lage zu sein. Wenn es um die Informationsanalyse, -aufbereitung und -zuteilung geht, ist die Verfügungsgewalt längst an den Herrn der Dinge übergegangen, und das ist ohne Zweifel der Diener.
Institutionalisierung der Informationen
Die größte Abweichung innerhalb der bislang diskutierten Strukturanalogie von Domestiken und Suchmaschinen wie Google oder AskJeeves besteht in der Differenz zwischen zerstreutem Wissen und seiner Zentralisierung. Was nützt der allwissende Diener, wenn man nicht weiß, wo man ihn antreffen kann? Oder, wie kann man vom Kollektivwissen der Subalternen profitieren, wenn es sich nicht versammelt und gebündelt an vorbestimmten Orten auswählen und abrufen lässt? Abschließend bleibt daher zu fragen, was diese Orte sind und wie sich in ihnen das Wissen der Diener institutionalisiert präsentiert.
Sucht man diese Orte zunächst im Inneren des Ganzen Hauses, so wird man gemäß der hier entwickelten These, dass der Diener über die eigentliche Herrschaftstechnik des Wissens verfügt, weniger das Herrenzimmer betreten als die Küche im Untergeschoss, wo keineswegs nur gekocht wird. Vielmehr zeigen sich Herd und Gesindetisch hier als Umschlagplatz der Informationen, wo die Nachrichten von oben wie von draußen einlaufen und diskutiert werden. Eine geeignete Größe vorausgesetzt, dienen demselben Zweck auch die Foyers der bürgerlichen Palais, wo sich die Diener verschiedener Herrschaften ebenso zusammenfinden wie bei Hofe in den Vorzimmern der Macht. Hier, wo mit einem glücklichen Begriff von Carl Schmitt die „Indirekten“ residieren, läuft der Korridor aus, den man auf dem Weg zur Macht beschreiten muss. Und selbstverständlich finden dort, in den ersten und zweiten Antikammern, auch jene Verbindungslinien der Spionage zusammen, über deren klandestine Verwicklungen allen voran die Kammerdiener als Kommandanten der Geheimpolizei, so etwa unter Ludwig XIV., gebieten. Verlässt man diese eher exklusiven Zirkel, um sich an öffentlichere Orte zu begeben, führt eigentlich kein Weg an der Barbierstube vorbei, die nicht nur in der Literatur zum Topos der Indiskretion, zum clearing-house of information geworden ist, bevor man sich schließlich auf beliebigen Vor- oder Hauptplätzen einfindet, an denen man, so in Wien noch bis vor einiger Zeit am Westbahnhof möglich, einen Dienstmann für allerlei Zwecke mieten kann, der nicht nur über die perfekte Ortskenntnis verfügt, sondern allerhand andere Serviceleistungen anzubieten oder zu vermitteln weiß.
Die Funktion des sogenannten „Dienstmänner-Instituts“ wird 1862 von einem gewissen Dr. Folkmann ins Leben gerufen, der damit eine Art outsourcing von Dienstleistungen verfolgt, die zuvor vor allem den festangestellten Subalternen im Haushalt zukamen. Folkmann etabliert ein Gewerbe von „Stellvertreter[n] für verhinderte Dienstboten“ und zugleich für Wien eine Institution, die sich in die europäische Tradition des „Gesinde-Vermiethungs-Comptoirs“ einschreibt. (Abb. 3) In all diesen kleinen und großen Institutionen verdichten sich die Informationen, die unterschiedlichste Boten und Diener aus vielfältigen Quellen zusammentragen und buchstäblich abrufbar halten, zu regionalen Zentren.
Vom Kammerdiener zum Personal Digital Assistant
Wenn die bisher angeführten Argumente helfen konnten, die strukturelle Analogie zwischen den umfassend informierten Domestiken von einst und den universalen Suchmaschinen von heute zu plausibilisieren, um damit zu zeigen, dass sich hinter der Bezeichnung eines virtuellen Suchdienstes wie AskJeeves weit mehr als lediglich eine arbiträre Zuschreibung verbirgt und die Metapher des Dieners als Informationszentrale in ihren Wirkmechanismen vielmehr auf konzise historische Parallelen verweist, so ließe sich gleichwohl noch einwenden, dass es dennoch zunächst nichts weiter als eine Analogie ist. Denn neben den verschiedenen Entsprechungen zwischen dienstbaren Subjekten und elektronifizierten Suchmaschinen dürfen freilich auch die Diskontinuitäten nicht unerwähnt bleiben. Der vielleicht größte Unterschied zwischen beiden besteht in der räumlichen Reichweite der jeweiligen Dienste: Google oder AskJeeves sind Orte, die trotz ihrer virtuellen Einheit und gleichbleibenden Webadressen über keine feste Lokalisierbarkeit verfügen, um zugleich in ihrer Serviceleistung nichts weniger als global zu agieren. Dieses Merkmal ist den Dienern nicht gegeben, ihre Reichweite bleibt lokal fixiert oder regional beschränkt, wenngleich sich ihr summiertes Wissen mit Hilfe der entsprechenden Medien theoretisch ebenso zu einem globalen Netzwerk verschalten ließe. Erste Versuche wie Dienstbotenvereine, -vermittlungen, -gewerkschaften oder Zeitschriften für das Dienstpersonal lassen sich als entsprechende Indikatoren einer solchen Internationalen verstehen.
Der hier entwickelten Analogie liegt jedoch noch weit mehr als nur eine strukturelle Entsprechung zugrunde. Sie markiert zugleich den Beginn einer medientechnischen Entwicklung, deren Linien auch über die Suchmaschinen selbst hinausführen und die zum Abschluss noch skizziert sei: Wenn im viktorianischen Zeitalter der Dialog zwischen Herr und Diener verstummt und sich die Botendienste und Nachrichtenübertragungen in die technischen Medien der Telegraphie und Telephonie verlagern, die eine conditio sine qua non des Internet sind, dann ist damit der erste Schritt markiert, der Dienstleistungen entsubjektiviert und an das unseren Blicken weitestgehend entzogene Telekommunikationsgeschehen delegiert. In diesen virtualisierten Sphären wimmelt es jedoch gleichermaßen von Dienern, die längst schon in Form von Internet-, Ftp-, Mail- und Web-Servern in einen ununterbrochenen Dialog miteinander getreten sind. Die medientechnische Entwicklung verleiht der Analogie also über einen Umweg der Fernkommunikation ein stabiles Fundament, und zwar durch die Verlagerung des Kammerdieners oder Personal Domestic Assistant in den Kanal, von wo er nach einigen Metamorphosen wiederum zurückkehrt als Personal Digital Assistant, um sich in Form der Brombeere oder des iPhone, des Kindle oder des Sub-NoteBooks in die weltweiten Server-Netze und Suchmaschinen einzuschalten. Deren Schnittstelle nach außen mag noch für eine Zeit mit einer Figur wie Wodehouse’ Jeeves ausgestattet werden, um als kleine Reminiszenz an ihre Vorgeschichte zu erinnern. Gleichwohl vollzieht sich derzeit ein zweiter Schritt, nämlich die Re-Subjektivierung der virtuellen Service-Objekte in eine umfassende, auf persönliche Belange fein abgestimmte Dienstbarkeit, deren kompakte Form uns in den Personal Digital Assistants entgegentritt. Das Wissen, das aus diesen Geräten zu ziehen ist, umfasst die klassischen Suchdienste ebenso wie den Zugriff auf die tieferliegenden Inhalte unserer Kultur, also nicht zuletzt auf die herkömmlichen Medien des Wissens, das Universum der Texte, ebenfalls in seiner elektronifizierten Form. Die nahezu allwissenden Domestiken, die in den reichlich vorhandenen Phasen ihrer Untätigkeit Fachliteratur oder wie Humboldts Kammerdiener Schiller studierten, oder aber wie Jeeves die Angewohnheit haben, „vor dem Zubettgehen noch ein paar Seiten in einem weiterbildenden Buch zu lesen“, sind längst zurückgekehrt und verschaltet mit den zahlreichen Nebendiensten der großen Suchmaschinen wie GoogleScholar, GoogleBookSearch, GoogleMaps oder Froogle. Es besteht also keinerlei Notwendigkeit für einen Abgesang auf den Diener, und schon gar nicht die Notwendigkeit, das Bild und den Namen eines gentleman’s personal gentleman oder Kammerdieners aus der Benutzerschnittstelle einer Suchmaschine zu verbannen. Denn die PDAs, ob domestic oder digital, sind sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft unserer wohl informierten Dienstleistungsgesellschaft.
Literatur
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