Jimi Hendrix war nicht nur ein Ausnahme-Auftrittskünstler, ein die Wirkungen genau kalkulierender Auftrittsberserker, der seine E-Gitarren zertrümmerte und in Flammen aufgehen ließ, sondern auch ein Soundexperimentator. Zwischen den aberwitzig vielen Auftritten vor allem mit seiner Band The Experience suchte Hendrix in langen Studionächten nach den Klängen, die er im Kopf hatte. Nun vermischt sich der Nachhall seiner extremen Gitarrenkunst mit dem Sound der Biografen, wobei die Stimme Klaus Theweleits, selbst ein Star unter den Kulturtheoretikern, deutlich herauszuhören ist. Am Schluss ihrer Biografie lassen die Autoren den Göttlichen, den „Sound Wizard“, den „Intergalaktischen“, den androgynen, „multi-colored“ „Musicman“ in den Götterhimmel brausen, wo sich alle versammeln, die bereit dafür sind, die Botschaft zu vernehmen, in der Hendrix, die Biografen und wir, die wir hören und lesen, zu einem einzigen Musikkörper verschmelzen sollen.
Der vom Wagner’schen Gesamtkunstwerk beeindruckte Hendrix hinterließ Musik, so der Wortlaut der Botschaft, die sich vom Körper des Künstlers und von seinem Werk ablöste, als „unauflösliche Verschaltung der Musik, der Gitarre mit seinem eigenen entgrenzten Körper, seiner Kleidung, seinen Mitspielern, den Frauen, den Zuhörern, den Schwingungen des Alls, dem Rauschen und Singen der Geräte, ein neuer Song, eine neue Art Strom, eine neue Art Wirklichkeit, so machtvoll wie fragil“. Der neue Mensch der 1960er Jahre, aufgefahren in den Himmel aus Sex and Love und neuer Musik-Technologie. „Are You Experienced?“ heißt eines der Kapitel in Anlehnung an Hendrix’ Platte von 1967. Yes, we are; no, but we want to be.
Diese Biografie will keine Lebensgeschichte erzählen, mit Anfang, Mitte und Schluss, keine Daten am Faden einer öden Chronologie aufhängen. Sie will die Flasche öffnen, in der jener wilde Geist der Jahre zwischen 1965 und 1970 eingefangen ist; sie will die Leserinnen und Leser teilhaben lassen an jener „neuen Art Wirklichkeit“, für die nicht nur Jimi Hendrix steht. Eher als eine klassische Biografie ist das Buch deshalb eine „Melange von Eigenem und Universal-Biografischem“, wie Hendrix’ Songtexte charakterisiert werden. Selten wird so deutlich wie in diesem Buch, dass in jeder Biografie die Autobiografie des Biografen steckt.
Immer sind es ein paar Jahre, ein paar besondere biografische Momente, ein paar Augenblicke der Epiphanie, die alles andere überlagern, die das ganze Leben in ein bestimmtes Licht tauchen, die zu Verzerrungen führen, wie sie jener berühmte Griff Hendrix’ an den Hebel seiner Stratocaster produzierte. Nüchterner formuliert: „In den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurden alle ästhetischen Regeln des sogenannten Abendlands mehr oder weniger aufgelöst; manche nur vorübergehend, andere dauerhaft.“ Pech für die Nachgeborenen, die nur von Legenden zehren können, von den Hendrix-Videos auf YouTube zum Beispiel, denen die relative Nähe des Eigenerlebens zu jenen göttlichen Momenten fehlt. Hier wird die Biografie selbst zur Mythografie, die die schlechten Mythen, die über Hendrix als Esoterik-Kitsch in Umlauf gesetzt wurden, ersetzen will.
Die biografische Arroganz der Zeitzeugen ist selten frei von kulturkritischen, das heißt meist kulturkonservativen Untertönen.
Das liest sich gut, ist auch unterfüttert mit viel interessantem Material, wobei es nichts ausmacht, dass das meiste auch schon woanders steht. Es führt auch wirklich manchmal zu Erleuchtungen, zumindest beim Rezensenten, wenn die Autoren Hendrix’ Songtexte in den Olymp der amerikanischen Lyrik erheben. Ausführlich werden sie zitiert und auch übersetzt. Ja, diese Texte sind gut, es sind lyrisch-melancholische Verse von großer Kraft und Schönheit, wie in jenem enigmatischen Lovesong „The Wind Cries Mary“: „After all the jacks are in their boxes, / And the clowns have all gone to bed, / You can hear happiness staggering on downstreet, / Footprints dressed in red. / And the wind whispers Mary.“ Verse wie diese sind es, die der 1975 in London verunglückte Rolf Dieter Brinkmann, dessen Gedichtband Westwärts 1&2 zum Besten der deutschsprachigen Nachkriegslyrik zählt, zum Ideal lyrischer Einfachheit erklärte. Darunter auch politisch-unpolitische Botschaften von berückender Eindringlichkeit; „If 6 Was 9“ zum Beispiel: „If the sun refuse to shine, / I don’t mind, I don’t mind“, denn: „Alright, ’cos I got my own world to live through, / And I ain’t gonna copy you.“
Die Betonung des materialen und medialen Charakters der Hendrix’schen Kunst durch Klaus Theweleit und Rainer Höltschl ist einer der Vorzüge der Biografie. Sie erdet den Sound des Überirdischen, der so viele Biografien außergewöhnlicher Menschen begleitet; sie kann zeigen, wie aus dem Zusammenspiel der medialen Entwicklungen Mitte der 1960er Jahre, den immer besseren Verstärkern, den sich erweiternden Mehrspuraufnahmen, den technisch erzeugten Soundeffekten und einer „überirdischen“ Musikalität Aufregendes und Neues entstand. Das war, unbestritten, ein einzigartiger, langer historischer Moment. Aber die Kunst geht immer weiter, und sie wird nicht schlechter, sondern anders. Das unterscheidet sie eben von anderen Dingen, die vielleicht wirklich schlechter werden. Die biografische Arroganz der Zeitzeugen ist selten frei von kulturkritischen, das heißt meist kulturkonservativen Untertönen (Jimi Hendrix ist 1943 geboren, Klaus Theweleit 1942): Heavy Metal und Soul-Funk, ja auch der Punk: alles gemäßigte Postphänomene, weit entfernt von den Grenzüberschreitungen der großen Toten Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison, allesamt unsterblich schon mit 27. Der Aufbruch, so der pessimistische Befund, versandete in den „Eintönigkeiten heutiger HipHop-Wüsten“. Dieses Klagelied sei einmal Klaus Theweleit unterstellt; da hätte der 1961 geborene Rainer Höltschl Einspruch erheben sollen.
Galerie der Frühvollendeten
Psychoanalytisch orientierte Künstlerbiografien schieben vieles, wenn nicht alles, auf die Kindheit, in deren Verlauf sich der Knoten traumatischer Erfahrungen in die Unbegreifbarkeit kreativer Prozesse auflösen kann; anstatt nur zu späteren psychischen Bürden zu führen, wie dies bei den Normalmenschlichen in der Regel der Fall ist. Sozialhistorisch argumentierende Biografien setzen das Individuum in ein gesellschaftliches Netz, aus dem es sich dann mühsam befreien muss, um Großes erreichen zu können. Mythografien wiederum wollen die Gottähnlichkeit ihrer Biografischen Objekte beweisen und diese in die ewige Umlaufbahn unsterblichen Ruhms einschreiben. (All diese Ansätze haben neben vielen Trivialitäten auch großartige biografische Studien hervorgebracht.) In der Jimi-Hendrix-Biografie steckt von alledem ein bisschen drin, um immer wieder beim letztlich unerklärlichen Phänomen des Frühvollendeten zu landen: Vom mit 23 Jahren gestorbenen Georg Büchner bis zu Kurt Cobain, der wie Hendrix, Morrison und Joplin mit 27 starb, reicht die Galerie der Frühvollendeten. Ein überwiegend männliches Phänomen: Frauen brauchen anscheinend mit wenigen Ausnahmen (Janis Joplin) länger, um den Aufstieg in die Riege der Göttlichen zu schaffen.
Klaus Theweleits und Rainer Höltschls Biografie über Jimi Hendrix erweitert das Spektrum biografischen Schreibens. Im Gegensatz zu den meisten Exemplaren der Gattung besticht sie außerdem durch wohltuende Kürze. Der passagenweise psychedelische Sound des Buches versucht dem Unerklärlichen in Leben und Werk eines Ausnahme-Künstlers gerecht zu werden. Dazu gehört auch das Scheitern. Wie heißt es doch ganz zum Schluss: „Hendrix’ Energien sprengen Wissenschafts-Körper.“