Viele Banker, so wird berichtet, hätten sich in der Finanzkrise mit Büchern zurückgezogen, die Titel trugen wie Ruhig Blut mit Mark Aurel oder Seneca für Gestresste. Auch das IFK hatte vorsorglich für den April 2011 eine Konferenz „Transformationen des Stoischen von der Antike bis zur modernen Wissenschaft“ vorbereitet. Denn wie man weiß, haben Finanzkrisen immer auch Kulturkrisen im Gefolge. Wir waren also gerüstet, als wir am 4. November um 16 Uhr ins Ministerium bestellt wurden. Um 16 Uhr 10 kämpfte ich mit einem Schwindelanfall. Wir hatten mit Kürzungen gerechnet. Der vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung geplante Kahlschlag der wichtigsten Internationalen Forschungszentren außerhalb der Universitäten traf mich unvorbereitet. Wurde hier eine Flurbereinigung durch Abschaffung der Landschaft geplant?
Seit 2008 hatten wir in Erwartung von Kürzungen darauf gedrungen, eine wissenschaftliche Überprüfung der Leistungsfähigkeit der verschiedenen Einrichtungen durch eine unabhängige Internationale Jury durchführen zu lassen. Initiativen zu einer solchen „Evaluation“ verliefen im Sande. Die elementare Maßnahme, die jedem Eingriff in gewachsene Wissenschaftsstrukturen vorausgehen muss, fand kein politisches Interesse.
Am 5. November, ein Tag nach der fatalen Mitteilung, tagte der Internationale Wissenschaftliche Beirat des IFK. Er besteht aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern u. a. aus Harvard, Columbia, Zürich, Budapest, Duke, Konstanz, London. Es spricht für die Autonomie des IFK, dass in ihm kein Vertreter einer österreichischen Universität Sitz und Stimme hat. Seine Aufgabe bestand an diesem Tag darin, aus 153 Bewerberinnen und Bewerbern aus 25 Ländern 16 Fellows für das Studienjahr 2011/12 auszuwählen. Die Reaktion der von dem Züricher Wissenschaftshistoriker Michael Hagner geleiteten Kommission schätzte die Auswirkungen der verordneten Strukturbereinigung für Österreich als katastrophal ein. In ihrer Adresse an die Ministerin heißt es:
In einer zusehends global vernetzten Welt ist die Zirkulation von Personen und Ideen unabdingbare Voraussetzung für Innovation und damit indirekt auch für künftige Prosperität. Wer sich von dieser Zirkulation abkoppelt, riskiert die Provinzialisierung des eigenen Landes und schneidet den eigenen akademischen Nachwuchs von den Ressourcen der Wissensgesellschaft ab. Dies würde in Österreich umso schwerer ins Gewicht fallen, als erstens das IFK zu den sehr wenigen geisteswissenschaftlichen Instituten in diesem Land mit weltweitem Renommee gehört und zweitens die benachbarten deutschsprachigen Länder ihre Forschungsetats sogar in Zeiten der Finanzkrise aufgestockt haben.
Wir waren also gerüstet, als wir am 4. November um 16 Uhr
ins Ministerium bestellt wurden. Um 16 Uhr 10 kämpfte ich mit einem Schwindelanfall.
Dass wir so gelassen auf die Ergebnisse einer internationalen Evaluation gesetzt hatten, hat plausible Gründe. Unser Erfolg bei der Förderung junger österreichischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist empirisch messbar. In welcher Institution ist es der Normalfall, dass DoktorandInnen ein Jahr lang Tür an Tür mit den bedeutendsten ForscherInnen ihrer Wissensgebiete arbeiten und zwanglos ins Gespräch kommen können. Dem Ministerium lagen die Daten der Laufbahnerfolge vor. Die österreichischen Junior Fellows hatten zudem die Chance, in einem zweiten Jahr an ausländischen Universitäten diese Kontakte zu vertiefen. „Vernetzung“ nennt man das. In unserem Fall gibt es sie wirklich.
Wahrscheinlich hat die internationale Reaktion auf die Ankündigung der Schließung des Schrödinger Instituts, des IFK, des IWM und vieler anderer Einrichtungen bewirkt, dass das Ministerium in der Folgezeit in einigen Fällen zurückruderte. Vielleicht war es ein Glücksfall, dass zum Zeitpunkt der Schließungsdrohung in unserem Haus Fellows wie u. a. Jean und John Comaroff von der University of Chicago, der israelische Historiker Dan Diner, die deutsche Philosophin Sibylle Krämer, Mitglied im Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Panels des European Research Council, sowie der Romantikexperte Günter Oesterle arbeiteten. Sie setzten alle Hebel in Bewegung, um Bewegung in die erstarrte Front zu bringen. Der Sprachwissenschaftler Ludwig Jäger, RWTH Aachen, organisierte eine Initiative zu unserer Unterstützung, der sich alle europäischen Forschungszentren für Kulturwissenschaften u. a. vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris, dem Deutschen Archäologischen Institut in Rom, dem Zentrum für Literatur und Kulturforschung, Berlin, dem Internationalen Kolleg „Morphomata“, Köln, dem International Graduate Centre for the Study of Culture, Gießen, bis zum Zentrum „Iconic Criticism – Eikones“ in Basel anschlossen. Darin heißt es:
Das IFK hat sich in den 17 Jahren seines bisherigen Bestehens im Bereich der kulturwissenschaftlichen Forschung ein außerordentliches Renommee erworben, das in Europa und weit über dessen Grenzen hinaus ausstrahlt. Durch die Einladung nationaler und internationaler Fellows, durch weithin sichtbare Konferenzen zu zentralen Problemstellungen der kulturwissenschaftlichen Forschung und der Kulturpolitik und insbesondere auch durch seine Nachwuchsförderung, die es österreichischen Doktorandinnen und Doktoranden erlaubt, das eigene Nachdenken in einen internationalen und interdisziplinären Arbeitskontext zu stellen, hat das IFK ein außeruniversitäres Forschungsprofil entwickelt, das für viele andere Institutionen modellbildend wirkt.
Lawrence Grossberg von der University of North Carolina at Chapel Hill ermutigte uns mit den Zeilen:
The IFK is very visible internationally among cultural scientists, and it has an outstanding reputation. Its role in providing guidance and support for the education and training of young scholars in the humanities is crucial to Austria’s reputation as an intellectual center in Europe for the humanities.
Wurde hier eine Flurbereinigung durch Abschaffung der Landschaft geplant?
Diese Stimmen stärken mich in meiner Zuversicht, dass auch in Zukunft die Autonomie des IFK sowie seine internationale Ausstrahlung gewahrt werden können. Inzwischen hat das Ministerium als „Auffang-Lösung“ eine Integration des IFK in die Universität Graz vorgeschlagen. Ein Fortbestand des IFK in seiner jetzigen Form wäre mir lieber gewesen, aber eine seinen Aufgaben angemessene Organisationslösung innerhalb der Universität kann nicht nur eine Chance, sondern im besten Falle für beide Seiten eine Win-Win-Situation sein.
Ich sehe also Licht am Ende des Tunnels, so dass wir uns wieder auf die Projekte der Zukunft konzentrieren können. Trotzdem wird uns die Konferenz „Transformationen des Stoischen“ im April 2011 gut tun. Für den Oktober 2011 haben wir zusammen mit dem Historiker Michael Geyer aus Chicago eine auf drei Jahre angelegte Serie zum Ersten Weltkrieg konzipiert. Führende Militärhistoriker wie Jay Winter und Hew Strachan, sowie die Kulturhistorikerin Ute Frevert konnten gewonnen werden, die sogenannte „Urkatastrophe“ von 1914 aus kulturwissenschaftlichem Gesichtspunkt erneut zu analysieren. Die Arbeit in Wien wird fortgesetzt.