Einleitend sei festgehalten, dass Philosophie und die deutsche Sprache in einem sehr ambivalenten Verhältnis stehen. Jede Beschäftigung mit diesem Thema muss von der chauvinistischen Prämisse abrücken, gerade diese Sprache wäre für das Denken und Dichten doch in irgendeiner Weise welthistorisch besonders ausgezeichnet. Explizit von den nationalsozialistischen Ideologen in die Welt gesetzt, wird sie auch heute noch im Sinne kulturellen Distinktionsgewinns implizit beansprucht. Wenig erstaunlich formuliert Martin Heidegger, der die deutsche Sprache für eine privilegierte Sprache des Denkens hielt, dieses notorische Vorurteil in einem Spiegel-Interview 1966. Doch gerade dieses Denken oder auch die Philosophie entpuppt sich bei näherer Betrachtung oft genug als das, was Wittgenstein „die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns“ nannte und „Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat“.
Philosophie und Sprache
Philosophie hat die Sprache als Formalobjekt wohl relativ spät entdeckt. Die im 20. Jahrhundert so populäre Rede vom Linguistic turn überdeckt die Tatsache, dass Sprache und Kommunikation schon den Aufklärungsphilosophen ganz zentrale Themen waren. Wir verstehen unter Philosophie alle ganz Unterschiedliches. Generell geht es dabei jedoch um Erkenntnis, denn die Menschen sind nun einmal so, dass sie sich mit dem, was bloß ist, nicht zufrieden geben wollen. Sie insistieren auf dem Warum, dem Weshalb und dem Wozu, sie hinterfragten also immer schon die Dinge und nannten diejenigen, die das besonders gut konnten: Philosophen. Philosophie besteht wesentlich in einer „Kunst der Bildung, Erfindung, Herstellung von Begriffen“, wie Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem Werk Was ist Philosophie? formulierten. Damit dies gelingt, muss Philosophie, nach Hegel, „ihre Zeit in Gedanken“ erfassen, und sie kann dies also nur, so Johann Georg Hamann, wenn sie „vom Gegenwärtigen richtige Begriffe“ nimmt: „Kann man das Vergangene erkennen, wenn man das Gegenwärtige nicht einmal versteht? Und wer will vom Gegenwärtigen richtige Begriffe nehmen, ohne das Zukünftige zu wissen? Das Zukünftige bestimmt das Gegenwärtige und dieses das Vergangene, wie die Absicht Beschaffenheit und den Gebrauch der Mittel.“
Erkenntnis lässt sich durchaus so definieren, dass Mittel gesucht werden, um das Wissen mit einigen Sicherheiten auszustatten. Hier kommen sogleich Sprache und Kommunikation ins Spiel, denn niemand hat Erkenntnisse einfach so – man würde das Träume oder Visionen nennen –, sondern erst aufgrund ihrer Nachvollziehbarkeit. Damit ist die kulturelle Überlieferung gemeint, die in unterschiedlichsten Formen erfolgt und die garantiert, dass wir bei bestimmten Themen dasselbe meinen und uns damit auf das beziehen, worüber man sprechen kann (L. Wittgenstein).
Der Mensch ist hier nicht frei, sondern muss seiner Sprache entsprechen. Das Denkbare entspricht einem Sagbaren. Niemand hat, um Ludwig Wittgenstein zu paraphrasieren, für sich allein eine Sprache. Das lässt sich radikalisieren – niemand hat für sich allein eine Erkenntnis. Alle Kultur ist bedingt durch Übertragungen als Bedingung der laufenden Aneignung von Gedankengut und seiner Bewahrung. Mit anderen Worten, wir verdanken unsere Erkenntnisse den vorliegenden Überlieferungen und den aktuell möglichen Kommunikationen mit anderen Menschen, wie Novalis anmerkte: „Alles, was wir erfahren, ist eine Mitteilung. So ist die Welt in der Tat eine Mitteilung“.
Philosophie und Mitteilung
Wie aber können Menschen sich mitteilen? Sie müssen die in ihrer Brust verschlossenen, anderen unzugänglichen Vorstellungen zugänglich machen. Dazu ist für John Locke eine „Communication of ideas“ erforderlich, denn die Ideen tun sich nicht unmittelbar kund, sondern nur nach einer Übersetzung in gemeinverständliche Zeichen. So sah es auch Kant, der in seiner Anthropologie sogar das Denken als Übersetzung, als ein Reden mit sich selbst bezeichnet hat: „Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken und umgekehrt die vorzüglichste Art der Gedankenbezeichnung ist die durch Sprache, diesem größten Mittel, sich selbst und andere zu verstehen.“
Zwischen Erkenntnis und Mitteilung besteht offensichtlich ein Zusammenhang, doch nicht immer hat die Sprache deutscher Philosophen auch kommunikative Qualitäten. Liest man sich etwa einen zentralen Abschnitt der Kritik der reinen Vernunft durch, sagen wir die „Tranzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe“, dann mag es einem ergehen wie dem Titelheld in Robert Musils Erzählung Die Verwirrungen des Zöglings Törleß – den beim ersten Versuch seiner Kant-Lektüre ein doch irgendwie nachvollziehbares Gefühl beschleicht: „Aber vor lauter Klammern und Fußnoten verstand er kein Wort, und wenn er gewissenhaft mit den Augen den Sätzen folgte, war ihm, als drehe eine alte, knöcherne Hand ihm das Gehirn in Schraubenwindungen aus dem Kopfe. Als er nach etwa einer halben Stunde erschöpft aufhörte, war er nur bis zur zweiten Seite gelangt, und Schweiß stand auf seiner Stirne.“
Es ist ein sehr schwieriges Deutsch, in dem Kants theoretische Philosophie sich dem Thema Verstand und Vernunft widmet. Doch war sie bestrebt, zum Innersten, zum „Alphabet der Gedanken“ (Ernst Cassirer) vorzudringen. Kant war sich bewusst, dass ihm dies nur in akademischer Kunstsprache, im „trockenen, bloß scholastischen Vortrage“ gelingen kann, wie er im Vorwort zu seiner Kritik der reinen Vernunft entschuldigend anmerkte. Den „grauen, trockenen Packpapierstil“ dieser deutschen Philosophie hat Heinrich Heine denn auch einer beißenden Kritik unterzogen; das „anatomische Theater des Geistes“ ließ ihn den Tonfall „guter Laune in der Art des französischen Essays“ vermissen. Freilich wusste Kant, wie eine populäre Sprache auszusehen hätte, und hat sie in seinen kleinen Schriften auch verwendet. Er vermerkte überdies einen Unterschied im Nationalcharakter, betreffend „der dichterischen oder rednerischen Vollkommenheit“, wobei er natürlich besonders den Franzosen oberflächliche Leichtigkeit zuspricht. „Die feinen Scherze, das Lustspiel, die lachende Satire, das verliebte Tändeln und die leicht und natürlich fließende Schreibart sind dort original. In England dagegen Gedanken von tiefsinnigem Inhalt, das Trauerspiel, das epische Gedicht und überhaupt schweres Gold von Witze, welches unter französischem Hammer zu dünnen Blättchen von großer Oberfläche kann gedehnt werden.“
Sprache und die „Revolution der Denkart“
Tatsächlich gilt: Wörter machen Leute (Peter Burke), aber das tun sie unterschiedlich in geographischer, konfessioneller, beruflicher, geschlechtsspezifischer und nationaler Hinsicht. Ob Englisch, Französisch oder Deutsch – diese Sprachen standen in Konkurrenz zur damaligen Lingua franca, dem Latein, neben Griechisch und Hebräisch die Sprache der Klassik, der Juristen und des Klerus. Man wollte ja nicht länger nur Litaneien herunterbeten, sondern auch räsonieren. Ein allgemeines Publikum bildete sich heraus; nicht nur Professoren, sondern auch Offiziere, Kaufleute und Bürger widmeten sich der Philosophie.
In dieser nun wurden neue Gegenstände und Probleme verhandelt, für die im Kirchenlatein, aber auch im humanistischen Latein der Wortschatz fehlte; Latein war die Sprache der gelehrten Abstraktion (des Klerus, der Diplomatie und der Bürokratie), und wer es verwendete, geriet durchaus in Verdacht, die einfachen Menschen täuschen zu wollen. Deutsch als Sprache der Gemeinschaft setzte sich hier erst langsam gegen die Sprache der Gelehrsamkeit und der Distinktion durch. Latein sorgte zwar für eine überregionale Verbreitung gelehrter Texte, aber den gemeinen Mann, das wusste schon Martin Luther, erreicht man nur in der Volkssprache. Und die Aufklärer wollten eine breite, eine allgemeine Leserschaft ansprechen.
Man könnte den Frühaufklärer Thomasius dem heutigen Publikum wohl mit einigem Recht als den ersten Blogger des deutschen Sprachraums vorstellig machen.
Zudem sind im 18. Jahrhundert erhebliche Unterschiede in der deutschen, der französischen und der englischen Ästhetik spürbar. Kants „Revolution der Denkart“ ist in dieser Differenz geschichtlich vermittelt und vorbereitet, wie Ernst Cassirer argumentierte: Locke und Berkeley, Hume und Condillac waren mit ihren Lehren in Deutschland nie so ganz präsent. Hier herrschte die Systematik der rationalen Psychologie von Christian Wolff, dem die deutsche Philosophie die Grundlegung ihrer abstrakten Begrifflichkeit verdankt; Wolff lehrte und publizierte bereits 1713 prominent auf Deutsch: Vernünfftige Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkäntnis der Wahrheit.
Die Verwendung der Sprache Deutsch in der Philosophie scheint also durch eine doppelte Abgrenzung begründet: zunächst gegenüber der englischen und der französischen Denk- und Ausdrucksweise, dann gegenüber der überkommenen Traditionssprache Latein. Diesen Zeitgeist bringt schon Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste (1732) zum Ausdruck, welches nicht auf Latein bloß die Gelehrtenwelt, sondern in deutscher Sprache ein allgemeines Publikum ansprach; wobei dies keine eigene Leistung war, sondern im Wesentlichen wohl ein Plagiat fremdsprachiger Quellen.
Im 17. und 18. Jahrhundert wurden neue Erkenntnisinteressen verfolgt, die eine neue Sprachverwendung bedingten; diese reichten von René Descartes mit seiner Frage nach dem methodischen Prinzip der Klarheit und Deutlichkeit von Ideen bis zu Gottfried Wilhelm Leibniz’ Bestreben einer Förderung der Wissenschaften, die er sich auch als eine Erneuerung der Sprache vorstellte. So machte Leibniz sich Unvorgreifliche Gedanken zur Verbesserung der Teutschen Sprache und ersann schon vor 1700 mit seiner Characteristica universalis eine universale Kommunikationsform, basierend auf Kalkülen und binären Zeichen. Man sollte eine Begriffssprache haben, in der man so präzise denken konnte wie bisher nur rechnen. Die Modernisierung der deutschen Sprache, unter anderem durch Sprachgesellschaften, war damals sehr populär. Aber Leibniz ging es überhaupt nicht um die grammatikalische Sprachpflege, letztlich auch nicht um das Ersetzen des gepflegten Gesprächs durch ein gelehrtes Calculemus! – vor allem wenn man bedenkt, wie er Sprachkultur und kultiviertes Sprechen verteidigte und dabei den Vorzug des Deutschen ausdrücklich betonte: „Daher ich bei denen Italiänern und Franzosen zu rühmen gepfleget: Wir Teutschen hätten einen sonderbaren Probierstein der Gedanken, der andern unbekant; und wann sie denn begierig gewesen, etwas davon zu wissen, so habe ich ihnen bedeutet, daß es unsere Sprache selbst sey; denn was sich darin ohne entlehnte und ungebräuchliche Worte vernehmlich sagen lasse, das seye würklich was Rechtschaffenes.“
Man könnte nun behaupten, dass Leibniz nur das Lob der deutschen Sprache übrig blieb, da ihm das alternative Medium, elektrische Schaltkreise etwa, zur Umsetzung der binären Auszeichnungssprache für Kalküle in einem Rechner noch nicht zur Verfügung stand. Doch an dieser Stelle sei auch hervorgehoben, dass in jener Zeit die sozialen und politischen Bedingungen sich änderten und sich daher neue normative Ansprüche stellten, wobei für Wissen, Handeln und Moral moderne Begründungen gesucht wurden.
Neue Problemlagen – sprachliche Sensibilisierung
Im Vorfeld der politischen Revolutionen wurde dem traditionellen Weltbild der feudal-repräsentativen Öffentlichkeit ein neuer moralischer Universalismus entgegen gehalten. In Folge dessen wurde die öffentliche Meinung zu einem politischen Faktor und die Forderung nach Publizität für die Aufklärungsphilosophen zum unabdingbaren Kriterium gesellschaftlichen Fortschritts. In seinem Traktat „Zum ewigen Frieden“ (1795) ersann Kant diese transzendentale Formel öffentlichen Rechts: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.“ Lange bevor Kant diese Forderung erhob, kritisierte etwa der Rechtsgelehrte Christian Thomasius die Geltung des römischen Rechts und, was bekannter ist, die Hexenprozesse. Im Wintersemester 1687/88 kündigte Thomasius in Leipzig einen „Discours in deutscher Sprache“ an, erhielt aber erst 1694 für seine Vorlesungen als Gründungsrektor der Universität Halle die Erlaubnis dafür. In Halle wirkte bald auch der bereits erwähnte Philosoph Christian Wolff, der im Deutschen – damals eine „Sprache mit relativ geringem Abstraktionspotential“ (Peter Burke) – juristische und philosophische Begriffe formte, womit immer weniger lateinische Phrasen die Lücken füllen mussten.
Deutsch als Wissenschaftssprache setzte sich in mehreren Disziplinen durch, nicht nur in der Philosophie, und tendenziell zuerst an universitären Neugründungen und in neuen Publikationsmedien. So wurde Thomasius’ Zeitschrift „Monatsgespräche“ (1688-1690) in deutscher Sprache veröffentlicht. Sie stellt einen inhaltlichen wie stilistischen Bruch mit der Welt der akademischen Publikationen dar, und man könnte den Frühaufklärer Thomasius dem heutigen Publikum wohl mit einigem Recht als den ersten Blogger des deutschen Sprachraums vorstellig machen. Auf jeden Fall sprach er ein über die akademischen Kreise hinausreichendes allgemeines Publikum an. Dieses wurde in einem breiteren Sinne gegen die Übernahme kultureller Leitbilder aus dem Ausland ermahnt – speziell gegen eine „Nachahmung der Franzosen“.
Mit Thomasius’ Forderung nach der Befreiung von Vorurteilen und Autoritäten lässt sich der Bogen schlagen zu Kant, der 1784 in der „Berlinischen Monatsschrift“ zur Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? einem pfaffengläubigen Publikum noch das „Sapere aude!“ des Horaz entgegenschleuderte, aber da dachte er schon längst nicht mehr ernsthaft daran, sein Publikum lateinisch zu adressieren. Auf die im brieflichen Austausch mit Jean Le Rond d’Alembert vom preußischen König Friedrich II angeregte Frage nach der Legitimität des Volksbetrugs, eine 1780 ausgelobte Preisfrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften, antwortete nurmehr eine einzige von 42 Bewerberschriften in der klassischen Gelehrtensprache, dafür 16 in französischer und 25 in deutscher Sprache. Der „Philosoph von Sanssouci“ höchstselbst bevorzugte Französisch, in seinem Traktat über die deutsche Literatur bezeichnete Friedrich II. das Deutsche als „une langue à demi-barbare“.
Der Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg publizierte wissenschaftlich noch in Latein, schrieb seine Briefe, Essays und Notizen aber in Deutsch. Die Populärphilosophie weist mit Moses Mendelssohn und Gotthold E. Lessing eine Affinität zu Literatur und Ästhetik auf; die meisten Aufklärer schrieben ja auch für die nun erscheinenden deutschen Zeitungen und Monatsschriften. Mit Johann Gottfried Herder trat der erste deutsche Sprachphilosoph auf, dessen unbefangener Schreibstil auf manchen Zeitgenossen skandalös wirkte. Herder war ein scharfer Kritiker der lateinischen Schule, der Mönchssprache, wie er sagte, welche die europäischen Völker mit ihren Muttersprachen „in Rohheit erhalten“ habe; er folgte dabei Hamanns Gedanken, die wahre Muttersprache des menschlichen Geschlechts wäre Poesie, die tönende Natur.
Sprache und Mediensphäre
Hamann bestand bedingungslos auf einem Zusammenhang zwischen Vernunft und Sprache und kritisierte in diesem Punkt auch Kant, namentlich dessen Konzept einer reinen Vernunft, die es ebenso wenig geben könne wie eine reine Sprache. Wie schon Leibniz vertraute Hamann auf die deutsche Sprache, wenn es um gedanklichen Fortschritt ging, und verstand die Begriffsordnungen radikal als sprachlich vermittelte. Das Deutsche barg ihm jedoch keine inhärente Qualität, sondern lediglich die der Gewohnheit des Deutschsprachigen. „Jede Sprache fordert eine Denkungsart und einen Geschmack, die ihr eigentümlich sind. Wer in einer fremden Sprache schreibt, der muß seine Denkungsart, wie ein Liebhaber, zu bequemen wissen. – Wer in seiner Muttersprache schreibt, hat das Hausrecht eines Ehmanns, falls er dessen mächtig ist.“
Hamann ist hier nicht so politisch korrekt wie in seiner Kritik an Kant, der „dem ganzen schönen Geschlecht“ ein so schiefes Maul mache, „das meine 3 Töchter nicht auf sich sitzen lassen werden“. Wie dem auch sei, die Vernunft folgt bei Hamann einem Sprachprincipium, das aber selbst wiederum ein Vermitteltes ist. Anders lässt sich der eingangs zitierte Gedanke nicht verstehen, der Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft verschränkt, um von ihm „richtige Begriffe“ zu nehmen. Da im selben Atemzug von „Beschaffenheit und Gebrauch der Mittel“ die Rede ist, gilt es das Sprachprincipium aber in diesem Sinn zu begreifen. Denn was ist dieses Mittel denn anderes als jener von Hamann so genannte „Menschengriffel der heiligen Männer“, durch den selbst noch der Geist Gottes sich übermitteln muss. Martin Luther führte solch einen Menschengriffel, und er setzte auf seine „Sola scriptura“, ausgeführt in sächsischer Kanzleisprache.
Die Beschaffenheit der Mittel, die Medien ändern sich mit dem Bedarf. Nicht nur literarische und philosophische Schreibakte waren prägend für das entstehende Hochdeutsch, sondern auch die der ökonomischen Logik des Druckgewerbes folgende Sprachstandardisierung. Wie jede Nationalsprache verdankt sich die Herausbildung der deutschen Schriftsprache der technischen Aufhebung regionaler Dialekte in einer durch einheitliche Typographie geschaffenen Literarkultur. Die Druckerpresse bewirkt nicht monokausal den kulturellen Wandel, wirkte aber als dessen Katalysator. Zusammen mit einer Säkularisierung des Wissens und der Literarisierung des Publikums (wachsende Privatbibliotheken, Etablierung der Belletristik) weitete sich die Druckmedientechnik aus und forcierte die Entwicklung nationalsprachlicher Wissenskulturen.
Neben und nach der Tendenz zur Nationalsprache gab es diejenige zur Universalsprache. Der Wunsch nach einer künstlichen Weltsprache ist nach der Druckerpresse einer weiteren Medienrevolution geschuldet, nämlich dem Telegraphen bzw. der sich bereits im 19. Jahrhundert globalisierenden Medienkultur. Die Universalsprache der Gegenwart ist eine technische, diejenige der zu Benutzeroberflächen visualisierten Algorithmen; unsere Begriffe vom Gegenwärtigen lösen sich auf in Informationsmustern – wir haben das Leibnizsche Calculemus ein Stück weit realisiert. Doch dessen Form ist sicherlich ganz anders als ursprünglich gedacht. Dass heute mit Wikipedia ein kollaboratives Wissensportal nicht in einer universalen, sondern in vielen verschiedenen Sprachen online ist, hätte so manchen Philosophen sicherlich erfreut; und Leibniz, der einst das Deutsche so rühmte, wohl mehr noch die Tatsache, dass die deutsche Version von Wikipedia die weltweit höchsten Standards hat.