Die wellenartig auftretenden Versuche (in Renaissance, Romantik, im neunzehnten Jahrhundert, in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts), philosophisch auf Technik zu reagieren, weisen ausnahmslos dasselbe Merkmal auf: sie leugnen die Spaltung, die sich zwischen dem ontologischen und dem technologischen Feld anbahnt. Man kann sie unter dem Stichwort „Ontologische Offensive“ ebenso wie unter dem Titel „Re-Anthropologisierung“ abbuchen, womit Wesentliches dieser Unternehmungen beschrieben wäre. Das World Wide Web und die damit in Verbindung stehenden Dinge sind heute der Anlass eines Wiederaufloderns dieses Effekts. Die angesichts einer aus dem Ruder laufenden Technologie in Position gebrachten Möglichkeiten sind die einer Technikverklärung oder einer Technikkritik, die beide auf ihre Weise gegen die Trennung von Technik und Sein antreten. Der mittlere Weg würde darin bestehen, auf Deutungen zurückzugreifen, durch welche sich der neue Sachverhalt erschließen könnte. Es wird in einer RetroProphetie (nach Schlegel) nach Ähnlichkeiten gesucht, die den technischen Bestand aus ontologischen Strukturen heraus intelligibel machen.
Eine zeitgenössische Technikrevision muss sich also mit der Luft beschäftigen, die nicht mehr nur das zu Atmende ist, sondern darüber hinaus wie eine Wundermeteorologie alles enthält, was man zum Betrieb seines Gadgets braucht.
Das hervorstechende Merkmal der zeitgenössischen Medienarchitektur ist nun ihre die Displays umfassende Wellennatur oder ihre den Raum durch Frequenzen anreichernde Eigenschaft. Die sekundäre künstliche Astronomie der die Erde umspannenden Satelliten als Frequenzregler oder Frequenzspiegel greift tief ein in das bisherige Bild, das sich der bisher in ordinäre Luft hineingehaltene Zeitgenosse von seinem Lebensraum gemacht hat. Eine zeitgenössische Technikrevision muss sich also mit der Luft beschäftigen, die nicht mehr nur das zu Atmende ist, sondern darüber hinaus wie eine Wundermeteorologie alles enthält, was man zum Betrieb seines Gadgets braucht.
Gasaustausch
Welches ist nun das Verhältnis zwischen Techno-Luft und Atemluft? Menschen sind unmittelbar räumlich in doppelter Weise, durch den Leib und den „Gasaustausch“, wie die Biosphärentheoretiker um 1900 gesagt hätten. Erster Umraum, erste zarteste Architektur ist Hauch oder Atem. Das hauchende Wesen, das den subtilen Raum einsaugende und ausblasende, wird von einem feinen Nektar, wenn man die Atemluft einmal poetisch so bezeichnen wollte, genährt. Das erste ist also die Atemgemeinschaft oder Konspiration. Die Atemgemeinschaft gibt ein Maß vor, indem gefragt wird, wie viel Luft gehaucht und gebraucht wird, also wie viel Gas getauscht wird. Die Idee des Umraumes leitet sich von diesem Punkt ab, von der Idee einer Gasglocke, die unmittelbar Lebensvorrat wie Körpererweiterung ist. Von hier aus müssen die leer vorgestellten Raummeter technologisch kapitalisierbarer Luft neu gedacht werden. Die gasförmigen Räume sind einerseits Umfassungsräume, Container oder Blasen, wie Peter Sloterdijk sie nennt, andererseits sind sie aber auch Fortpflanzungen oder Ausstülpungen individueller Lebendigkeit. Neuere Gepflogenheiten wie die Befolgung der Gebote der Fitness scheinen unmittelbar an der Logik der Atmung zu hängen, sofern es um die Erhöhung der Atemleistung geht, also des Durchflusses von Luft, die dann eine Anreicherung mit Umraumqualitäten in der Weise der Oxygenisierung herbeiführt. Das Viel-Durchatmen kommt wie eine Königsdisziplin daher, als wäre es eine Herrschaft über das Reich der Luft, die Wahrheit mit Fitness zusammenstellt. Gesteigerter Luftverbrauch ist allerdings auch ein Verbrechen an der Hauchgemeinschaft, wenn nicht nur Atemluft, sondern Abgase pro Individuum den Gasaustausch belasten.
Das fünfte Element
Überlegungen zur Exzellenz des Flüchtigen und Luftigen sind nicht neu. Sie stehen im Zentrum der stark physiologisch akzentuierten Metaphysik des Theophrast, eines Schülers des Aristoteles, der eine medizinische Anthropologie im Stile des Ayurveda aus der Idee des Äthers entworfen hat. Der Äther, das fünfte Element, bilde selbst den großen, alles umfassenden Container-Raum, allerdings nicht als Leeres, sondern als Pneuma oder „Vater Äther“, wie Hölderlin ihn besungen hat. Seelenbesitz ist da keine Privatangelegenheit, sondern etwas, das man in der Hauchgemeinschaft erwirbt. Solche Vorstellungen erleichtern eine Revision des Begriffes des Raumes, der jetzt technisch wird. Vater Äther war seinerseits schon als lebendiger, informationsgesättigter Container gedacht gewesen. Im Stile der Post, die bereits die Mängel der Telepathie gehörig kompensiert hatte, trägt man in diesen Äther Adresse und Mail-Apparate ein, wobei die Art der Fortbewegung der messages verbessert wird: sie ist schneller, luftiger. Der Äther, bereits zu Zeiten der Radiophonie besungen als das Medium derer, die „on air“ gingen, kommt also verschärft wieder. Ist dieser Info-Äther nun die Noosphäre, die uns Teilhard de Chardin prophezeit hatte?
Der Äther, bereits zu Zeiten der Radiophonie besungen als das Medium derer, die „on air“ gingen, kommt also verschärft wieder.
Chardins Noosphäre greift ebenfalls zurück auf eine spirituelle Interpretation des Umraums oder Luftraums. Gesetzt nun den Fall, es ereignete sich jetzt in der Tat dieser Wechsel von der Biosphäre – die noch von der bloßen Atemluft faselte und nur das Problem der Luftverschmutzung kannte – zur Noosphäre, von der Biomacht zur Psychomacht (um einen vom französischen Philosophen Bernard Stiegler geprägten Begriff zu zitieren), dann spielt sich jedenfalls dieser Umschwung in einem hochgradig diffusen Element ab. Wie sollen wir dieses Diffuse interpretieren? Stiegler geht davon aus, dass die Infoglocke, als welche sich die neue Luft vorstellt, auf gefährliche Weise die Form von Psyche oder Bewusstsein als deren Ersatz angenommen hat. Seine Technikkritik zielt auf die unheilvolle Verwechslung von Bewusstsein und bewusstseinsförmige Information, also auf das Surrogat-Bewusstsein der Info-Zeit, das sich anschickt, den Ort des Bewusstseins zu besetzen. Jaron Lanier, Internet-Guru und Pionier der Apple-Crew, hingegen verkündet die Techno-Neotenie, die uns unterstützt, unseren fötalen Zustand in der entsubjektivierenden Info-Glocke zu stabilisieren. Ein weiterer solcher Guru, Ossi Urchs aus Offenburg, weist auf die formalen Übereinstimmungen zwischen den indischen Brahma-Lehren und dem Netz hin, wobei ihm Begriffe wie Surrogat, Überschwemmung oder Informationsverschmutzung vollständig fern liegen.
Angereicherte Luft
Nach dem Ende des elektrischen Zeitalters, welchem Marshall McLuhan noch die Nervenartigkeit zusprach, kommen am Horizont alte pneumatologische, die angereicherte Luft thematisierende Deutungsbilder für die zeitgenössische technologische Welt wieder. Hinter dem modernen Nervenmenschen und seinen neuronalen Hysterien zieht jetzt das neo-metaphysische Zeitalter der Wellen und Frequenzen auf. Eine von Wellen durchzogene Luft erhält wieder Ätherqualität, sofern unsere bisher von Gasen und Abgasen, Gewittern und Miasmen, Gerüchen, Erregern und Geräuschen durchzogene Luft anfängt, in ihrer unsichtbaren, geruchlosen botschaftlichen Fülle zu flimmern. Die Umraumqualität der Luft hat theoretisch schnell wieder das Niveau der Zuschreibungen erreicht, die ihr von der Antike bis zur romantischen Physik zugestanden worden war. Die Deutungen der Frequenz-Technologien neigen sich folgerichtig ins Metaphysische, einer Geist- oder Geisterlehre, einer Bewusstseinsmythe zu. Die zeitgenössische Debatte wird sich daran abarbeiten müssen, die beiden Regime der psychischen Ordnung und der Ordnung der technischen Netzwerksysteme aufeinander zu beziehen und herauszufinden, wieweit sie einander ähnlich sind und inwieweit eben nicht. Die alte Ätherlehre hatte kaum Kollisionen mit den Besitzrechten eines „Nutzers“ zu befürchten, der von unterschwelligen Ängsten ergriffen wird, wenn er nun nicht mehr als Subjekt, sondern nur noch als Adjekt im Netz vorkommt.
Die Seele scheint nämlich selbst durch die vielfältigen Anstrengungen, sie zu entbergen, unter Stress geraten zu sein.
Jeder, der in der alten Ätherzeit eine Botschaft empfing, durfte eingebildet werden. Aber selbst unter den alten Usern kursierte der Verdacht, dass der Geistwind auch malignen Absender kennt. Die philosophische Tradition bietet also sogar qualitative Kategorien für Kritik und Affirmation an, sofern die Ätherlehre in Angelologie und Dämonologie zerfiel. Die Flut panischer Bücher über Besetzungen, Einflüsterungen und Behexungen, über falsche und gefährliche Telepathien übersteigt ihrem Umfang nach wahrscheinlich sogar die, die die gute Botschaft unter die Leute bringen wollen. Diese Bilder aus der Geschichte der Seele und des Geistes bzw. der Geister verführen dazu, auf den Techno-Äther die Eigenschaften des alten Äthers nicht nur in bildhafter Weise zu projizieren, sondern sie direkt in die neuen technologischen Ströme hinüberzuschaufeln. Die beiden Ordnungen – Äther Psycho und Äther Techno – müssen aber nicht kurzschlussartig zur Synthese gebracht werden. Sie sind einander zunächst, wie Heidegger sagen würde, zugestellt, was nicht ausschließt, dass in einer kybernetischen Schleife sich durch den Äther Techno die Aufmerksamkeit wieder dem, was „Äther“ ist, was Seele ist, was Bewusstsein ist, zuwendet und zuwenden wird. Die Kritiker des Techno-Äthers seien jedoch der schmerzlichen Erinnerung nicht enthoben, wie sehr die Seele ihrerseits, wie Eva Illouz in ihrem Buch Die Errettung der modernen Seele ausführlich darlegt, seit 1900 eine Frage der Technik geworden ist: Psychotechnik, Psychotests, Psychotherapie, Psychopharmaka haben sich über die Seele hergemacht. Dem Defekt der Intuition, der überall unterstellt ist, hilft man sofort durch Eignungsverfahren, Druckausübung, Ausbildungsimperative und Karriereempfehlungen nach. Diejenigen, die die Partei der Seele und des Bewusstseins gegen die vergewaltigenden Medien einnehmen, müssten genauer berichten, wie es mit der modernen Seele ihrer Meinung nach bestellt sei. Sie scheint nämlich selbst durch die vielfältigen Anstrengungen, sie zu entbergen, unter Stress geraten zu sein. Die Gegenwart der Wellenarchitekturen ist symbolisch zu entziffern, ist als eine List des Hermes, zugleich die Ermüdung wie den gekränkten, aber berechtigten Größenwahn der „Seele“ zu erkennen. Leider, das muss gesagt werden, ist es nicht möglich, es sich in der Antiquiertheit des Menschen bequem zu machen, auch wenn der Begriff Seele selbst schon nostalgisch macht. Es gilt, die Porosität des Leibes und die Umraumseele der Vorstellung einer inferioren, aber höchst gefährdeten „Umwelt“ entgegensetzen zu lernen.