Große und kleine Tiere in totaler Interaktion

Die Cyberfeministin Donna Haraway begleitet ihre Hündin Cayenne zur Leistungsschau und philosophiert dabei über die Biosozialität von Mensch und Tier. Von Elisabeth von Samsonow

Online seit: 10. September 2019

In der Vorrede des neuen Buches When species meet der amerikanischen Biologin und Cyborg-Theoretikerin Donna Haraway wird in buntem Durcheinander Menschen und Tieren gedankt. Die Autorin nimmt damit ein Thema wieder auf, das sie bereits in ihren vorangegangenen Büchern vorgestellt hatte. Der Begriff der „companion species“, den sie in einem gleichnamigen Manifest von 2003 entfaltet hatte, wird in When species meet zur zentralen Kategorie einer neuen Biosozialität. Jener „Cyberfeminismus“, den Haraway aus der Sicht einer reflektierenden Biologin entworfen hatte, um die geschlossene binäre Konstruktion des Geschlechts aufzubrechen, lässt sich im Hintergrund dieser neuen Auseinandersetzung zur „Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Wesens-Lagern“ noch skizzenhaft wahrnehmen. Der Zusammenbruch der so genannten „identitären Diskurse“ wurde in Haraways Schriften stets glühend herbeigeschrieben; jetzt aber wird die Baustelle wieder neu geordnet. Wo Abriss und Destruktion waren, kristallisieren sich nunmehr neue Konzepte heraus, wie etwa das der „contact zone“ oder der „biosociality“.

Von Hunden und anderen Menschen

Haraway ist zweifelsohne die poetischste unter den Biologinnen. Nach Cyborgs, Schimpansen und Affen sind es in When species meet die Hunde, mit deren Hilfe untersucht wird, wie genau die Intra-/Interaktion aussieht, die lebendige Wesen ausmacht. So betrachtet liegt in Haraways Hinweis, ihre Hündin Cayenne trage einen wesentlichen Anteil am Buch, wie sie in der Widmung vermerkt, mehr als bloße Koketterie. Sie selbst sei, so das entwaffnende Bekenntnis, eine Kreatur aus dem Dreck der Erde (creature of the mud), also wesensmäßig und systematisch Teil einer Erdbevölkerung, die alle Hervorbringungen der Erde umfasst. Die Gegenseitigkeit, in die alle Wesen involviert sind, wird in mehreren, auch stilistisch unterschiedlichen Anläufen in diesem Buch illustriert. Zunächst wird noch einmal unterstrichen, dass jeder Organismus selbst ein Kooperationswunder vielfältiger Wesen ist: Der Körper selbst repräsentiert auf einer bestimmten Ebene, die einer Biologin wohl mehr als deutlich vor Augen steht, ein Labor des Zusammenwirkens, der Interferenzen der Kräfte und Fähigkeiten von „Wesen“ wie Pilzen, Mikroben, Zellen usf. Der erste Teil des Buches behandelt also die Interaktion zwischen Labortier und Laborforscherin. In der Laborsituation ereigne sich die Symbiogenesis, die zwar dort theoretisch ausgeschlossen, aber „praktisch“ unausweichlich und unvermeidlich ist. Wie Hündin Cayenne die Zellen von Frau Haraway „kolonialisiert“, wie sie sich gegenseitig transfizieren, so geschieht das auch zwischen dem weiß bekittelten Labormenschen und dem zum Objekt degradierten Tier. In der munteren Diskussion treten nicht nur „echte“ Tiere auf, sondern auch die „großen Tiere“ der Theorie: Jacques Derrida, Gilles Deleuze & Félix Guattari, Hélène Cixous, Marx, Freud und so weiter, die ebenso wie die Labor- oder Haustiere in einen privilegierten Dauerdialog mit der Autorin getreten zu sein scheinen.

Inwiefern ist mein Hund mein Ich, das ich vertikal in die Tiefe der biologischen Gegenseitigkeit hinab fühle?

Das Labor wird kritisch als der Ort beleuchtet, an welchem die Hierarchisierung der Spezies ihr politisches Monument hat. Aber selbst da stellt sich die „Antwort“ ein, lässt das Tier seinen Sachcharakter vermissen. Vom Labor geht es konsequent zu Fragen der Zucht, die natürlich, wenn man mit Hunden interagiert, eine durch die Stammbücher, Hundeausstellungen und Leistungsschauen vorgegebene gewichtige Rolle spielt. Von der Zucht ist es kein weiter Weg zu den Leistungsschauen, an denen Haraways Hündin Cayenne teilnimmt und die tagebuchartig in längeren Passagen beschrieben werden. Hier weist When species meet auch sprachlich einen Bruch auf: Diejenigen Intellektuellen, die in der europäischen Academia diszipliniert worden sind, wird der pure Neid darüber packen, welche schreiberischen Freiheiten sich die Autorin herausnimmt – und dabei auch noch brilliert. Auch wenn noch Spurenelemente eines Sportjournalismus in diesen Textpassagen zu finden sind, wirken die Berichte über die jeweiligen Auftritte und Leistungen der Hündin und der Tiere von Freunden und Kollegen im Duktus wie bereits ihre Veröffentlichung vorwegnehmende Briefe einer romantischen Schriftstellerin, die abends ihr Herz auf dem Papier ausschüttet. Es wirkt so, als würde der Tag für das echte Erleben reserviert sein, und am Abend wird dann zusammengefasst. Haraway trifft in ihrem Schreiben über Cayenne einen Ton, der jenen Briefen ähnelt, die Bettina von Arnim an Karoline von Günderrode über ihre Kinder geschrieben hat: beobachtend, mitfühlend, kompetent. Dieser Stil löst ein, was gesagt wird. Dadurch wird das Buch „wahr“. Durch die anspruchsvollen Passagen komplexer Theoriebildung hindurch brechen die Wasser einer Gefühlswelt, die anstatt der Qualität einer theoretischen Hundesympathie oder allgemeinen Tierschutzhaltung diejenige einer Freundschaft wahrnehmbar macht. Dem umfangreichen Buch tut das gut. Im selben Moment jedoch, in dem sich die Autorin wieder auf ihren theoretischen Anspruch besinnt, bricht diese Rede ab: ein Sprung aus der Tiefebene der Hunderennen in steil aufragende Begriffsgebirge.

Regeln für den Cyberpark

Der Topos einer Züchtung, die nach gewissen ästhetischen und funktionalen Kriterien vorgenommen wird, wird in das Modell der Gegenseitigkeit schlüssig eingeführt. Ein Foto etwa zeigt einen Cowboy, der von kongenialen Collies flankiert wird. Man erkennt sofort, wie beide sich, beinahe modisch, aufeinander abgestimmt haben. Das Eheartige, das solchen Formen des Zusammenseins leicht von außen anzusehen ist, tritt hervor. Es ist die Langzeitbeziehung zwischen Nicht-Identischen, die sie jeweils folgenreichen feedback-Schleifen aussetzt. Jeder kennt die Fotos von Jubelpaaren, die sich einander angeglichen haben, als wären sie Zwillinge. In der Züchtung geht es, wie auch an anderer Stelle ausgeführt worden ist, um das Spiel mit der „figure“, mit der Tendenz zum Schimärischen, das allen Lebewesen innewohnt. Man kann nichts züchten, lautet die neue Einsicht. Man kann sich nur gegenseitig züchten, es gibt nur “ Züchten und gezüchtet Werden“. Während man Peter Sloterdijk noch vor den Kadi schleifen wollte, als er in seinem viel diskutierten Aufsatz Regeln für den Menschenpark von Züchtung im Zusammenhang von Bildung sprach, käme niemand auf die Idee, in Donna Haraways lebendiger und stark autobiographisch gefärbter Wissenschaftsprosa zum Thema einen Anschlag gegen das Menschliche zu wittern.

Nach den Hunden kommen noch die Hühner und die Katzen zu Wort, schließlich Mixotricha paradoxa, wohl um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, man hätte eine Vorliebe für Säugetiere. In diesem Kleinstlebewesen ist bereits das zu lokalisieren, was den Biologen Ernst Haeckel an der Staatsqualle fasziniert hatte: Es ist eine Gesellschaft. Nachdem die Idee vom Menschlichen als geschlossene, überlegene Gesellschaft von Haraway schon in den Neunzigern, kräftig sekundiert durch die Medientheorie und die Diskussion zu Interfaces zwischen Mensch und Maschine, zur Disposition gestellt worden war, liest sich When species meet wie eine Versöhnungsschrift, gewidmet denjenigen Wesensgruppen, die auf der Stufenpyramide des Seins auf ihrer Ebene in Langeweile zu versinken drohten. Haraway hätte nämlich auch die heftigeren Aspekte der biosociality, den Kampf ums Dasein, um Nahrung, Territorium und Kopulationspartner, in den Fokus stellen können. Aber sie zieht einen avantgardistisch aufgebürsteten Konrad Lorenz vor, der auch schon auf den Hund gekommen war. Was versöhnlich stimmt, ist nicht nur die bereits aus den vorangegangenen Büchern tönende Stimmung der Tierliebe, die natürlich wacker gegen deren Verächter wie Deleuze & Guattari verteidigt wird. Es ist vielmehr der Umstand, dass es diesem Buch gelingt, klar zu machen, dass die Menschen Interaktions- und Tauschpartner für ebenbürtige Nicht-Menschliche sind.

Das Wissen der Tochter

Hat man einmal die Zell- oder Genomebene zum Ausgangspunkt für eine Sozialtheorie gemacht, liegt es natürlich auf der Hand, dass das Menschliche mit dem Nicht-Menschlichen bedeutend mehr gemein hat, als man denkt, so dass es sich nur mehr geringfügig von diesem unterscheidet. Die Menge, die sich in einem gemeinsamen Pool befindet, überwiegt in so hohem Maße, dass Haraway ganz richtig die Kardinalfrage stellt, was man denn genau fühle, wenn man seinen Hund berührt. Inwieweit teilt man sich, und zwar trotz der Zivilisations- und Zuchtgeschichte, dasselbe Phylum universaler Lebendigkeit? Inwiefern also ist mein Hund mein Ich, das ich vertikal in die Tiefe der biologischen Gegenseitigkeit (companionship, das gemeinsame Brot essen) hinab fühle? Lehren uns die Tiere eine Fähigkeit, die wir zu einer neuen „Menschlichkeit“ brauchten? Das wäre dann wohl die Eigenschaft, sich auf die radikale Zugänglichkeit des Anderen verlassen zu können. Das wiederum würde einen permanenten Wechsel der Gruppenidentität, sofern diese mit „species“ in Zusammenhang zu sehen ist, ermöglichen, ein Identitätsspiel. Nicht nur „weiblich“ und „männlich“, nicht nur „menschlich“ und „tierisch“ stünde da zur Disposition, sondern auch beispielsweise „heidnisch“ und „postmodern“ oder „muslimisch“ und „hindu“. Haraway schreibt in einer kryptisch-prophetischen Phrase, dass dies „vielleicht das Wissen der Tochter“ sei. Diese „Tochter“ erscheint da wie ein neuer, proteischer Signifikant: nicht-identisch, aber in allem. Die Tier-Identifikation mit den beschriebenen Facetten ist also offenbar nicht nur eine Sache von unverdrossenen totemistischen Stammesältesten, sondern auch von theoretical girls. Die Medientheorie ist nicht nur lautlich der Mädchentheorie nahe. Der radikale Totemismus der Tochter, das scheint die avantgardistische Lehre von heute zu sein.

Die von Haraway postulierte neue Geschwisterlichkeit lässt doch einige Fragen offen, die die Autorin gegen Ende des Buches auflistet. Es geht aber nicht mehr um die Mensch-Tier-Differenz – diese ist erfolgreich und endgültig eingeebnet –, sondern um die kulturphilosophisch relevante alte Differenz zwischen „wild“ und „technologisch-zivilisatorisch-akademisch-industriell-ökonomisch“. Gesetzt den Fall, so Haraway, eine Wildkatze hinterlässt Junge, die von einem Haushalt bestehend aus überqualifizierten, wissenschaftlich ausgebildeten Kriegsgegnern mittleren Alters aufgenommen werden, oder von einer Tierwohlfahrtsorganisation, die eine Ideologie zum Schutz des Wilden und Tierrechte propagiert: Wird das Tier garantiert glücklich werden? Die Wildheit bleibt, so Haraway, doch unsere ganze Hoffnung.

Elisabeth von Samsonow, geboren 1956, ist Professorin für philosophische und historische Anthropologie der Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien. Zuletzt erschien Anti-Elektra. Totemismus und Schizogamie (edition diaphanes, Zürich/Berlin 2007).

Quelle: Recherche 2/2008

Online seit: 10. September 2019

Donna Haraway: When species meet. University of Minnesota Press 2008.

Donna Haraway: Hunde mit Mehrwert und lebendiges Kapital. In: jour fixe initiative berlin (Hg.): Gespenst Subjekt. Unrast Verlag, Münster 2007.