Konsumkritik ist ein sehr altes, traditionsreiches Geschäft. Schon Hegel war der Meinung, dass die moderne, bürgerliche Gesellschaft zur Ausschweifung neige und dann, als deren Gegenstück, das Elend hervorbringe. „Der Mensch“, so führte er aus, „erweitert durch seine Vorstellungen und Reflexionen seine Begierden, die kein beschlossener Kreis sind wie der Instinkt des Tieres, und führt sie ins schlecht Unendliche“ (Hegel 1970: 343). Und er hatte auch schon eine Idee, wie man die Maßlosigkeit der Konsumenten erklären kann: „Es wird ein Bedürfnis daher nicht sowohl von denen, welches es auf unmittelbare Weise haben, als vielmehr durch solche hervorgebracht, welche durch sein Entstehen einen Gewinn haben“ (Hegel 1970: 349). Mit diesen beiden Aussagen hat Hegel zwei zentrale Themen der Konsumkritik, die bis heute die Diskussion bestimmen, vorweggenommen, nämlich erstens: Die Konsumenten sind unersättlich, sie wollen immer mehr und immer etwas Neues; zweitens: In Wirklichkeit wollen sie es gar nicht selbst, sondern es wird ihnen durch die Industrie und die Werbung aufgedrängt, sie werden manipuliert. Die marxistische Konsumkritik von Lukács über Adorno / Horkheimer bis Debord oder Haug, argumentierte auf dieser Linie. Die Konsumenten wurden hier als Marionetten der Konzerne und der Verwertungszwänge des Kapitals hingestellt. Adorno und Horkheimer gingen bekanntlich so weit zu behaupten, dass die Konsumenten eigentlich gar keine Entscheidungen mehr treffen; über sie wird vielmehr in den Planungsabteilungen der Konzerne entschieden. Die postmoderne Schule (Lyotard, Jameson) erblickte in dieser Theorie eine Bevormundung der Konsumenten. Der Konsum sei keine Sphäre der Unterdrückung, sondern im Gegenteil der Freiheit und der friedlichen Selbstentfaltung der Individuen (Featherstone 2007) – eine Sichtweise, die bei der anderen Seite natürlich wieder auf heftigen Widerspruch stieß. Dieses Wechselspiel von Kritik und Gegenkritik hat sich in der jüngeren Vergangenheit mit konsumkritischen Beiträgen z.B. von George Ritzer, Naomi Klein oder Benjamin Barber und Gegenpositionen wie etwa dem Konsumistischen Manifest von Norbert Bolz wiederholt.
Der „symbolische“ Konsum bestimmt heute den überwiegenden Teil der Konsummärkte.
Ich möchte dieses Spiel hier nicht fortsetzen und werde nicht versuchen, zu entscheiden, ob der Konsum nun ein Herrschaftsinstrument oder ein Vehikel der Befreiung ist. Vielmehr geht es mir darum, zunächst genauer zu klären, was mit der These von der Unersättlichkeit der Konsumenten selbst gemeint sein könnte. Ich werde einige theoretische Modelle zur Erklärung des Phänomens der Unersättlichkeit präsentieren und diskutieren. Dabei geht es mir vor allem darum, den inneren Zusammenhang zwischen Geld und der Dynamik des Konsums herauszuarbeiten. Die Phänomene der Konsumdynamik finden gerade heute, im Zusammenhang mit der Kritik an den Wachstumszwängen des Kapitalismus, wieder Aufmerksamkeit. Das unaufhörliche Wachstum der Bedürfnisse, so wird gesagt, sei heute zu einer Art Religion geworden, von der wir uns befreien müssen, um aus der ökonomischen und der ökologischen Krise herauszukommen. Wir müssen bescheidener werden und lernen, mit weniger auszukommen. Nicht nur Grüne (etwa Niko Paech), sondern auch Konservative wie Meinhard Miegel (2010) argumentieren so. Ich werde hier keine derartigen Botschaften verkünden. Bevor man das tut, so finde ich, sollte man erst einmal genauer analysieren und zu verstehen versuchen, woher der Drang nach Wachstum und Innovation im Konsumbereich eigentlich kommt. Dazu will ich einen Beitrag leisten.
II.
Was „wächst“ eigentlich, wenn wir von einem Wachstum des Konsums sprechen? Gemeint ist offensichtlich nicht nur die „Menge“ der gekauften Güter und Dienstleistungen (die man auch gar nicht einfach zusammenzählen könnte), sondern ihr Wert. Einem Vorschlag von Jens Beckert (2011) folgend, möchte ich zwischen drei Dimensionen der Wertbestimmung von Konsumgütern bzw. Dienstleistungen unterscheiden: Der physischen, der positionalen und der imaginären. Das heißt: Güter und Dienstleistungen gelten als wertvoll auf Grund ihrer physischen Eigenschaften, ihrer Funktionalität für die Befriedigung physischer Bedürfnisse (mit einem Fahrrad kann man von A nach B fahren, mit einem Mantel sich gegen die Kälte schützen). Sie können zweitens als wertvoll gelten auf Grund ihrer Signalfunktion für die soziale Position des Konsumenten (eine Patek-Philippe-Uhr oder ein Armani-Anzug z.B. weisen ihren Träger als Mitglied gehobener sozialer Schichten aus). Güter oder Dienstleistungen können aber schließlich auch als wertvoll erscheinen, weil sie Träume oder Imaginationen verkörpern, z.B. Schönheit, Jugendlichkeit, Kompetenz, Geborgenheit, Liebe oder das Gute im Menschen; dies wäre die imaginäre Dimension der Wertbestimmung. Wenn der Konsum „wächst“, dann meinen wir damit, dass die Wertschätzung der gekauften Konsumgüter in einer oder mehreren dieser Dimensionen wächst – und damit natürlich auch der Preis, der für sie bezahlt werden muss.
Unter dem physischen Gesichtspunkt kann Wachstum des Konsums sowohl eine Zunahme der Menge der Güter / Dienstleistungen als auch eine Veränderung ihrer Eigenschaften im Sinn einer Verbesserung ihrer materiellen Funktionalität bedeuten. Eine solche Entwicklung hat es im Zuge der „Fress“-, Bekleidungs- und Motorisierungswellen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts in Westeuropa auch tatsächlich gegeben. Die Ausstattung der Haushalte mit Automobilen, Kühlschränken, Waschmaschinen, Fernsehgeräten nahm sprunghaft zu (im Überblick: Haupt et al. 2009). Ebenso verbesserte sich die technische Leistungsfähigkeit dieser Geräte; in der Literatur werden diese Entwicklungen mit „Consumerism“ oder „Konsumgesellschaft“ bezeichnet. Ökonomen pflegen die physische Seite des Konsums zu betonen. Aus dieser Sicht gibt es das Problem der Unersättlichkeit nicht, denn es gibt eine „natürliche“ Tendenz zur Sättigung auf Grund des mit steigender Gütermenge abnehmenden Grenznutzens der Güter: Niemand kann zwanzig Schnitzel täglich essen oder fünfzig Videos gleichzeitig konsumieren. Der Wachstumstheoretiker Walt Rostow prophezeite deshalb vor fünfzig Jahren (Rostow 1960), dass die entwickelten Länder sich einem Stadium der „Reife“ auf Grund der hohen Sättigung der Bedürfnisse nähern würden.
Diese Prognose war keineswegs völlig falsch, wie wir heute wissen. Es ist zu einer deutlichen Abflachung der Konsumdynamik in den entwickelten Ländern gekommen; vor allem in den letzten zehn Jahren sind die realen Konsumausgaben der privaten Haushalte nicht mehr stark gestiegen. EU-weit betrug die jahresdurchschnittliche Steigerungsrate im Zeitraum 2001–2010 nur etwa 1,4 Prozent. Im Ausmaß der Konsumdynamik zeigen sich allerdings erhebliche nationale Unterschiede. In Österreich betrug die durchschnittliche Steigerungsrate 1,3 Prozent, in Italien und noch mehr in Deutschland kann man bei Raten von 0,6 und 0,4 Prozent fast von einer Stagnation des Konsums sprechen. In Großbritannien dagegen betrug der jahresdurchschnittliche Zuwachs 1,7 Prozent, in den USA 2 Prozent, in europäischen Ländern wie Irland oder Spanien waren die Zuwachsraten noch höher (alle Angaben aus: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Internationale Statistiken 2011). Erhebliche Unterschiede gibt es auch zwischen den Einkommensklassen. In einer Reihe von Ländern sind die realen Masseneinkommen schon seit Jahrzehnten nicht mehr gestiegen oder sogar gesunken. Das hat Haushalte mit geringeren Einkommen oft gezwungen, ihre Konsumausgaben zu begrenzen oder zu reduzieren. Dort, wo der Massenkonsum trotzdem weiter gestiegen ist, wie in Großbritannien und den USA, hat das zu einer starken Zunahme der Verschuldung der Haushalte geführt. In den höheren Einkommensgruppen dagegen war nicht nur die Entwicklung der Einkommen auf Grund überproportional steigender Erwerbs- und vor allem Vermögenseinkommen deutlich positiver, sondern auch die der Konsumausgaben. Vor allem der Luxuskonsum zeigte hohe Zuwachsraten.
Die Unersättlichkeit des Konsums, so viel zeigt der Überblick über die Daten, ist vor allem ein Phänomen der mittleren und gehobenen Einkommensgruppen. Einer im Jahr 1995 durchgeführten Umfrage unter amerikanischen Konsumenten mit einem Jahreseinkommen von mindestens 100.000 $ zufolge waren 27 Prozent der Befragten der Meinung, sich nicht alles leisten zu können, was sie wirklich benötigten. Und der Anteil derjenigen, die Zweit- und Drittautos sowie Fernsehgeräte auch in den Schlaf- und Kinderzimmern für unabdingbar hielten, ist in den USA in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen (Schor 1998: 7). Steigende Einkommen, so zeigt sich hier, führen trotz der tendenziell sinkenden materiellen Konsumneigung nicht automatisch zu einer „Sättigung“ der Bedürfnisse. Die Konsumforschung erklärt dies mit der These, dass Konsum nicht nur eine materielle bzw. physische, sondern auch eine symbolische Seite hat. Dieser „symbolische“ Konsum bestimmt heute den überwiegenden Teil der Konsummärkte. Konsumgüter „sind“ nicht nur etwas, sondern „bedeuten“ auch etwas. Durch die Art, wie sie sich kleiden, wohnen, den Urlaub verbringen usw. ordnen sich die Konsumenten nicht nur in vorgegebene bzw. durch die Konsumindustrie geprägte Muster und soziale Erwartungen ein. Sie möchten sich vielmehr in einer bestimmten Weise präsentieren, ihre Person, ihre Zugehörigkeiten, Eigenschaften, Fähigkeiten in einem positiven Licht darstellen und daraus einen Distinktionsgewinn erzielen.1 Anders als materielle Bedürfnisse scheint der Hunger nach solchen Inszenierungen in der Tat grenzenlos zu sein, und er nimmt mit steigendem Einkommen offenbar nicht ab, sondern zu. Von Schopenhauer stammt das Bonmot, mit dem Geld verhalte es sich wie mit dem Seewasser: Je mehr man davon trinke, desto durstiger werde man. Das gleiche scheint auch für den symbolischen Konsum zu gelten. Das verweist auf einen Zusammenhang zwischen symbolischem Konsum und Geld. Dieser Zusammenhang ist, wie ich zeigen möchte, nicht nur äußerer, sondern innerer Art. Der Unterschied zwischen Reichtum und Armut reduziert sich nicht auf eine ungleiche „Verteilung“ der Güter, d.h. dass der Reiche viel, der Arme wenig hat, wie oft oberflächlich gesagt wird. Entscheidend ist vielmehr – dies hat Simmel herausgearbeitet –, dass das Geld den Reichen in die Lage versetzt, wählen zu können. Selbst wenn er sich für eine asketische Lebensweise entscheidet, ist das Ausdruck einer freien Wahl. Die Wahlfreiheit, die der Reiche auf Grund seines Geldes genießt, lässt den Appetit auf Güter erst entstehen, die sonst unerreichbar fern erschienen. Der Arme dagegen hat keine Wahlfreiheit; er kann immer nur das Nötigste und Billigste nehmen. „Symbolisch“ konsumieren heißt: dem Zwang der puren Lebensnotwendigkeit enthoben sein, wählen können, sich selbst in seinen Konsumentscheidungen ausdrücken können, und das setzt natürlich Geld und ein Einkommen voraus, das mehr als das Notwendige abdeckt. Das soziale Stigma der Armut beruht genau auf dieser Differenz. Bourdieu spricht vom „Geschmack der Notwendigkeit“, aber genau genommen ist der Punkt ja, dass der Arme sich einen „Geschmack“ überhaupt nicht leisten kann, dass seiner ganzen Erscheinung der Geruch der Notwendigkeit anhaftet.
Die Symbolik des Konsums ist keineswegs ein ausschließlich modernes Phänomen. Auch in der ständischen Gesellschaft waren die Unterschiede von Kleidung, Möblierung, Nahrung symbolisch hoch aufgeladen, wobei hier die positionale Symbolik dominierte. Im ständischen System hatten alle Untertanen ihren festen Platz, und das Konsumverhalten war sichtbarer Ausdruck dieses sozialen Status. Aufwand und Repräsentation fungierten als Marker für eine als gottgegeben betrachtete Sozialhierarchie. „Wer mehr konsumierte als ihm standesgemäß zustand, störte diese Ordnung und geriet in den Geruch der Sünde“ (Tanner 2009: 337). Vor allem die Bekleidung war deshalb auch durch detaillierte Konventionen und Vorschriften festgelegt. So galt in Italien im 14. Jahrhundert für die Länge der Schnabelschuhe von Fürsten und Prinzen 2 ½ Fuß, für höhere Adlige 2 Fuß, für einfache Ritter 1 ½ Fuß (Ziege 2011: 142). Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts lassen sich zwei Entwicklungen beobachten: Zum einen die Dynamisierung der positionalen Symbolik, zum anderen die Lösung der Konsumsymbolik von der Statusdimension überhaupt und ihre Erweiterung zur imaginären Symbolik. Beides sind die zentralen Momente der modernen „Unersättlichkeit“ des Konsums, die ich im Folgenden näher betrachten werde.
Die Unersättlichkeit des Konsums, so viel zeigt der Überblick über die Daten, ist vor allem ein Phänomen der mittleren und gehobenen Einkommensgruppen.
Die Dynamisierung des Konsums lässt sich zunächst als prozessuale Entfaltung einer in der Symbolik des Konsums selbst angelegten Paradoxie begreifen. Sie besteht darin, dass der eigene Lebensstil einerseits als nachahmenswert und vorbildlich präsentiert wird; auf der anderen Seite aber möchte man die Nachahmung durch andere gerade verhindern, weil dadurch der Distinktionswert des betreffenden Lebensstils zerstört wird. Lebensstile „laden also zur Nachahmung ein und suchen sie zugleich unmöglich zu machen (beispielsweise durch das Erfordernis besonderer Kennerschaft und Natürlichkeit in der Darstellung eines Habitus, oder schlicht durch finanzielle Hürden)“ (Zick-Varul 2004: 23). Es war das Ziel der erwähnten Kleiderordnungen der Ständegesellschaft, solche Nachahmungen zu unterbinden. Zwar kann die bereits dem 13. Jahrhundert zunehmende Zahl und Akribie dieser Ordnungen (Ziege 2011: 142) als Reaktion darauf interpretiert werden, dass die Menschen schon damals versuchten, die Ordnungen zu durchbrechen oder zumindest ihre Grenzen zu testen. Aber es kam noch nicht zu massenhaften Nachahmungsbewegungen. Die ständischen Geschmackshierarchien blieben im Großen und Ganzen intakt bzw. änderten sich kaum.
Ein erster großer Durchbruch in Richtung Dynamisierung scheint in England in den 60er- und 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts stattgefunden zu haben (McKendrick et al. 1982). Vor allem in London entwickelte sich damals eine veritable „Konsumrevolution“: Ein wohlhabend gewordenes mittelständisches Publikum von Handwerkern, Kaufleuten, Landwirten und Beamten stattete sich in großem Stil mit Gegenständen aus, die bislang als „Luxus“ galten und den höheren Ständen vorbehalten waren: Seidenkleider, Porzellangeschirr, Stilmöbel, Kinderspielzeug, Frauenzeitschriften und vieles andere mehr. Zugleich kam es zu einer „Freizeitrevolution“: Theater- und Konzertbesuche, der Besuch von Pferderennen oder Landausflüge wurden zu festen Gewohnheiten bürgerlichen Lebens. Hintergründe dieser neuen bürgerlichen Lust am Konsum waren – folgt man den Analysen von McKendrick et al. – zum einen die gestiegenen Geldeinkommen, zum anderen das Bedürfnis nach Nachahmung des Lebensstils der adligen Eliten; unterstützt wurde die Entwicklung durch die bereits damals recht offene Ständestruktur der englischen Gesellschaft.
Die massenhafte Nachahmung bis dahin exklusiver Lebensstile setzte einen für den modernen Konsum charakteristischen dynamischen Mechanismus in Gang, der in der Konsumsoziologie mit dem Stichwort „trickle-down“ beschrieben wird (klassisch: Simmel 1989: 639/49, 1995 sowie McCracken 1985, 1988): Soziale Aufsteiger bemühen sich, ihre pekuniäre Potenz auch äußerlich sichtbar in soziale Respektabilität zu übersetzen. Dazu ahmen sie die Lebensstile der jeweils höheren Schichten nach und eignen sich deren Konsumsymbole an. Diese diffundieren damit gleichsam nach „unten“ (trickle down) und verlieren ihren Distinktionswert. Die höheren Schichten reagieren darauf, indem sie ihre alten Symbole aufgeben und neue Vorlieben entwickeln, durch die sie sich wiederum von der Masse abheben können. Tennis mag z.B. ursprünglich eine sozial höheren Kreisen vorbehaltene Sportart gewesen sein. Wenn dagegen Krethi und Plethi anfangen, Tennis zu spielen, dann muss nach neuen sportlichen Betätigungen gesucht werden, bei denen man wieder unter sich sein kann, z.B. Golf usw. Angetrieben durch die gegenläufigen Motive der Imitation einerseits, der Distinktion andererseits, kommt so ein sich selbst perpetuierender Mechanismus der Erzeugung immer neuer Konsummoden in Gang. Wie McCracken (1985) gezeigt hat, werden die Eliten dabei allein durch das Motiv der Distinktion getrieben, die untersten Schichten dagegen durch das der Imitation. In den mittleren Schichten herrschen dagegen ambivalente, zwischen Imitation und Distinktion hin- und herschwankende Motivlagen vor.
Was den trickle-down-Prozess historisch in Gang setzte, war, wie Veblen, Bourdieu und viele andere gezeigt haben, der Wettbewerb bürgerlicher und kleinbürgerlicher Aufsteiger um soziale Reputation. Aber hinter dieser Triebkraft stand noch etwas anderes: die ständische Unterschiede nivellierende Macht des Geldes. Geld macht Privilegien zugänglich, die ursprünglich unverrückbar durch die individuelle Herkunft zugeteilt schienen. Geld bricht die ständische Blockierung der Paradoxie der Konsumsymbolik (ich darf das Vorbildliche nicht nachahmen) auf und ermöglicht ihre dynamische Entfaltung. Der Anspruch der Aufsteiger auf einen privilegierten sozialen Status, den sie auch in den sichtbaren Attributen ihrer Lebensführung zum Ausdruck bringen möchten, stützt sich auf ihre durch Markterfolge erreichte Zahlungsfähigkeit. Besonders ehrgeizige Aufsteiger, deren finanzielle Potenz eigentlich noch nicht ausreicht, können die Insignien der gewünschten privilegierten Position auch vorwegnehmend, durch Kredit erwerben. Sie handeln nach dem Motto: mehr scheinen als sein und spekulieren darauf, dass der Schein sich rückwirkend in Realität verwandelt; zusätzlich setzen sie sich selbst unter Druck, das angestrebte Ziel auch zu erreichen.
Das normative Bezugssystem, an dem sich das Auszeichnungsbedürfnis orientiert, ist in dem Modell des positionalen Konsums jedoch selbst noch durch die ständische Vorstellung einer natürlichen Hierarchie sozialer Respektabilität geprägt. Die Akteure bleiben auf die ständische Wertehierarchie fixiert, ohne zu sehen, dass sie diese Hierarchie durch ihr eigenes Verhalten untergraben und nivellieren. Das Distinktionsbedürfnis der oberen Schichten lässt zwar neue Symbole sozialer Exzellenz entstehen, die jedoch nicht länger die gleiche Aura gediegener Legitimität („Patina“) ausstrahlen wie die alten. Wir haben es hier mit einer unvollständigen, gleichsam auf halbem Wege stecken gebliebenen Form der Dynamisierung des symbolischen Konsums zu tun. Vor allem dort, wo sich breite, finanziell wohlsituierte Mittelschichten gebildet haben, wirkt der positionale Konsument leicht als Streber. Der Erklärungswert des trickle-down-Konzepts ist deshalb in der neueren Literatur umstritten. Einige Autoren (schon Blumer) haben argumentiert, dass die Theorie eigentlich nur auf Übergangsprozesse von vormodernen in moderne Verhältnisse passt; Campbell 1988 bezweifelt das freilich schon im Hinblick auf die englische Konsumrevolution. Andere vertreten die These, dass der positionale Konsum in der modernen Gesellschaft unverändert relevant sei (McCracken 1985). Unter dem Einfluss der Medien sei es allerdings zu einer Entgrenzung der sozialen Referenzsysteme gekommen derart, dass statt des Lebensstils der nächsthöheren Schichten der der „Reichen“ zum allgemeinen Idol wird (Schor 1998). Unbestritten ist freilich, dass Nachahmungs- und Differenzierungsprozesse sich in fortgeschrittenen Gesellschaften nicht länger nur von den unteren zu den oberen Schichten hin entwickeln, sondern auch seitwärts und sogar abwärts („trickle up“). Die dem Konsum zu Grunde liegenden Leitbilder und ästhetischen Ideale sind offener geworden und werden nicht mehr allein durch die Konkurrenz um sozialen Aufstieg geprägt.
An dieser Stelle tritt nun die Theorie des imaginären Konsums in den Blick, die auf Colin Campbell (1987) zurückgeht. In ihrem Zentrum stehen drei Thesen:
Erstens: Moderne Konsumenten sind primär nicht an materiellen Befriedigungen interessiert (die als gesichert vorausgesetzt werden). Ihre Aufmerksamkeit dreht sich um ihre eigenen „Tagträume“, d.h. Fantasien über eine schönere, angenehmere, liebevollere, spannendere Welt, denen sie nachhängen und die ihnen unvergleichlich mehr Befriedigung bieten als materielle Objekte es je könnten. Allerdings wollen die Konsumenten nicht nur träumen, sondern ihre Träume auch ausleben. Der Konsum ist dann ein Hilfsmittel, das sie wie ein Theaterrequisit für die Inszenierung ihrer Träume brauchen (Campbell 1987: 89/90).
Zweitens: Tagträume entstehen unter dem Einfluss der kulturellen Umwelt. Die Leute bummeln in Einkaufsparadiesen, sehen Filme und Werbespots, lesen Romane und lassen sich dadurch in ihren Fantasien stimulieren. Die Produktion der Tagträume selbst ist gleichwohl ein genuin individueller Akt: „No two ,individual‘ experience of the product will be the same, just as no two people ever read the same novel“ (Campbell 1987: 92). Den Konsumenten geht es – soweit zumindest die Sicht von Campbell – allein um die Befriedigung ihrer ureigenen, höchstpersönlichen Fantasien. Er oder sie möchte ein Idealbild von sich selbst als z.B. schön, jugendlich, sportlich, überlegen, edelmütig etc. inszenieren. Weder das Bedürfnis nach Nachahmung, noch die soziale Statuskonkurrenz spielen eine entscheidende Rolle. Es kommt nicht darauf an, dass ich anderen gefalle, sondern vor allem muss ich mir selbst etwas Gutes tun. Dieses ichbezogene Motiv findet sich auch in vordergründig altruistischen Konsuminszenierungen, z.B. in dem so genannten „ethischen“ Konsum, oder in Bildern „romantischer“ Liebe (Zick-Varul 2010, Illouz 2003). Denn auch hier ist das Wohlgefühl, das ich als „guter“ bzw. als „geliebter“ Mensch mit mir selbst habe, der entscheidende Antrieb. Im Unterschied zu dieser extrem individualistischen Interpretation des hedonistischen Konsums bei Campbell dominiert freilich in der neueren Forschung die Auffassung, dass auch die ästhetischen Idole der Konsumenten durch soziale Muster, d.h. Konsummilieus und entsprechende Lebensstile bestimmt sind. Einflussreiche Milieumodelle dieser Art sind die durch Schulze oder die durch das Sinus-Institut (Sinus 2005) entwickelten. Im Unterschied zur positionalen Konsumästhetik stehen die Milieus nicht mehr in einem eindeutigen hierarchischen Verhältnis zueinander. Gleichwohl spielen die Bildung und damit indirekt auch das Einkommen als hierarchisierende Prinzipien nach wie vor eine wichtige Rolle; insoweit überschneiden sich hedonistischer und Positionskonsum.
Anders als materielle Bedürfnisse scheint der Hunger nach solchen Inszenierungen in der Tat grenzenlos zu sein.
Drittens: Der moderne, auf imaginativen Hedonismus gestützte Konsum ist seiner Natur nach unersättlich. Die Konsumenten können nicht unendlich in ihren Fantasien schwelgen; irgendwann muss der Schritt in die Realität gewagt und der Kauf getätigt werden. Aber jeder Kauf endet in Enttäuschung, denn das gekaufte Objekt bleibt notwendigerweise hinter den Wünschen und idealisierten Erwartungen zurück, die man mit ihm verknüpft hatte. Manche Konsumenten reagieren auf die Enttäuschung so, dass sie sich zunächst noch nicht von dem Traum selbst verabschieden, sondern nur seine Inszenierung durch weitere Käufe zu vervollständigen suchen. Man spricht hier von dem „Diderot-Effekt“, nach dem Philosophen Diderot, der einen neuen Morgenmantel geschenkt bekam und daraufhin das Gefühl hatte, seine ganze Wohnung umgestalten zu müssen (McCracken 1988: 120–21). Wer sich als Staralpinist nach dem Vorbild Reinhold Messners inszenieren möchte, braucht nicht nur den entsprechenden Eispickel, sondern auch die Schneebrille, den Anorak, die Schuhe usw. Eine Anschaffung erzeugt so den Bedarf nach weiteren. Man kann die Desillusionierung auch dadurch aufzuschieben versuchen, indem man sich gleich für mehrere Traumwelten gleichzeitig ausstattet: „Jeder Wechsel bestätigt dann die eigenen Möglichkeiten; man genießt es, sich als vielseitig, flexibel, offen und selbstbewußt zu erleben. War es früher höchstens Kleidung, wovon man eine gewisse Bandbreite besaß, so nennen heute viele ebenso mehrere Armbanduhren und Sonnenbrillen, diverse Parfüms und verschiedene Korkenzieher ihr eigen.“ (Ullrich 2008: 54) Aber verhindern lässt sich die Desillusionierung auch so letztlich nicht: Irgendwann lässt sich nicht verdrängen, dass es sich eben um Inszenierungen handelt, dass ich nicht Reinhold Messner bin. Dann ist die Enttäuschung umfassend, mit der Folge, dass die Gegenstände, kaum gekauft, in die Ecke gestellt oder gleich entsorgt werden. Die Enttäuschung bereitet aber nur den Boden für ein umso intensiveres Wünschen, für die Entstehung gänzlich neuer Träume und in der Folge neuer Käufe usw.
Sehnsucht – Kauf – Desillusionierung – neuer Kauf: das ist das Muster, nach dem sich der imaginäre Konsum entwickelt. Was das Handeln der Konsumenten antreibt, ist die Suche nach Erlebnissen und ästhetischen Stimulierungen, und diese Suche birgt in sich die Tendenz zur Unersättlichkeit. „Erlebnisorientierung“ – so formuliert es Gerhard Schulze – „wird zum habitualisierten Hunger, der keine Befriedigung mehr zulässt. Im Moment der Erfüllung entsteht bereits die Frage, was denn als nächstes kommen soll, so daß sich Befriedigung gerade deshalb nicht mehr einstellt, weil die Suche nach Befriedigung zur Gewohnheit geworden ist“ (Schulze 1993: 65).
III.
Bei der Analyse der Konsumdynamik stellen sich gleichwohl noch viele offene Fragen. Noch nicht befriedigend geklärt ist vor allem, wie sich die erlebnisorientierte „Unersättlichkeit“ des einzelnen Konsumenten in die Transformation von Konsummilieus übersetzt. Wie kommt es zum Entstehen neuer Konsummilieus und zum Absterben alter? Welchen Anteil haben die Milieuforschung und die Werbung selbst an der Erzeugung jener Milieus, die sie angeblich nur „beobachten“? Außerdem müsste eine angemessene Theorie der Konsumdynamik in der Lage sein, nicht nur die extrovertierten Seiten des Konsums zu erklären, sondern auch die introvertierten, negativen Formen wie Geiz, Askese, die „Kunst des stilvollen Verarmens“ (v. Schönburg 2005), von denen in der Gegenwart immer mehr die Rede ist, auch bei Miegel und Paech. Nicht nur das Konsumverhalten, sondern auch sein Gegenteil, das Anlage- und Sparverhalten, müsste in den Blick genommen werden. Das führt zu der schon angesprochenen Frage nach dem Zusammenhang zwischen Konsum, Lebensstilen und Geld. Wir hatten bereits gesehen, welche zentrale Rolle Geld für die Dynamisierung des positionalen Konsums und die Entfaltung der in ihm angelegten Paradoxien gespielt hat. Die Bedeutung des Geldes für den imaginären Konsum dagegen ist in der Forschung bis heute vergleichsweise unterbelichtet geblieben. Dazu möchte ich abschließend noch einige Ideen vortragen, die auch meine geplante Arbeit leiten werden.
Dass man für den Erlebniskonsum Geld braucht, dass Geld eine unentbehrliche „Ressource“ ist, um an dem Erlebniskonsum überhaupt teilnehmen zu können, dass der „Erlebnismarkt“ folglich auch nach Zahlungsfähigkeit hierarchisiert ist – all das scheinen Binsenweisheiten zu sein. Aber die Konsumsoziologie ist bis heute kaum über die Feststellung dieser Binsenweisheiten hinausgekommen; für das Geld interessiert sie sich mit Ausnahme weniger Autoren im Grunde überhaupt nicht. Ich möchte hier unter Rückgriff auf Georg Simmel die These vertreten, dass die Beziehung zwischen Konsum und Geld nicht nur eine „äußere“ ist, wie die Konsumsoziologie es sieht, sondern auch eine innere. Das heißt: Geld hat für den Konsum nicht nur die Bedeutung einer externen Bedingung oder Restriktion; vielmehr lässt es die Konsumwünsche selbst erst entstehen. Die ästhetisierenden Potenzen, die die Konsumforschung dem Konsum zuschreibt, wohnen vielmehr dem Geld, genauer: der Vermögensnatur des Geldes selbst schon inne. Und wenn das richtig ist, dann folgt daraus, dass der Erlebniskonsum und seine Unersättlichkeit nicht allein der Psyche des individuellen Konsumenten entstammt, sondern vor dem strukturellen Hintergrund der Vermögensnatur des Geldes verstanden werden muss. Diese These würde zugleich die Möglichkeit eröffnen, Konsum- und Anlageverhalten, Konsum- und Finanzsphäre in einer integrierten Perspektive zu analysieren.
Simmel (1989) beginnt seine berühmte Philosophie des Geldes bekanntlich mit einer Erörterung der Frage, wie es dazu kommt, dass wir den Dingen einen „Wert“ beimessen. Seine Antwort lautet: Das Wertphänomen entsteht in einem „mittleren“ Zustand zwischen Haben und Nichthaben, zwischen Besitzen und bloßem Vorstellen bzw. Anschauen; Simmel stellt hier eine Analogie mit Platons Charakterisierung der Liebe als „mittlerer Zustand zwischen Haben und Nichthaben“ her (1989: 49). Wertvoll ist ein Objekt weder dann, wenn es uns unerreichbar fern ist (wie z.B. der Sternenhimmel), noch dann, wenn es sich unmittelbar in unserem Besitz befindet (wie mein Arm, dessen Wert ich erst dann zu schätzen weiß, wenn ich ihn z.B. als Folge eines Unfalls verliere). Entscheidend ist vielmehr, dass das Objekt uns erreichbar ist, ohne dass wir es direkt „haben“. Genau dieser „mittlere Zustand“ wird nun, wie Simmel feststellt, durch das Geld hergestellt. Das Geld bildet eine „höhere Potenz des Eigentumsbegriffs“ (S. 413), d.h. es bildet ein denkbar allgemeines, sachlich, sozial, zeitlich unbestimmtes privates Eigentumsrecht. Mit Geld kann ich in einer modernen Gesellschaft auf fast alles zugreifen: Nicht nur auf eine unermessliche Vielfalt schon hergestellter Güter und Dienstleistungen, sondern auch auf Boden, Land, Arbeit als die Voraussetzungen zu ihrer Herstellung und damit indirekt auch auf das, was mit diesen Mitteln hergestellt werden könnte. Geld stellt mir die hergestellten oder herstellbaren Güter freilich nicht als aktuellen, sondern nur als potenziellen Besitz zur Verfügung. Ich könnte zugreifen, muss es aber nicht; die Knappheit des Geldes zwingt mich vielmehr, zu wählen und zu entscheiden. Indem es diesen mittleren Zustand zwischen Haben und Nichthaben herstellt, bildet Geld nach Simmel erst die Bedingung bzw. den Rahmen, in dem Güter überhaupt als wertvoll erscheinen können. Als „wertvoll“ empfinden kann ich ein Gut nur, weil ich dafür zahlen muss.
Folglich leitet sich der Wert des Geldes – so die noch immer unter Ökonomen herrschende Sichtweise – nicht etwa aus einem irgendwie marktextern gegebenen „Wert“ der Güter ab. Folgt man der Simmel’schen Sichtweise, so ergibt sich der Wert der Güter vielmehr umgekehrt erst aus dem Geld. Wichtig am Geld ist nicht nur, was ich konkret dafür erwerbe, sondern viel mehr noch, was ich dafür erwerben könnte. Durch Kaufen lebe ich nur etwas aus, was in dem Geld an sich schon angelegt ist. Dieses Erwerbenkönnen – Simmel spricht auch vom „Vermögenscharakter“ des Geldes (S. 276) – ist etwas anderes und mehr als das konkrete Erwerben und Besitzen; es gewinnt einen Eigenwert als das, was den Dingen ihren Wert erst verleiht. Der Eigenwert bzw. der Möglichkeitsraum des Geldes als solcher ist im Gegensatz zum relativen Wert niemals realisierbar oder einlösbar, denn die Summe des Hergestellten und Herstellbaren, die sein Gegenstück bildet, ist keine bestimmbare Größe. Zwar könnte ich auf alles zugreifen – wenn ich nur genug Geld hätte. Aber ich habe nie genug. Hinter der Unersättlichkeit des Konsums steht mithin noch eine andere Unersättlichkeit: die Begierde nach dem Geld selbst. Die „Unersättlichkeit“ des symbolischen Konsums ist – sieht man sie aus dieser Simmel’schen Perspektive – nichts anderes als die Folge eines „Abfärbens“ des Vermögenscharakters des Geldes auf die Güterwelt. Hinter der Vielfalt der Träume und Erlebnisse des modernen Konsumenten steht nichts anderes als der im Geldvermögen selbst angelegte Traum aller Träume: Wenn ich nur über genug Geld verfügte, kann ich alles, was die Menschheit kann; ich kann mir nicht nur alle Güter der Welt kaufen, sondern auch Bildung, Macht, Ansehen, Schönheit, Gesundheit, Jugend – und mit der Jugend die Macht, die Zeit umzukehren (Ullrich 2008: 95f.). Die vielen in der Lebensstilforschung beschriebenen milieuspezifischen Ausdifferenzierungen des Erlebniskonsums lassen sich als Abkömmlinge der einen, großen Utopie absoluten Reichtums begreifen. Überwältigt von ihr, stehen die Konsumenten vor der Herausforderung, sie mit ihrer Lebensrealität zu vermitteln. Nicht wenige Menschen sind dabei überfordert; sie scheitern und entwickeln pathologische Reaktionsweisen.
Simmel unterscheidet extrovertierte und introvertierte Formen des Auslebens der Geldutopie. Die erste Form fasst er in der Figur des „Verschwenders“ (S. 322), bei dem sich die Verabsolutierung des Geldwerts in einer sinnlos erscheinenden Lust am Geldausgeben äußert. Wie Campbells imaginativer Hedonist braucht er zwar noch den Kaufakt, um sich seiner Träume zu vergewissern. Aber wie jener ist er an den Gütern selbst eigentlich nicht interessiert, sondern an der Selbstbestätigung durch den Akt des Ausgebens. Der zweite Typus – Simmel nennt ihn die „geizige“ Form der Geldgier – ist in der Lage, gänzlich auf die sinnliche Rückkoppelung seiner Träumereien zu verzichten. Der Geizige ist durch die bloße Potenzialität des Besitzens schon so überwältigt, dass er sie über alles schätzt. Das berauschende Gefühl, was ich alles haben könnte, geht ihm über jeden konkreten Besitz. Die Verabsolutierung des Geldwerts zeigt sich hier in dem Widerstreben, das Geld überhaupt aus der Hand zu geben. Gegenüber Gütern bietet das Geld überdies den Vorteil, enttäuschungsfest zu sein. Allerdings bezahlt der Geizige diesen Vorteil mit dem nagenden Gefühl, nie genug Geld zu haben und setzt sich damit unter einen dauernden Akkumulations- und Vermehrungsdruck. Das Rauscherlebnis ist beim Geizigen das gleiche wie beim Verschwender, mit dem Unterschied, dass der Verschwender noch auf eine Stimulierung der Sinne durch Kaufhandlungen angewiesen bleibt, während der Geizige seinen Erlebnishöhepunkt gerade in der bloßen Potenzialität des Besitzens findet. Das Geld, das als reines Mittel erschien, wird in beiden Fällen zum absoluten Zweck des Handelns, freilich in unterschiedlicher Weise. Es gibt auch Konsumenten, die versuchen, beide Erlebnisweisen zu kombinieren, nach dem Prinzip „Geiz ist geil“: Man gibt Geld mit dem Ziel aus, möglichst viel davon zu behalten (Ullrich 2008: 62)
Diese Typisierung mit ihrer eingebauten „Verzweigung“ scheint mir analytisch vielversprechend zu sein und ließe sich in beide skizzierte Richtungen vertiefen. Der Typus des Verschwenders entspräche dem des Erlebniskonsumenten oder des imaginativen Hedonisten, und er ließe sich auch für die Analyse von Geldpathologien wie Kaufsucht fruchtbar machen. Vom Typus der geizigen Geldgier dagegen führt eine gerade Linie zu der heute so einflussreichen Figur des Finanzinvestors, aber auch zu Erscheinungen wie Askese und Pedanterie. Mit Simmel lässt sich erklären, inwiefern hinter diesen auf den ersten Blick konträren Verhaltensweisen ein gemeinsamer Kern steckt: nämlich das Geldvermögen als Absolutum. Von hier aus ließen sich auch vielversprechende Verbindungen zu der Diskussion über die religiösen Dimensionen des Konsums (Beckert 2010, 2011, Featherstone 2007: 110) herstellen. Und die „Unersättlichkeiten“ sowohl des Finanzinvestors als auch des Erlebniskonsumenten lassen sich auf die der Vermögensnatur des Geldes innewohnende Wachstumslogik zurückführen.
IV.
Ich fasse zusammen: In den ersten Abschnitten des Vortrages habe ich genauer zu klären versucht, in welchem Sinne von einer „Unersättlichkeit“ der Konsumenten die Rede sein kann. Wir sind auf die symbolische Seite des Konsums und die ihr innewohnenden Paradoxien als Kern dieser Unersättlichkeit gestoßen. Mit dem positionalen und dem imaginären Konsum habe ich dann die in der konsumsoziologischen Literatur beschriebenen beiden Grundformen des symbolischen Konsums beschrieben. Im Gegensatz zu dem noch ständischen Vorbildern verhafteten positionalen Konsum stellt der imaginäre Konsum die eigentlich moderne Form dar. Den beiden Grundformen des Konsums entsprechen zwei dynamische Ansätze – der trickle-down-Ansatz einerseits, die Modelle der imaginären Unersättlichkeit bzw. des Diderot-Effekts andererseits –, mit denen sich ihre Veränderungslogik konzeptualisieren lässt. Die Dynamik beruht in beiden Fällen darauf, dass die Konsumenten vorgegebene symbolische Muster nicht nur übernehmen, sondern sich durch die Art der Übernahme individuell positionieren und profilieren. Dabei ist Geld das zentrale Vehikel dieser Profilierung. Diesen Zusammenhang habe ich im dritten Schritt anhand von Simmels Überlegungen zum Zusammenhang zwischen der Ästhetik des Geldes und der des Konsums vertieft. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten, hier ergibt sich aber auch die vielversprechende Möglichkeit, die Unersättlichkeit des Konsums aus dem der Vermögensnatur des Geldes selbst innewohnenden Wachstumsimperativ heraus zu deuten und das Verhalten der Konsumenten und das der Finanzanleger in einer integrierten Perspektive zu analysieren.
Die ästhetisierenden Potenzen, die die Konsumforschung dem Konsum zuschreibt, wohnen vielmehr dem Geld, genauer: der Vermögensnatur des Geldes selbst schon inne.
Folgerungen ergeben sich auch im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der aktuellen Wirtschaftskrise immer beliebtere Wachstumskritik: Es reicht nicht aus, die Unersättlichkeit der Konsumenten allein für die Wachstumszwänge des Kapitalismus verantwortlich zu machen. Diese Diagnose ist nicht falsch, aber zu kurz gegriffen, auch schon, weil sie die Seite der Produktion und die Bedeutung von Geld und Profit für die Produktion vernachlässigt. Wer die Unersättlichkeit des Konsums kritisiert, kann vom Geld und der Gier nach ihm nicht schweigen. Es handelt sich primär um ein Problem der vermögenden, mittleren und oberen Schichten der Bevölkerung. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung auch in den entwickelten Ländern dagegen kann sich den symbolischen Konsum angesichts sinkender Realeinkommen gar nicht leisten; sie konsumiert nur materiell, d.h. eigentlich gar nicht. Es wäre absurd, wenn die heute kursierenden Sparappelle ausgerechnet die treffen würden, bei denen sich ohnehin nichts mehr einsparen lässt. Und so berechtigt die Kritik am symbolischen Konsum der vermögenden Mittel- und Oberschichten und seinen aufreizenden Begleiterscheinungen sein mag: Mehr Konsumaskese würde das Problem des Überflusses an anlagesuchenden Finanzvermögen nur noch vergrößern und damit mitnichten einen Weg aus der Krise weisen. Und müssten nicht große Teile der Konsumindustrie mangels Gewinnen dichtmachen? Wer den Wachstumszwängen des Kapitalismus auf den Grund gehen will, wird schon ein wenig tiefer bohren müssen. Hinter der Unersättlichkeit des Konsums steht, wie ich zu zeigen versuchte, mehr als nur als eine verquere „Psychologie“ der Konsumenten: die Vermögensform des Geldes als genuin gesellschaftliche, Konsum und Produktion übergreifende Realität. Ohne eine subjektive und objektive Entzauberung der Geldutopie, und das heißt: ohne eine institutionelle Begrenzung und Einbindung geldgestützter privater Eigentumsansprüche wird eine vernünftige Selbstbegrenzung des Konsums kaum gelingen können.
Anmerkung
1 Georg Simmel hat darauf aufmerksam gemacht, dass man diesen Gewinn allein durch quantitative Steigerung bestehender Trends erreichen kann, ohne eigentlich individuell sein zu müssen. Die Mode, so führt er aus, ermöglicht einen „sozialen Gehorsam …, der zugleich individuelle Differenzierung ist. In dem Modenarren erscheinen die gesellschaftlichen Forderungen der Mode auf eine Höhe gesteigert, auf der sie völlig den Anschein des Individualistischen und Besonderen annehmen. Ihn bezeichnet es, daß er die Tendenz der Mode über das sonst innegehaltene Maß hinaustreibt: wenn spitze Schuhe Mode sind, läßt er die seinigen in Lanzenspitzen münden, wenn hohe Kragen Mode sind, trägt er sie bis zu den Ohren, wenn es Mode ist, wissenschaftliche Vorträge zu hören, so ist er überhaupt nirgends anders mehr zu finden usw.“ (Simmel 1995: 19).
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