Von der Feder leben?

Die Entstehung des literarischen Marktes im Ancien Régime. Von Carlos Spoerhase

Online seit: 15. Oktober 2019

I.

In französischen kulturhistorischen Darstellungen der Aufklärungsepoche wird immer wieder die Geschichte von Schriftstellern erzählt, die den heroischen und meist scheiternden Versuch unternehmen, ‚von der Feder‘ zu leben. Die Rahmenerzählung, in die dieser heldenhafte Kampf um die Unabhängigkeit des Schriftstellers eingebettet wird, lautet so: Der Schriftsteller in der Frühen Neuzeit sei ökonomisch vollkommen von der Patronage des Fürsten abhängig gewesen und habe seine literarischen Produkte allenfalls durch die vom Souverän gewährten Privilegien vor dem illegalen Nachdruck schützen können. Der moderne ‚unabhängige‘ Schriftsteller, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts zaghaft die welthistorische Bühne betrete, könne dagegen von seinem Autoreneinkommen durch Verlagsgewinne leben und den unkontrollierten Nachdruck seiner Werke aufgrund des schrittweise etablierten Urheberrechts verhindern. Der literarische Markt und das diesen flankierende Urheberrecht erlaubten dem Schriftsteller endlich, sich von den politischen, sozialen und kulturellen Institutionen des ancien régime zu emanzipieren.

Das ebenso tiefe wie lange Zeit frustrierte Bedürfnis nach schriftstellerischer Autonomie lasse sich erstmals in dem Moment realisieren, in dem sich durch neue Publikationsmöglichkeiten im expandierenden literarischen Markt und durch neue rechtliche Modelle des Schutzes des Schrifttums die Möglichkeit einer modernen ‚freischaffenden‘ Autorschaft eröffne. Lange habe der Schriftsteller nicht nur unter der wirtschaftlichen, sondern auch unter der ‚kreativen‘ Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Eliten leiden müssen, die mit ihren Geselligkeitsnormen und ihren (eng damit verknüpften) linguistisch-ästhetischen Normen seiner dichterischen Produktivität deutliche Grenzen setzten. Von diesen Jahrhunderte währenden Fesseln autonomer literarischer Autorschaft habe sich der Schriftsteller erst befreien können, als sich mit dem Markt die Möglichkeit bot, ‚freischaffend‘ von den Erträgen eigener Schriften zu leben. Nachdem die heroischen Vorläufer einer modernen unabhängigen Autorschaft und einer autonomisierten Literatur aufgrund äußerer Rahmenbedingungen immer wieder scheitern mussten, eröffne sich auf dem literarischen Marktplatz der Aufklärungszeit erstmals die Möglichkeit, ‚von der Feder‘ zu leben und die Souvernität des Literaten zu reklamieren.

Die Geschichte, die auf diese Weise erzählt wird, ist eine Vorläufergeschichte: Sie handelt davon, wie ‚wir‘ wurden, was ‚wir‘ sind. Die intensive Suchbewegung nach dem ersten ‚unabhängigen‘ Schriftsteller, der von seinem Verlagseinkünften leben konnte, fokussiert den Anfangspunkt literarischer ‚Modernität‘, von dem ausgehend die Geschichte der Befreiung des Schriftstellers und der Autonomisierung der Literatur bis in die Gegenwart rekonstruiert werden kann.

Was aber wäre, wenn diejenigen, die an der Anfangsphase dieser emanzipatorischen Erfolgsgeschichte partizipierten, gar kein Interesse daran gehabt hätten, ‚moderne‘, also dem heutigen Schriftsteller weitgehend ähnelnde und die Freiheitsgewinne des literarischen Marktes ausgiebig nutzende Autoren zu werden? Diese Frage formuliert Geoffrey Turnovsky in seiner lesenswerten Studie über die Entstehung des literarischen Marktes im französischen ancien régime, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Pierre Corneille einsetzt und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Voltaire, Diderot und Rousseau ihren Höhepunkt findet.1

II.

Turnovsky kann in seiner Studie überzeugend nachweisen, dass der Status eines homme de lettres im ancien régime schon deshalb nicht mit dem Status des modernen Schriftstellers verwechselt werden darf, weil man noch im 18. Jahrhundert durchaus als homme de lettres anerkannt sein konnte, ohne die eigenen Schriften in der Form eines gedruckten Buches publiziert zu haben. Homme de lettres war primär eine soziale Kategorie; die Respektabilität des homme de lettres wurde nicht primär im Druck erworben, sondern im Rahmen einer kulturellen Integration in die sozialen Oberschichten.

Die gens de lettres des ancien régime verspürten häufig keinen starken Drang, ihre literarischen Texte drucken zu lassen, und wenn sie es taten, beabsichtigten sie damit nicht, eine schriftstellerische Karriere zu verfolgen und ‚von der eigenen Feder‘, das heißt von der kommerziellen Buchpublikation, zu leben. Die etablierten ökonomischen und symbolischen Kompensationsmodelle – darunter Patronage, Freundschaften, Salonmitgliedschaften, Stellungen am Hof oder in adeligen Haushalten, Ämter in der Verwaltung oder in Akademien, Pensionen, Sinekuren usw. – wurden weniger als Hindernisse, denn als Ermöglichung eigener literarischer Tätigkeit verstanden. Hier führt eine literaturhistorische Rekonstruktion, die primär auf das Einkommen des Schriftstellers durch Verlagsgewinne (beziehungsweise auf das dem Schriftsteller durch den Verleger vorenthaltene Einkommen) fokussiert ist, in die falsche Richtung, weil die Relevanz von direkter Bezahlung in einer Gesellschaft, die viel weniger monetarisiert war als unsere heutige, eine deutlich geringere war. Ebenso wie die ‚literarische‘ Anerkennung in Oberschichten ganz anders funktioniert als die in Märkten, darf die Kompensation des Schriftstellers in Oberschichten nicht auf die direkte monetäre Kompensation reduziert werden.

Noch im 18. Jahrhundert konnte man durchaus als homme de lettres anerkannt sein, ohne die eigenen Schriften in der Form eines Buches publiziert zu haben.

Bei Druckpublikation der eigenen Werke geht es um soziale Integration. Dort, wo der homme de lettres des 18. Jahrhunderts den Buchhandel nutzte, um seine Bücher drucken zu lassen, war die Publikation keine primär kommerzielle Unternehmung, sondern diente als Trägermedium für die Konstruktion und Manifestation der eigenen Elitenintegration. Der Buchhandel wurde nicht, wie immer wieder unterstellt, als Alternative zum Patronagewesen oder als Ausweg von der Indienstnahme durch die Oberschichten verstanden, sondern (wie auch Salons oder Akademien) als Forum, um die eigene intellektuelle Identität zu stabilisieren und den eigenen Wert als honnête homme zu manifestieren. Das vom kommerziellen Buchhandel hergestellte Buch mit seiner spezifischen frühneuzeitlichen Paratextualität (Vorworte, Widmungen usw.) wurde genutzt, um im Rahmen des Patronagesystems die Gunst eines Förderers zu erlangen oder abzusichern. Im ancien régime ist das Druckerzeugnis noch Teil einer ‚Gabenökonomie‘, die das Buch – meist in gehobener Ausstattung mit besonderem Papier, teurem Einband, handschriftlichen Zusätzen – als Geschenk an hochstehende Persönlichkeiten konzeptualisiert. Die Integration des homme de lettres findet nicht durch den kommerziellen Buchhandel statt; dessen Möglichkeiten werden vielmehr genutzt, um sich selbst im Sinne einer gelungenen Elitenintegration darzustellen.

Das Wachstum des Buchmarktes wurde im ancien régime also nicht verstanden als sich endlich ankündigende Möglichkeit, eine eigenständige literarische Laufbahn außerhalb des ‚traditionellen‘ literarischen Feldes samt seines Patronagewesens einzuschlagen, sondern wurde im Rahmen des Patronagewesens funktionalisiert. Der homme de lettres unterhielt nicht selten engere Verbindungen zum Buchhandel, nur wurden diese kommerziellen Verbindungen in ihrer Bedeutung meist heruntergespielt. Für den homme de lettres war die Teilnahme am Buchhandel aus unterschiedlichen Gründen problematisch: Einerseits durfte er nicht als ein Gewerbetreibender oder Erwerbstätiger erscheinen, weil mit diesem Rollenbild ein drastischer ständischer Positionsverlust einhergegangen wäre; andererseits durfte die Druckpublikation des eigenen Werks nicht als moralisch anstößig, etwa als Ergebnis von Gewinnsucht, Eitelkeit oder Ruhmbegierde erscheinen. Diese (und andere) Probleme ziehen dann in den Vorworten einen hohen Begründungsaufwand für die Publikationsentscheidung nach sich, motivieren die Anonymität der Publikation oder die Inszenierung einer Herausgeberschaft des Buches durch Freunde.

Wie konnte die Teilnahme am Buchhandel für den homme de lettres zu einem positiven Moment seines literarischen Selbstverständnisses, das heißt nicht mehr als tendenziell delegitimierend, sondern als legitimitätsstiftend verstanden werden? Wie kommt es dazu, dass der Buchhandel, der im ancien régime weder die primäre Quelle ökonomischen Einkommens noch die primäre Quelle symbolischer Legitimität war, gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einer prestigefixierenden Instanz wird, die neben kommerziellem Gewinn auch gesellschaftliche Anerkennung ausschüttet?

III.

Laut Turnovsky vollzieht sich diese Wende zuerst auf einer diskursiven Ebene. Die Hinwendung der Schriftsteller zum literarischen Markt ist aus seiner Perspektive weniger einem technologisch, ökonomisch oder juridisch angetriebenen Wandel des Buchmarktes als einer neuen Konzeption intellektueller Identität geschuldet, die sich hauptsächlich über die Teilnahme am literarischen Markt und der Publikation von gedruckten Texten definiert. Die zunehmende Marktorientierung des literarischen Lebens vor allem in der zweiten Hälfte des französischen 18. Jahrhunderts ist demnach nicht primär einer sozialhistorisch zu rekonstruierenden Transformation des Buchhandels geschuldet (auch wenn Turnovsky zugesteht, dass diesbezüglich relevante Veränderungen zu beobachten sind), sondern mentalitätsgeschichtlich zu beschreiben: Neue autorschaftliche Selbstbeschreibungsmuster beziehungsweise Selbstdarstellungsmodelle, aufgrund derer literarische Autoren den kommerziellen Buchhandel zunehmend als das zentrale Medium für den Aufbau und die Aufrechterhaltung ihres sozialen Status begreifen, spielen hier die Hauptrolle.

Während die Teilnahme am Buchhandel noch bis weit ins 18. Jahrhundert für das Selbstverständnis und den sozialen Status der gens de lettres eine Nebenrolle spielt, die Buchpublikation für das self-fashioning der gens de lettres also nicht zentral ist und kein wesentliches Medium ihrer Autoritätsbildung darstellt, wird die Teilnahme am Buchhandel für die Autoren der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend zum Hauptforum der Konstruktion ihres Selbstverständnisses und zum wesentlichen Medium ihres Statuserwerbs und ihrer intellektuellen Autoritätsbildung. Die interessante Frage ist laut Turnovsky deshalb nicht in erster Linie, in welchem Umfang literarische Autoren im Buchhandel ökonomisch involviert waren, sondern wie durch eine spezifische Diskursivierung des Buchhandels als „literarischer Markt“ die Teilnahme am Buchhandel und die Publikation von Büchern zur hauptsächlichen symbolischen Legitimationsressource für Schriftsteller werden konnte. Nicht die Frage, ab wann Schriftsteller von ihrem Verlagseinkommen leben konnten, steht damit im Zentrum, sondern die Frage, ab wann Schriftsteller allein durch die Teilnahme am „literarischen Markt“ eine legitime schriftstellerische Persona aufbauen konnten.

Im ancien régime ist das Druckerzeugnis noch Teil einer ‚Gabenökonomie‘, die das Buch als Geschenk an hochstehende Persönlichkeiten konzeptualisiert.

Wie aus diesen Ausführungen deutlich wird, plädiert Turnovsky dafür, den Buchhandel als ökonomische Realität strikt von dem „literarischen Markt“ als diskursiver Strategie zu unterscheiden. Der realwirtschaftliche Buchhandel dürfe nicht mit dem „literarischen Markt“ verwechselt werden, der bereits eine voraussetzungsreiche diskursive Konzeptualisierung des kommerziellen Buchhandels sei, der nunmehr alleine für die Konstruktion einer legitimen autorschaftlichen Identität ausreichen solle: „[…] the literary market […] should not be strictly identified with the book trade. The market took shape to the extent that commercial publication was conceptualized and engaged by writers as sufficient means for constructing a valorized intellectual identity“ (S. 149). Nicht nur im Hinblick auf das Konzept des „literarischen Marktes“, sondern auch hinsichtlich wirtschaftshistorischer und rechtsgeschichtlicher Konzepte wie „geistiges Eigentum“ und „Urheberrecht“ rät Turnovsky zu entsprechender Vorsicht: Begriffe wie „geistiges Eigentum“ oder „Urheberrecht“ seien nicht nur historische Realitäten, deren Entwicklung es kulturhistorisch zu rekonstruieren gelte, sondern auch strategisch eingesetzte diskursive Deutungsmuster, die ein neues Verhältnis von autorschaftlicher Würde und literarischem Buchhandel zu etablieren versuchten und als ökonomische und juridische „Tropen“ eine stärkere, teilweise bis zur vollständigen Abhängigkeit gesteigerte Einbindung des Autors in den „literarischen Markt“ plausibilisieren sollten.

Mit der Etablierung des diskursiven und argumentativen Musters des „literarischen Markts“ wird der Buchdruck zum exklusiven Medium der Herstellung und Darstellung autorschaftlicher Güte. Das gesamte Publikationswesen gewinnt mit diesem mentalitätshistorisch beschreibbaren Wandel ein ganz neues Gewicht, da der autorschaftliche Status nunmehr vollkommen von textueller Kommunikation abhängig ist, die über das Medium des gedruckten Buches und den Vertrieb des kommerziellen Buchmarktes erfolgt.

IV.

Im Zentrum von Turnovskys Studie steht die Frage, wie eine literarische Äußerung und das literarische Äußerungssubjekt im französischen ancien régime ‚Gewicht‘, das heißt Legitimität, Autorität und Glaubwürdigkeit gewinnen. Der „literarische Markt“ ist aus dieser Perspektive eine symbolische Ordnung, die eine Reformulierung intellektueller Legitimität erlaubt und der Konstruktion einer neuen legitimen intellektuellen Identität dient. Diese neuen Modelle der Anerkennung intellektueller Aktivität werden vor allem dort bemüht, wo ein Rückgriff auf ständische Legitimitätsmuster, die innerhalb der Gelehrtenkultur oder der Hof- und Adelskultur etabliert waren, nicht mehr möglich ist. Die Notwendigkeit einer neuen Konzeption intellektueller Legitimität ist umso drängender, als mit Formen unabhängiger literarischer Autorschaft eine Rolle beansprucht wird, die nicht institutionell gefestig ist: für den ‚freien‘ Autor gibt es keinen festen Qualifikationsweg, keine klaren Ausbildungsvoraussetzungen, keine formalen Zertifikate, keine abgegrenzten Berufsbilder, keinen etablierten Mechanismus der Anerkennung und Werkschätzung literarischer Leistungen und keine gesellschaftlich sanktionierte, gegebenenfalls sogar alimentierte Stelle.

Der aprofessionelle homme de lettres, der seine literarischen Texte primär mündlich, das heißt face-to-face im Kontext einer restringierten Öffentlichkeit (Hof, Salons, Akademien) kommunizierte und soziale Legitimität durch seine Elitenintegration bezog (weshalb für ihn keine Notwendigkeit der Druckpublikation bestand), konnte am Buchhandel teilnehmen, ohne dass dieser die Quelle seiner sozialen Legitimität gewesen wäre. Im Gegensatz dazu bedarf der professionelle Schriftsteller, der seine literarischen Texte primär druckschriftlich im Kontext einer unregulierten Öffentlichkeit kommuniziert, einer gedruckten Legitimität: Für ihn besteht die Notwendigkeit der Druckpublikation, da diese ihn erst zum ‚Literaten‘ macht; der auteur nimmt nicht nur kommerziell am Buchhandel teil, sondern nutzt den „literarischen Markt“ auch, um eine neue Form intellektueller Legitimität zu konstruieren: Als erfolgreicher Teilnehmer des „literarischen Markts“ versorgt dieser ihn nicht nur mit Geld, sondern mit einer legitimen sozialen Existenzweise, die entweder im affirmativen Modus der Professionalisierung (z.B. der buchökonomieaffine ‚unternehmerische‘ Denis Diderot) oder im kritischen Modus der expliziten Zurückweisung einer Professionalisierung (z.B. der buchökonomiefeindliche ‚heroische‘ Jean-Jacques Rousseau) erfolgen kann.

Der legitimatorische Diskurs wird ‚umgebaut‘, lange bevor die sozialökonomischen Rahmenbedingungen umgestellt werden.

Die mentalitätshistorische Pointe der Studie von Turnovsky ist dabei, dass diese Veränderungen nicht aus einer Transformation der ökonomischen Realität des Buchhandels hervorgehen, sondern aus einer Diskurstransformation, die mit dem „literarischen Markt“ eine neue, normativ imprägnierte Konzeption kultureller Legitimität entwirft. Wie Turnovsky vor allem an Diderot, d’Alembert und Voltaire belegen kann, entwerfen die philosophes den „literarischen Markt“ mit Verve als primäre Quelle ihrer Legitimität, obwohl sie nicht von den ökonomischen Erlösen ihrer Buchverkäufe leben können. Dass der legitimatorische Diskurs ‚umgebaut‘ wird, lange bevor die sozialökonomischen Rahmenbedingungen umgestellt werden, zeigt Turnovsky an einem retroaktiven Begründungsmuster, das er in den Schriften der philosophes vorfindet. Tatsächlich erfolgt die soziale Integration der philosophes nach dem etablierten Modell des ancien régime: Nachdem die Elitenintegration aufgrund von persönlichen Beziehungen und der Beherrschung der Verhaltenscodes beziehungsweise Sprachcodes der Oberschicht stattgefunden hat und maßgebliche kulturelle Distinktionszeichen wie Pensionen, Preise, Akademiemitgliedschaften erworben wurden, werden literarische Werke als Manifestation dieser Integration publiziert. Die diskursive Selbstdarstellung der philosophes bedient sich hier aber bereits des Modells eines „literarischen Marktes“, wenn sie gleichsam kontrafaktisch darauf bestehen, dass ihre Bücher chronologisch und kausal die eigentliche Quelle ihrer (der Imagination nach: danach erfolgenden und sich daraus ergebenden) Elitenintegration beziehungsweise Distinktionserwerbs gewesen seien. Bei der insgesamt erfolgreichen Selbstdarstellung, die eigene Legitimität basiere ursprünglich auf den eigenen Werken, handelt es sich, wie Turnovsky belegt, um ein in den Ursprung projiziertes Resultat.

Der „literarische Markt“ erweist sich als eine neue Deutungsstrategie, um die kulturelle Sphäre und den Ursprung kultureller Legitimität zu konzeptualisieren.2 Wie die faktischen Einkommensquellen der philosophes zeigen, die ihren Unterhalt weniger aus dem Buchhandel als aus den Institutionen des Patronagesystems beziehen, findet hier eine diskursive Umbesetzung der Legitimitätsquellen intellektueller Aktivität statt, lange bevor das im kommerziellen Buchhandel publizierte Buch als ein plausibler ökonomischer Weg verstanden wird, ‚von der eigenen Feder‘ zu leben und schriftstellerische Unabhängigkeit zu erlangen.

V.

War der „literarische Markt“ in den Augen der Autoren des 18. Jahrhunderts eine Instanz, die das Autorindividuum befreien und das Literatursystem ‚modernisieren‘ sollte?3 Die ‚moderne‘ Konzeption des „Marktes“ als Freiheitsgarant und Modernisierungsmotor wurde, das legt Turnovsky Studie nahe, von den historischen, patronagebedürftigen und oberschichtsabhängigen Autoren nicht geteilt: „[…] no writer who inhabited the cultural field of eighteenth-century France wanted to be ‚liberated‘ from the patron or the sinecurial position that ensured his or her livelihood“ (S. 161). Die Emanzipationsgeschichte ‚freier‘ Autorschaft wäre also wenigstens für das 18. Jahrhundert eine Geschichte, die ohne ein emanzipationswilliges Autorsubjekt auskommen müsste. Der Weg, ausschließlich ‚von der eigenen Feder‘ zu leben, erschien hier weniger als die Befreiung aus der Gefangenschaft des Patronagewesens oder als das konsequente Decken eines intellektuellen Emanzipationsbedarfs denn als letzte Zuflucht.

Will man Turnvoskys Ausführungen zu französischen hommes de lettres auf Deutschland übertragen, bietet sich als Beispiel Schillers Frühwerk an. An ihm hat Heinrich Bosse die These zu erhärten versucht, dass sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein deutlicher Übergang von der Patronage zum Publikum erkennen lässt: „Die Rolle des Wohltäters und Gönners übernahm in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein ungreifbares Wesen […]: das Publikum.“4 Bosse liest die Ankündigung der Rheinischen Thalia, die 1784 im Deutschen Museum abgedruckt wurde, als politische und ökonomische Unabhängigkeitserklärung Schillers:

„Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient. […] Nunmehr sind alle meine Verbindungen aufgelößt. Das Publikum ist mir jezt alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter. Ihm allein gehöre ich jezt an. Vor diesem und keinem andern Tribunal werde ich mich stellen. Dieses nur fürchte ich und verehr’ ich. Etwas Grosses wandelt mich an bei der Vorstellung, keine andere Fessel zu tragen, als den Ausspruch der Welt – an keinen andern Thron mehr zu appelliren, als an die menschliche Seele.“5

Angesichts dieser Bemerkungen, die sich im Übrigen eher einer apologetischen als einer auftrumpfenden Tonlage befleißigen, mag es überraschen, dass Schiller wenige Monate später das erste Heft der Rheinischen Thalia mit einer Dedikation an Carl August einleitet, in der die (mögliche) Kultivierung einer prestigeträchtigen Verbindung ausgestellt wird:

„Durchlauchtigster Herzog, / Gnädigster Herr, / Unvergeßlich bleibt mir der Abend, wo Eure Herzogliche Durchlaucht Sich gnädigst herabließen, dem unvollkommenen Versuch meiner dramatischen Muse, diesem ersten Akt des Dom Karlos, einige unschäzbare Augenblicke zu schenken, Theilnehmer der Gefühle zu werden, in die ich mich wagte, Richter eines Gemähldes zu seyn, das ich von Ihresgleichen zu unterwerfen mir erlaubte. Damals, gnädigster Herr, stand es noch allzu tief unter der Vollkommenheit, die es haben sollte, vor einem fürstlichen Kenner aufgestellt zu werden – ein Wink Ihres gnädigsten Beifalls; einige Blicke Ihres Geistes, Ihrer Empfindung, die ich verstanden zu haben mir schmeichelte, haben mich angefeuert es der Vollendung näher zu bringen. Sollten Sie, Durchlauchtigster Herzog, den Beifall, den Sie ihm damals schenkten, auch jezt nicht zurücknehmen, so habe ich Muth genug, für die Ewigkeit zu arbeiten. / Wie theuer ist mir zugleich der jezige Augenblick, wo ich es laut und öffentlich sagen darf, daß Karl August der edelste von Deutschlands Fürsten, und der gefühlvolle Freund der Musen, jezt auch der meinige seyn will, daß Er mir erlaubt hat, Ihm anzugehören, daß ich Denjenigen, den ich lange schon als den edelsten Menschen schäzte, als meinen Fürsten jezt auch lieben darf.“6

Der Buchhändler ist nun nicht mehr nur ein nach ökonomischen Gesichtspunkten agierender Gewerbetreibender, sondern wird zunehmend zu einem legitimitätsstiftenden Kulturträger.

Hier wird nicht mehr das „Publikum“ als „Tribunal“ adressiert, sondern vielmehr wird „der edelste von Deutschlands Fürsten“ als „Richter“ des Dramas angesprochen; nicht das „Publikum“, sondern „Eure Herzogliche Durchlaucht“ soll nun „Beifall“ schenken. Und aus dem „Weltbürger“ ohne territoriale Zugehörigkeit wird wieder ein Dichter, der endlich „laut und öffentlich sagen darf“, dem Weimarer Fürsten „anzugehören“. Man sollte in der auffälligen Diskrepanz zwischen Ankündigung und Dedikation keine Unaufrichtigkeit Schillers sehen; seine umfassende ökonomische Involviertheit im Buchhandel und Zeitschriftenwesen war nicht mehr als eine ultima ratio. Eine ökonomische Professionalisierung und berufsmäßige Marktorientierung war gar nicht erwünscht. So schreibt Schiller schon Ende 1784 an Ludwig Ferdinand Huber:

„Überdem zwingt ja das deutsche Publikum seine Schriftsteller, nicht nach dem Zuge des Genius, sondern nach Speculazionen des Handels zu wählen. Ich werde dieser Thalia alle meine Kräfte hingeben, aber das läugne ich nicht, daß ich sie (wenn meine Verfaßung mich über Kaufmannsrüksichten hinwegsezte) in einer Andern Sphäre würde beschäftigt haben.“7

Für Schiller erfüllt der Mäzen um 1790 immer noch eine wichtige ökonomische Funktion; aber eben nicht mehr eine legitimatorische. Wie Klaus-Detlef Müller gezeigt hat, wird die legitimatorische Rolle des Mäzens nunmehr stark abgeschwächt und als die des aufgeklärten Lesers rekonfiguriert; Müller spricht hier von einer „spezifische[n] Form eines Mäzenats der Leser“, durch die „der Mäzen […] zum Leser wird“.8 Die Legitimation literarischer Aktivität und die soziale Integration des Schriftstellers sollen nun von der Publikation des Werks im kommerziellen Buchhandel geleistet werden. Hier findet gegen Ende des 18. Jahrhunderts die von Turnovsky für Frankreich überzeugend analysierte, für den deutschsprachigen Raum von Herbert Jaumann sinnfällig beschriebene „Reduktion“ der sozialen Position des Autors auf das gedruckte Artefakt statt.9

So unterschiedlich die Konstellationen der literarischen Felder in Frankreich und im Alten Reich in den letzten Jahrzehnten des Aufklärungsjahrhunderts (auch in der Wahrnehmung informierter Zeitgenossen wie Friedrich Nicolai)10 im Einzelnen gewesen sein mögen und so ungenau unsere Kenntnis über die transnationalen Einflussbeziehungen zwischen den beiden Feldern in dieser Hinsicht noch ist: In beiden Feldern setzt sich diskursiv eine neue Deutung der kulturellen Sphäre durch, derzufolge „nicht mehr in erster Linie der in einer literarischen Gemeinschaft bekannte Schriftsteller das Buch berühmt [macht], sondern das auf dem literarischen Markt zum Erfolg gewordene Buch den Namen des Schriftstellers.“11 Da der Buchhandel im Rahmen seiner Konzeptualisierung als „literarischer Markt“ zu dem zentralen Feld der Konstruktion und Affirmation intellektueller Legitimität wird, steht bei der Publikation eines Buches plötzlich viel mehr auf dem Spiel als noch am Anfang des 18. Jahrhunderts.

Weil nun die gesamte Last der Herstellung und Erhaltung intellektueller Legitimität von dem gedruckten Buch getragen werden muss, bildet sich nun eine spezifisch moderne, auf den druckschriftlichen Publikationsvorgang gerichtete ‚Autorangst‘ aus; die von den Autoren an die Buchhändler gestellten Anforderungen werden dementsprechend höher. Weil die Buchhändler nun nicht mehr nur als nach ökonomischen Gesichtspunkten agierende Gewerbetreibende, sondern zunehmend als legitimitätsstiftende Kulturträger wahrgenommen werden, konstatiert Turnovsky diesbezüglich sogar eine Tendenz zur diskursiven „Dekommerzialisierung“ des Buchhandels (S. 197). Erst jetzt, unter der Voraussetzung der neuen symbolischen Ordnung des „literarischen Marktes“, ist es die vom Verleger veranstaltete Buchpublikation, die den Autor ‚macht‘. Der in Bernard Lahires großem Buch über La condition littéraire beschriebene Sachverhalt, dass erst die Ausstellung den Maler und erst die Publikation den Schriftsteller ‚mache‘,12 kann auf diese Weise historisiert und als spezifisch modern erkannt werden.

1 Geoffrey Turnovsky: The Literary Market. Authorship and Modernity in the Old Regime (Material Texts). Philadelphia 2010.

2 Ein größeres Problem ist in diesen Zusammenhang, in welches Verhältnis das (kommunikationshistorische) Konzept der „literarischen Öffentlichkeit“ zum (wirtschaftshistorischen) Konzept des „literarischen Marktes“ gerückt werden muss: Leider werden in Turnovskys Arbeit auf der analytischen Ebene die Konzepte der „Öffentlichkeit“ (Korrelat: lesendes Publikum) und des „Marktes“ (Korrelat: nachfragende Käufer) nicht deutlich genug voneinander abgegrenzt. Blanning unterteilt in seiner großen Studie über die Kultur des ancien régime dagegen den Teil über „The Rise of the Public Sphere“ bezeichnenderweise in zwei Kapitel: „Communications“ und „Markets“; vgl. T. C. W. Blanning: The Culture of Power and the Power of Culture. Old Regime Europe 1660–1789. Oxford 2002, S. 103–182.

3 Vgl. zur Kategorie des literarischen „Markts“ in der germanistischen Forschung u.a. York-Gothart Mix: Medialisierungsstrategien im 18. Jahrhundert. Prämissen und Perspektiven der Forschung. In: Das achtzehnte Jahrhundert 23 (1999), S. 40–58; vgl. auch den einschlägigen Überblicksartikel von York-Gothart Mix: Markt und Urheberrecht. In: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände – Konzepte – Institutionen. Stuttgart und Weimar 2007, Bd. 1 (Gegenstände und Grundbegriffe), S. 501–509.

4 Heinrich Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft. Paderborn 1981, S. 78.

5 Friedrich Schiller: Rheinische Thalia. In: Deutsches Museum. Zweiter Band. Julius bis Dezember 1784, S. 564–570, hier S. 565–566.

6 Friedrich Schiller: Rheinische Thalia. Erster Band. Erstes Heft. Mannheim 1785. Einleitende Dedikation an Carl August, nicht paginiert.

7 Schiller an Huber, 7.12.1784. In: Schillers Briefwechsel, 1772–1785, hrsg. von Walter Müller-Seidel (Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 23), Weimar 1956, S. 168–170, hier S. 170 (vgl. auch den Brief von Schiller an Huber, 28.2.1785, ebd., S. 180–182).

8 Klaus-Detlef Müller: Schiller und das Mäzenat. Zu den Entstehungsbedingungen der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. In: Wilfried Barner, Eberhard Lämmert und Norbert Oellers (Hg.): Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik. Stuttgart 1984, S. 151–167, hier S. 157 (Anm. 12), S. 161. Vgl. weitere Hinweise zu Schillers Verhältnis zu fürstlicher Patronage und literarischem Markt u.a. bei Stephan Füssel: Schiller und seine Verleger. Frankfurt a. M. und Leipzig 2005, S. 145–149. Martha Woodmansee: The Author, Art, and the Market. Rereading the History of Aesthetics. New York 1994, hier v.a. S. 57–86.

9 Herbert Jaumann: Emanzipation als Positionsverlust. Ein sozialgeschichtlicher Versuch über die Situation des Autors im 18. Jahrhundert. In: Literaturwissenschaft und Linguistik 11 (1981), S. 46–72.

10 So schreibt Nicolai: „Der Stand der Schriftsteller bezieht sich in Deutschland beynahe bloß auf sich selber, oder auf den gelehrten Stand. Sehr selten ist bey uns ein Gelehrter ein Homme de Lettres.“ Anon. [Friedrich Nicolai]: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Erster Band. Mit Kupferstichen, von Dan. Chodowiecki gezeichnet und geätzet. Dritte verbesserte Auflage. Mit Königl. Preuß. Churfürstl. Brandenb. Churfürstl. Sächsischen allergnädigsten Freyheiten. Berlin und Stettin, bey Friedrich Nicolai 1776, S. 121.

11 Hans J. Haferkorn: Zur Entstehung der bürgerlich-literarischen Intelligenz und des Schriftstellers in Deutschland zwischen 1750 und 1800. In: Bernd Lutz (Hg.): Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750–1800 (Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften, Bd. 3). Stuttgart 1974, S. 113–275, hier S. 211.

12 Bernard Lahire: La condition littéraire. La double vie des écrivains. Paris 2006, S. 39: „Comme l‘exposition fait le peintre, la publication fait, certes, en grande partie l‘écrivain […].“

Carlos Spoerhase ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuletzt erschien die Monografie Autorschaft und Interpretation. Methodische Grundlagen einer philologischen Hermeneutik (de Gruyter, Berlin 2007).

Quelle: Recherche 2/2010

Online seit: 15. Oktober 2019

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