Als die Römer frech geworden … zogen sie nach Deutschlands Norden“, heißt es in dem gleichnamigen Studentenlied, das Victor (von) Scheffel um 1849 dichtete. Zunächst eine Verspottung verschiedenster Untugenden der Deutschen und ihrer „römischen“ Feinde, erwies es sich nach 1871, nach der Gründung des Deutschen Reiches und nach dem Krieg gegen Frankreich als opportun, manche Strophe umzudichten. Das bereits 1838 begonnene, noch heute bei Detmold zu bestaunende über zweiundfünfzig Meter hohe „Hermannsdenkmal“ (der Fantasiegermane mit Flügelhelm misst über sechsundzwanzig Meter, der Sockel knapp siebenundzwanzig) wurde schließlich 1875, auch durch beträchtliche Spenden des neuen Deutschen Kaisers, fertiggestellt. Plötzlich sollte der kupferne Koloss „Deutschlands Kraft und Einigkeit“ verkünden, davor wunderte sich der (nun übrigens geadelte) Scheffel noch, wer nach Fertigstellung des „Piedestals“ wohl für den Rest bezahlen würde. Gott im Himmel?
Boris Dreyers Darstellung der Germanienpolitik Roms und der Nachwirkungen der sogenannten Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 beschränkt sich freilich nicht auf derartige Schnurren. Die nach archäologischen und schriftlichen Zeugnissen wohl vier Tage andauernden Kämpfe, an deren Ende drei Legionen samt Hilfstruppen und Tross, zusammen etwa zwanzigtausend Menschen, umgekommen waren, sind zwar der zentrale Ausgangspunkt der Betrachtungen, werden aber eingehend nur im mittleren von elf Kapiteln behandelt.
Keine Spezialuntersuchung aus militärhistorischer Sicht, vielmehr den Versuch eines Überblicks über einen länger als drei Jahrhunderte dauernden Zeitraum bietet der Althistoriker Dreyer (Göttingen, Frankfurt) aus solider Quellenkenntnis. Neben antiken Geschichtsschreibern bezieht er auch neueste archäologische Grabungsberichte ein. So entscheidet er sich praktisch ohne Umschweife für die schon – damals fast nur – von Theodor Mommsen Ende des 19. Jahrhunderts und nun wieder seit etwa zwanzig Jahren favorisierte Lokalisierung des Schlachtortes bei Kalkriese (Niedersachsen, Landkreis Osnabrück). Nebenbei gelingt ihm auch plausibel, erneut die Zuverlässigkeit des antiken Autors Cassius Dio nachzuweisen, der an der Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert sein achtzigbändiges, nur teilweise erhaltenes Geschichtswerk aus nie ganz sicher geklärten Quellen und eigenem Erleben (als hoher Beamter in der Zeit des Commodus und der Severer) kompilierte. Anderen Fragen, etwa ob Caesar die „Germanen“ als Gruppen-identität für sehr heterogene Völker zum größten Teil rechts des Rheins überhaupt erst erfunden habe, geht Dreyer, leider recht kursorisch und ohne eindeutiges Ergebnis, ebenfalls nach. Hauptsächlich untersucht er aber, ob sich eine durchgehende, gar einheitliche Politik Roms gegenüber diesen wie auch immer definierten Germanen finden lässt.
Dann und wann unternahmen ehrgeizige Feldherren noch Überfälle, die in Rom als Triumphe gefeiert wurden, egal, was sich wirklich abgespielt hatte.
Caesars Truppen waren während des Eroberungskrieges in Gallien zweimal über den Rhein und ebenso zweimal nach Britannien vorgestoßen. Die Folgen dieser Expeditionen waren nach Dreyers Lesart unterschiedlich. In der Nachahmung Alexanders des Großen, der in Rom lange Zeit keine gute Presse hatte (wie Dreyer in früheren Untersuchungen nachgewiesen hat) schüchterte Caesar damit nicht nur, wie er selbst in seinen Commentarii de bello Gallico schrieb, die Völker jenseits von Rhein und Ärmelkanal ein. Im Subtext transportierte dies an das römische, senatorische Publikum gerade in der zu erwartenden Auseinandersetzung mit Pompeius auch den Anspruch, die Grenzen der zivilisierten, also für Römer bewohnbaren Welt ebenso wie Pompeius im Osten (gegen Piraten und Mithridates) verschoben zu haben. Glaubwürdiger war dies im äußersten Westen bei den britischen Inseln, die man nicht auf dem Landweg erreichen konnte.
Caesars Erbe Octavian (ab 27 v. u. Z. „Augustus“), der selbst keine militärischen Erfolge – in der adelig ständischen Gesellschaft Roms entscheidend – vorweisen konnte, aber immer das Geschick hatte, von kriegerisch erfahrenen Leuten unterstützt zu werden, wollte das Imperium zur eigenen Legitimierung über den Rhein ausdehnen. Eine durch innerrömische Krisen und konkurrierende Machtansprüche von Teilen des Senats beschleunigte Umwandlung der bereits eroberten Gebiete in Provinzen scheiterte mit dem Untergang des Statthalters Varus. Der Versuch wurde schließlich unter Tiberius völlig aufgegeben. Rom mischte sich freilich weiterhin ein, schloss mit befreundeten Völkerschaften (Handels-)Verträge, und dann und wann unternahmen ehrgeizige Feldherren im Auftrage oder in Konkurrenz zum jeweiligen Regenten noch Überfälle, die in Rom als Triumphe gefeiert wurden, egal, was sich wirklich abgespielt hatte. Wirtschaftliche Gründe deutet Dreyer bisweilen ebenfalls an, die Quellen scheinen ihm aber nicht viel zu verraten. In Germanien jedenfalls dürfte die zu erwartende Beute dem Aufwand einer Kolonisierung nicht entsprochen haben.
Bedauerlicherweise recht kurz fällt die Nachbetrachtung und die moderne Rezeption, hier wieder besonders des Arminius, aus. Immerhin blickt Dreyer dabei über die Grenzen nach Frankreich und Großbritannien, und stellt einige Vergleiche mit den dort üblichen Heldenverehrungen (Vercingetorix, Boadicea) an.
Getrübt wird die Schärfe der Argumentation leider durch Umstände, auf die der Autor wenig Einfluss hat. Neben ziemlich unverständlichen Schaubildern und Diagrammen (die kann man getrost ignorieren), fühlte sich beim Verlag offenbar kein Lektorat zuständig, die zahlreichen bisweilen arg sinnstörenden Druckfehler, Auslassungen und Doubletten – sogar ganze Absätze werden wiederholt – zu korrigieren. Selbst Klappentext und strenggenommen auch der Buchtitel führen in die Irre. Eine durchgesehene Neuausgabe würde diesem nicht unwichtigen und an sich bestens dokumentierten Überblickswerk guttun.