Zentrales Anliegen von Sigrid Weigels kürzlich erschienener Monographie Walter Benjamin – Die Kreatur, das Heilige, die Bilder ist es, Benjamin als Denker der Dialektik der Säkularisierung zu profilieren. Die Leiterin des Berliner Zentrums für Literaturforschung klinkt sich damit in Überlegungen ein, die sich unter dem Eindruck von 9/11 und eines sich global ausbreitenden radikalen Islamismus bemühen, das Verhältnis von Religion und moderner Säkularität zu klären. Weigel setzt sich – in diesem Kontext unvermeidbar – mit Denkern wie Jacques Derrida oder Giorgio Agamben auseinander, die Benjamins Denken in effektvolle Nähe zur „Politischen Theologie“ Carl Schmitts rücken. Weigel weist hier überzeugend die unüberbrückbare Differenz zwischen Schmitt und Benjamin nach, die im grundsätzlichen Unterschied ihrer jeweiligen theoretischen Register liegt. Indem Schmitt vom Primat des Politischen her denkt, muss er das Verhältnis von Religion und Säkularität einseitig, nämlich zugunsten eben des Politischen auflösen. Wo sich der moderne Säkularismus durchsetzt, kommt es daher zu einer Übernahme theologisch geformter Souveränitätskonzepte, die zugleich deren Reduktion bedeutet. Dadurch, dass das säkulare Politische das theologische Politische in sich aufnimmt, wahrt es die Kontinuität des Politischen als solchem, die sich allerdings ursprünglich theologisch herschreibt, also unter säkularen Bedingungen entstellt wird.
Im Gegensatz zu Schmitt sieht Benjamin Religiöses und Säkulares als aufeinander nicht reduzierbare Momente einer messianisch ausgerichteten, von der Dynamik zwischen Heiligem und Profanem strukturierten Geschichte. Es geht bei Benjamin also primär nicht um politische Philosophie, sondern um jene eigentümliche Geschichtsphilosophie, deren bestimmende Koordinaten im Theologisch-politischen Fragment gelegt sind. Ihm zufolge sind profane und messianische Ordnung zwar ineinander verzahnt, da die profane Ordnung der geschichtlichen Welt dem Messianischen Raum gibt, indem sie vergeht. Gleichwohl haben Profanes und Messianisches keine gemeinsamen Kategorien, liegen ihre Ordnungen so weit auseinander, dass sie ihre Begriffe nicht teilen können. Von Benjamin her gedacht, greift es daher zu kurz, wenn etwa Giorgio Agamben in seinem Buch Homo sacer die Figur der Heiligkeit des bloßen Lebens als eine solche des römischen Strafrechts aufnimmt und von da aus in ihrer Funktion für die Konstitution politischer Souveränität betrachtet. Die Kategorie der Heiligkeit nämlich transzendiert ursprünglich die profane (Rechts-)Ordnung. Wo sie in diese eingeht, bildet sie auf der Ebene geschichtsphilosophischer Begrifflichkeit eine Konfusion und faktisch ein Außerhalb innerhalb des Rechts, das sich nicht mit dem profanen souveränen Akt identifizieren lässt, sondern den Abstand des Rechts von der Gerechtigkeit markiert. Beide Momente, den kategorial konfusen wie den exterritorialen Aspekt des ins Profane eingelassenen Heiligen, gälte es – so wäre mit Weigel zu sagen – in die Analyse zu übernehmen, um so erst die brutale Sachlichkeit verstehen zu können, die sich an den biopolitischen Terminus vom „bloßen Leben“ knüpft.
Wo sich der moderne Säkularismus durchsetzt, kommt es zu einer Übernahme theologisch geformter Souveränitätskonzepte.
Ein durch Benjamin angestoßenes Bewusstsein für die Verwiesenheit der profanen Ordnung auf transzendente Kategorien, die in ihr wirken, ohne von ihr beansprucht werden zu können, erlaubt es nicht nur, die Verfasstheit der spätmodernen säkularen, „westlichen“ Gesellschaften schärfer zu sehen. Es vermag sich zudem dem vorgeblich „radikalen Anderen“ der abendländischen Moderne zuzuwenden, also dem religiösen Fundamentalismus des Islam. Weigel moniert hier zu Recht die Einseitigkeit von Agambens Theorie moderner politischer Souveränität, die sich allein auf den politischen Raum des Westens bezieht und verschiedene Phänomene des fundamentalistischen Islam wie dessen theokratisches Souveränitätsmodell und seine aggressiven politischen Strategien, die in Selbstmordattentaten gipfeln, nicht in den Blick bringt. Allerdings ist dieser kritische Einwurf nur in der Begründung von Agambens theoretischem Defizit plausibel, das in seinem von Schmitt übernommenen und mit dem orientalischen Geschichtsraum inkompatiblen Reduktionismus liegt. Hingegen bleiben Weigels eigene, wenn auch auf Benjamin gestützte Ausführungen zum radikalen Islam wenig aussagekräftig. So versucht sie, sich diesem über Denkfiguren zu nähern, die Benjamin im Ursprung des deutschen Trauerspiels aufmacht – nur um an entscheidenden Stellen eingestehen zu müssen, dass gegenwärtige Konstellationen in der islamischen Welt zwar an von Benjamin im Barock ausgemachte Konstellationen erinnern, jedoch strukturell anders liegen. Weigel zieht, zum Beispiel, eine Parallele zwischen Saddam Hussein und den Herrscherfiguren, die Benjamin für das barocke Trauerspiel beschreibt. Beide vereinen in sich den Tyrann und den Märtyrer, denn auf der einen Seite (als Tyrann) agieren sie ihre Macht absolut aus, auf der anderen Seite (als Märtyrer) zeugen sie noch im Untergang vom Absoluten ihrer Macht, das sich nicht profan herleiten lässt und zugleich in die letztlich verhängnisvolle Anmaßung der Selbstvergottung treibt. – Die damit aufgezeichnete Konstellation ist faszinierend. Trifft sie aber auf Saddam Hussein überhaupt zu? Weigel ist hier ehrlich genug zuzugeben, dass Saddams Diktatur mit der Idee eines islamischen Staates nicht konform ging. Es scheint daher viel wahrscheinlicher, dass er nicht „Opfer einer theologisch begründeten Politik“, sondern des eigenen enthemmten Machtwillens wurde, für den das theologische Moment nur nützliches Accessoire war. Die Option, mit Benjamins Schrift Zur Kritik der Gewalt nach der möglicherweise nicht profan ableitbaren Einsetzung von Herrschaftsgewalt zu fragen, deutet Weigel nur an. Sie hätte aber intensiv gezogen werden müssen, um Weigels Ausführungen allererst eine diskutierbare Gestalt zu geben. So hingegen verlieren sie sich im Vagen.
Der Eindruck, dass Weigels Buch Möglichkeiten verschenkt, drängt sich nachdrücklich in seinen Passagen zum islamistischen Selbstmordattentat auf. Weigel sucht hier wiederum die Analogie zum Barock von Benjamins Trauerspielbuch, kann aber nicht mehr als einen vergleichbaren „Rückgriff auf religiöse Deutungsmuster im Dilemma politischer“ feststellen, der allerdings für den islamistischen Fundamentalismus mit einer Flucht ins Transzendente einhergehe, während das Barock mit Benjamin verstanden den Rückzug in die radikale Immanenz angetreten habe. Zwischen Islamismus und Barock bleibt es damit bei einem „Irgendwie“ der Ähnlichkeit. Produktiver wäre hier wohl gewesen, wenn Weigel ihre einleitenden Überlegungen zum islamistischen Terrorismus weiter verfolgt und sich also stärker auf die mit ihm verbundenen Praktiken medialer Selbstinszenierung fokussiert hätte. Eine von Benjamins Bilddenken ansetzende Analyse der Bildstrategien islamistischen Terrors wäre nicht nur der Geschlossenheit von Weigels Buch zuträglich gewesen, dessen dritter, Benjamins Bildtheorie gewidmeter Teil allenfalls indirekt an die ersten beiden Teile anschließt. Tatsächlich wäre erst mit solcher Analyse das Unterfangen, Benjamin als Denker der Dialektik der Säkularisierung vorzustellen, abgerundet gewesen, denn erst solche Analyse hätte auf den Grund der möglichen Analogie zwischen radikalem Islam und barockem Trauerspiel geführt, die Weigel gegen den reduktionistischen Säkularisierungsbegriff Schmitts aufmacht. In der Selbstverweisung aufs mediale Bild nämlich, das für den radikalen Islam de facto konstitutiv ist, weil er ohne es nicht funktionieren könnte, erweist auch er sich von jener Logik einer transzendenzlosen Bildlichkeit bestimmt, die die Moderne für den Benjamin des Passagenwerks zur „Zeit der Hölle“ qualifiziert. Die Bilder islamistischer Terrorgruppen, Propagandavideos mit ideologischen Hetzreden und letzten Ansichten von Selbstmordattentätern etwa, stehen also nicht für sich allein. In ihnen erscheint immer auch das Unheil des Terrors als Teil des Unheils einer längst schon globalen Säkularisierungsgeschichte, in der der eingeschworene „Feind des Westens“ mit diesem auf dem Stand derselben (Bild-)Sprache ist. Erschütternd hieran ist die Geschlossenheit der Welt, die sich nach immanenten oder transzendenten Ordnungen richten mag, aber kontinuierlich katastrophischen Charakters ist, eine Tatsache, der schon Benjamins melancholischer Blick nachhing. Es ist die Frage, ob diese katastrophische Geschlossenheit es überhaupt noch zulässt, die messianische Perspektive einzuziehen, ohne die Benjamins Dialektik der Säkularisierung leer liefe und vom ziellosen Konflikt zwischen transzendent orientierten religiösen und profan orientierten säkularen Wertmodellen handelte.
Wie fundamental ist eine mediale Ordnung der Bilder, für die der Blick des von Benjamins Bildtheorie informierten Historikers und seine Techniken rettender Zitation bloßes Beiwerk sind, weil sich die Bilder in ihr selbst zitieren, ihre Muster reproduzieren? Um das zu entscheiden, müsste man sich vielleicht tatsächlich Benjamins von Weigel aufgegriffenen Kategorien zuwenden. Man müsste etwa fragen, inwieweit die Struktur des „Heiligen“, d.h. einer inneren Transzendenz des Seins, erfahrungstheoretisch notwendig ist, und zwar auch jenseits der Erfahrung von Recht und Gerechtigkeit. Man müsste der „Kreatürlichkeit“ einer Geschichte nachgehen, in der sich die Ereignisse dynamisch um nichts drehen. Man müsste beide Aspekte zusammenführen, um die gegenwärtige Leere der Bilderwelt, ihre bedrängende Ödnis zu ermessen. Allerdings wären dazu theoretische Wagnisse einzugehen, die das Niveau guter geisteswissenschaftlicher Arbeit übersteigen. Denn obwohl Weigel in ihren Studien mit großer Umsicht Bezüge in Benjamins Oeuvre herstellt, die seine sich oft schwer erschließenden Gedankengänge öffnen und in höhere Klarheitsgrade überführen, verlässt sie die Ebene der Textinterpretation zu wenig und formt aus ihren im Detail aufschlussreichen Befunden keine vollständigen Thesen. Die zum Teil bereits andernorts publizierten Texte ergänzen sich eher locker, als ein geschlossenes Ganzes zu bilden, auch wenn das Vorwort ihnen einen roten Faden einzuschreiben versucht. Das stimmt um so bedauerlicher, als die Positionen, die sie zu einigen Schlüsselfragen der gegenwärtigen Benjamindebatte einnimmt, durchaus zu begrüßen sind.