Wohin geht man des Abends essen? Welche Einladung nimmt man an, welche besser nicht? Mit wem liegt man zu Tische, und, noch wichtiger, worüber führt man beim Schmausen ein ungezwungenes Gespräch? Fragen, die aus einem Benimmbuch der 1950er-Jahre stammen könnten, oder aus den Klatschspalten der neueren Society-Magazine, waren allerdings schon vor zweitausend Jahren aktuell. Erstaunlich daran ist eher, dass uns kein antikes Regelwerk dazu überliefert ist. Wenn man zum Beispiel bedenkt, dass eine der größten Tratschtanten der römischen Welt, M. Tullius Cicero, sogar den passenden Status für die Abfassung eines solchen Werkes erfüllt hat: Er war ein homo novus, ein Mann, der als erster seiner Sippe (gens) das Amt eines Konsuls bekleidete. In den Augen der altrömischen Nobilität also ein Emporkömmling, ein Parvenu. Freilich, Ciceros Identifikation mit der Oberschicht war so stark, dass er deren Sitten, Gebräuche und Vorurteile schon geradezu peinlich internalisiert hatte. Folglich wusste auch er wohl, wie man sich schichtspezifisch korrekt verhalten musste, und schrieb lediglich boshafte kleine Briefe über die Etikettenverfehlungen anderer.
Althistoriker und Philologen sind ihm dafür dennoch dankbar, denn sonst hätten sie noch weniger an literarischer Orientierungshilfe für Fragen der Sozial- und Kulturgeschichte in der Zeit der ausgehenden römischen Republik. Immerhin, wie sich die sogenannten Unterschichten verhalten, kann man noch aus den Komödien eines Plautus oder Terenz (beide jedoch mehr als hundert Jahre vor Cicero) erschließen, wenn auch als bewusst sarkastische Verfremdungen. Später, in der frühen Kaiserzeit etwa, sprudeln dann die Quellen reichhaltiger.
Mit wem liegt man zu Tische, und, noch wichtiger, worüber führt man beim Schmausen ein ungezwungenes Gespräch?
Einen großen Teil des Spektrums der Geselligkeit der wohlhabenden Schichten im Imperium Romanum versucht der Tagungsband Das römische Bankett im Spiegel der Altertumswissenschaften abzudecken. Wie der Herausgeber Konrad Vössing (Universität Bonn) im Vorwort anmerkt, gibt es beim Thema, im Gegensatz etwa zum griechischen Symposion, durchaus noch Forschungsdesiderate. Trotz einiger Veröffentlichungen zu Einzelaspekten in jüngerer Zeit – bis hin zu antiken Kochbüchern – fehlt eine Zusammenschau. Dieses Fehlen war offenbar allgemein bemerkt worden, denn das Kolloquium in Düsseldorf 2005 war international besetzt. Neben deutschsprachigen Forschern brachten Historiker und Archäologen aus Frankreich, Italien und Kanada ihre Beiträge zu Gehör. Nun kann man diese nachlesen. Dabei fällt auf, dass die beteiligten Archäologen selten aus ihren teilweise verblüffenden Grabungsergebnissen weitergehende Schlüsse ziehen wollen. Die entsprechende Sektion bleibt rein deskriptiv – das ist selbstverständlich redlich, aber gleichzeitig ein bisschen trocken. Über räumliche Gegebenheiten oder bildliche Darstellungen der Lustbarkeiten bei Banketten – Tänzer, Mimen, Musiker und offenbar auch missgestaltete Menschen – hätte man auch gerne bloß Spekulatives erfahren.
Die Historiker hingegen greifen öfter auf schriftliche und dingliche Überlieferungen zurück (leider ohne Entsprechung im Bildteil). Deutlich wird jedenfalls, dass selbst auf einem seit langem beackerten Feld neue Fragestellungen auch neue Ergebnisse zeitigen können. Schon die alten Römer trieb die Frage um, was man denn nun dem Gastgeber mitbrachte (ursprünglich wohl nur das symbolon, „das Zusammengefügte“, eine Art antikes Freundschaftsband). Blumenbouquets, weil anachronistisch, schieden zwar prinzipiell aus, aber war ein guter Wein oder eine exotische Knabberei angeraten? Oder sollte man doch vielleicht einen – symbolischen – pekuniären Beitrag leisten? Wie vertrug sich das mit der auch im Gastmahl repräsentierten Standeshierarchie, zum Beispiel in der Anordnung bei Tisch? Diesen Punkten gehen besonders Elena Merli (Aquila), Anja Bettenworth (Münster) und Dirk Schnurbusch (Freiburg) nach, während Konrad Vössing anhand etymologischer Betrachtungen einer bislang wenig beachteten Veränderung in der Trinkkultur auf die Spur kommt. Werner Tietz (München) entlarvt den häufigen Vorwurf an die allein (solus) Speisenden als literarischen Topos, der ebenfalls einem langfristigen Wandel unterworfen war. Überspitzt gesagt, könnte man beinahe den Schluss ziehen, dass es seit der Kaiserzeit Mode wurde, Essenseinladungen mit großer Verve zurückzuweisen, um sodann möglichst exklusive Tafeln besuchen zu können. Künstler wollten schon immer gebeten werden – und im Mittelpunkt stehen.
In Zeiten des Bürgerkriegs hütete selbst Cicero seine scharfe Zunge und plauderte mit Cäsar lieber über Philologie und Grammatik als über Politik.
Noch einmal zurück zu Cicero: In seinem Beitrag ruft William J. Slater (Hamilton) in Erinnerung, dass auch. wenn alle übrigen Formalitäten mehr oder minder zufriedenstellend erledigt waren, die Themenauswahl bei der Tischkonversation wichtig war. In Zeiten des Bürgerkriegs hütete selbst Cicero seine scharfe Zunge und plauderte mit Cäsar lieber über Philologie und Grammatik als über Politik.
Nicht erst seit Knigges Über den Umgang mit Menschen (1788), nein, schon in klassischer Zeit galt Religion als eher heikles Thema für Tischgespräche. Der Vermittlung dieser metaphysischen Topik widmet sich ein anderer Sammelband. In der Reihe „Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge“ untersuchen sieben kurze Aufsätze einerseits das Sprechen über Religion in der Literatur, und andererseits, wie man Sakralarchitektur als Kommunikationsmittel lesen kann. Das führt von Hubert Canciks eher tabellarischer Auflistung interreligiöser (Streit-)Gespräche (Anhänger der griechischen und römischen Götterwelt werden ebenso berücksichtigt wie „Judäer, Magier, Christianen und Mohammedaner“ – Nomenklatur Cancik) bis zu überzeugenden Interpretationen ägyptisierenden Dekors von Isis-Tempeln in Pompeji durch Ulrich Mania (Kiel).
Darja Šterbenc Erker (Erfurt) und Wolfgang Spickermann (Trier/Erfurt) untersuchen, wie römische Zeitgenossen religiöse Bräuche oder – sogar fiktive – Sakraldarstellungen für ihre je eigenen Zwecke interpretierten. Dass ein recht eingeschränktes ikonographisches Repertoire dennoch für einen breiten Bedeutungszusammenhang bis hin zur individuellen Frömmigkeitsdarstellung nutzbar gemacht wurde, erläutern Gian Franco Chiai (Heidelberg) und Günther Schörner (Jena). Als Abschlussbeitrag wagt Dirk Steuernagel (Leipzig) noch eine Zusammenschau von Baugeschichte und Orakelbrauch im Apolloheiligtum von Didyma, Kleinasien. Die schriftliche Überlieferung zum Thema ist spärlich, umso reichhaltiger aber der archäologische Befund, was eine durchaus überzeugende Interpretation ermöglicht.
Beide Werke sind im Franz Steiner Verlag erschienen und fundiert betreut worden. Der wissenschaftliche Apparat aber fällt unterschiedlich aus. Übergreifende Quellenindizes bieten beide Bände, in Das römische Bankett finden sich zusätzlich eine artikelübergreifende Bibliographie und Angaben zu den einzelnen Verfassern, die Medien religiöser Kommunikation können hingegen mit einem Sachregister aufwarten. Für den Benützer wäre eine Kombination dieser Elemente und einheitliche Ausstattung über die gesamte Verlagsproduktion ein zusätzlicher Gewinn.