Globalisierung mit menschlichem Antlitz

Jagdish Bhagwatis Verteidigung der Globalisierung ist ein Plädoyer für Freihandel. Von Rosa Lyon

Online seit: 20. September 2019

Jagdish Bhagwati scheint ein glücklicher Mensch zu sein, denn er lacht ständig. Zuallererst erklärt er lachend, dass es ihm gar nicht recht ist, noch keinen Wirtschaftsnobelpreis verliehen bekommen zu haben. Dabei seien seine Bücher und Theorien viel besser als die von Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger des Jahres 2001. Und dann fügt er lachend hinzu, er habe den aktuellen Nobelpreisträger Paul Krugman entdeckt. Krugman habe ihm als sein Schüler am Massachusetts Institute of Technology in Boston eine Literaturliste für eine wissenschaftliche Arbeit gegeben. „Normalerweise würde unter gemeinsam erarbeiteten Beiträgen ‚Bhagwati und  X‘ stehen“, erklärt der indische Ökonom. „Aber Paul Krugman kam zwei Wochen später mit einem fertigen Artikel in mein Büro. Ich konnte nicht einmal ein Komma ändern, weil der Text so gut war. Also wurde es ‚Krugman und Bhagwati‘ und ich dachte: ‚Dieser junge Mann wird Erfolg haben.‘ Und den hat er.“

Lehrer und Schüler haben sich allerdings seit einigen Jahren inhaltlich voneinander entfernt. Bhagwati etwa plädiert für freien Handel von Gütern und Dienstleistungen. Diese Einstellung argumentiert er unter anderem anhand der Theorien des Nationalökonomen David Ricardo aus dem Jahr 1817. Aus dessen Sicht lohnt sich der unbeschränkte Außenhandel für alle Länder, auch für jene, die weniger entwickelt sind und daher nur weniger wertvolle Produkte herstellen können oder Kostennachteile haben. Denn jeder sei auf etwas spezialisiert, so die Annahme von David Ricardo. Daher sei es besser, nur jene Produkte herzustellen, die geringe Arbeitskosten erzeugen, und die restlichen zu importieren. In dezidierter Abwendung vom ricardianischen Modell zeigt dagegen die neue Handelstheorie von Paul Krugman, dass Handel eher zwischen gleichwertigen Partnern als zwischen unterschiedlich entwickelten stattfindet und dass es Fälle gibt, in denen protektionistische Maßnahmen Sinn machen. Etwa auf Märkten, wo stets der Größere gewinnt.

Viele Kritiker der Globalisierung sähen in den multinationalen Konzernen bloß die Hauptnutznießer des Kapitalismus und der Globalisierung, schreibt Jagdish Bhagwati in seinem Buch. „Andere finden den Gedanken plausibel, dass multinationale Unternehmen in einer Weltwirtschaft ohne einheitliche gesetzliche Regelungen zwangsläufig böse agieren müssen. Denn dadurch seien die Unternehmen in der Lage, Gewinne zu machen, indem sie die günstigsten Orte für die Ausbeutung von Arbeitern und ganzen Ländern aufspüren.“

Die unternehmensfeindlichen Argumente, so Bhagwati, basierten nicht auf Tatsachen. Denn multinationale Konzerne würden gar nicht niedrige Löhne bezahlen, sondern höhere als die ortsansässigen Unternehmen. Die Armut in Entwicklungsländern würde durch internationale Konzerne nicht verschärft, sondern gelindert, Kinderarbeit reduziert, Frauen unterstützt, die Demokratie ausgeweitet, die Kultur bereichert und die Umwelt gar nicht so stark verschmutzt, wie immer behauptet. Einzig den freien Finanzkapitalismus lehnt der indische Ökonom ab. Schon im Jahr 1998, unmittelbar nach dem Ausbruch der Asienkrise, hatte Bhagwati vor dem Ungleichgewicht zwischen Freihandel und freiem Kapitalfluss gewarnt. Durch die jüngsten Ereignisse an den Finanzmärkten fühlt er sich in seiner Haltung bestätigt.

Jagdish Bhagwati begann an seinem Buch Verteidigung der Globalisierung im Jahr 1999 zu schreiben, als sich die Welthandelsorganisation zu einer neuen Runde multilateraler Handelsgespräche traf und es zu heftigen Demonstrationen kam. Der Globalisierung fehle es an menschlichem Antlitz, skandierten die Demonstranten. Bhagwatis Antwort auf diesen Vorwurf lautet, dass die Globalisierung im Großen und Ganzen die Lösung sozialer Probleme fördert, die Globalisierung bereits ein menschliches Antlitz hat. Als Beispiel führt Jagdish Bhagwati etwa Japan an, wo für Frauen die gläserne Decke bis in die achtziger Jahre undurchdringlich war.

„Als die japanischen multinationalen Konzerne Ende der achtziger Jahre in großer Zahl ins Ausland gingen, blieben die Führungskräfte natürlich immer noch männlich. Ihre Frauen, die in New York, Rom, Paris und London lebten, sahen aber plötzlich, dass westliche Männer ihre Ehefrauen anders behandelten und dass die Frauen im Westen auch im Geschäftsleben und in anderen Berufen Aufstiegsmöglichkeiten hatten. Das machte sie bei ihrer Rückkehr zu einflussreichen Vertreterinnen des gesellschaftlichen Wandels.“

Ob die Emanzipation japanischer Frauen ein geeignetes Beispiel für die Verbesserung sozialer Umstände ist, darüber lässt sich streiten. Überhaupt sind einige Argumente Jagdish Bhagwatis äußerst umstritten, vor allem seine zentrale These vom Freihandel als Wohltat für alle. In den Kapiteln, die der besseren Gestaltung der Globalisierung gewidmet sind, findet man jedoch auch interessante Überlegungen. Beispielsweise plädiert er für eine unabhängige Behörde, um die Finanzmärkte zu regulieren. Um ein breiteres Bild der Diskussion über die Globalisierung und ihre Folgen zu erhalten, empfiehlt sich ergänzend zu Baghwatis marktradikalen Überlegungen die Lektüre der Schatten der Globalisierung von Joseph Stiglitz oder Amartya Sens Werk Ökonomie für den Menschen – Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft.

Quelle: Recherche 1/2009

Online seit: 20. September 2019

Jagdish Baghwati: Verteidigung der Globalisierung. Mit einem Vorwort von Joschka Fischer. Aus dem Englischen von Werner Roller. Berlin, Pantheon 2008. 528 Seiten, € 16,95.