Terrorismus und Kommunikation

Der moderne Terrorismus entstand zeitgleich mit dem Aufkommen der Massenmedien und verfolgt zuweilen komplexe kommunikative Strategien. Von Peter Waldmann

Online seit: 25. September 2019

Die Frage, mit denen Kommunikationswissenschaftler eine Botschaft üblicherweise aufschlüsselt, lautet: Wer sendet an wen was in welcher Form auf welchem Wege mit welchem Erfolg? Im Mittelpunkt meiner folgenden Ausführungen stehen die per Gewalt transportierten Botschaften, nicht um die vielleicht parallel dazu stattfindenden Bemühungen der Terroristen, friedlich für ihre Ziele zu werben. Zunächst wird ein Überblick über die Hauptadressaten („Bezugsgruppen“) terroristischer Kommunikation per Gewalt gegeben und werden die verschiedenen Elemente der Botschaft aufgeschlüsselt. In einem weiteren Abschnitt wird der Versuch unternommen, die Kommunikationsprofile der Hauptformen des Terrorismus zu studieren. Abschließend wird die Frage aufgeworfen, ob die Botschaften „ankommen“, das heißt, wie effektiv sie sind. Zunächst ist jedoch eine kurze Vorbemerkung zur Form der terroristischen Botschaften vorauszuschicken. Dabei sind drei Punkte zu beachten:

1) Da es sich um eine kommunikative, keine militärische Strategie handelt, setzt Terrorismus eine Dreierkonstellation voraus. Hier stehen sich nicht zwei Konfliktparteien gegenüber, die sich wechselseitig einen maximalen Schaden zuzufügen trachten; die Gewaltopfer terroristischer Anschläge sind in aller Regel nur ein Mittel, um einem breiteren Publikum etwas mitzuteilen. Sie werden benutzt, um Zeichen zu setzen, wachzurütteln, auf das Anliegen der Gewaltaktivisten aufmerksam zu machen. Die Gewaltbotschaft kann, wenn sie nicht von einem kommentierenden Text begleitet ist – was in jüngerer Zeit immer seltener der Fall ist –, mehrdeutig, schillernd und interpretationsbedürftig sein. Gleichwohl ist festzuhalten, dass es sich beim Gewaltakt primär um ein kommunikatives Ereignis, keinen instrumentellen Vollzug handelt. Die Opfer fungieren als Botschaftsvehikel, im Übrigen sind sie den Gewalttätern gleichgültig (sind z. B. nicht notwendig „Feinde“).

2) Damit ein Gewaltakt zum öffentlichen Ereignis wird, bedarf es der Medien, die daraus eine sensationelle Geschichte machen. Nicht von ungefähr ist der moderne Terrorismus zum selben Zeitpunkt entstanden, als das Dynamit erfunden wurde und die moderne Massenpresse aufkam, nämlich zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Zeitalter des Fernsehens und der Videoclips werden Texte immer mehr durch schockierende Bilder ersetzt, welche postheroische, an Gewaltkonflikten arme Gesellschaften aufschrecken und alarmieren.

3) Es liegt auf der Hand, dass spektakuläre Gewaltakte nur dann und dort als außergewöhnliche Ereignisse wahrgenommen werden und in ihrem Symbolgehalt Beachtung finden, wo der allgemeine Gewaltpegel relativ niedrig ist. Ein blutiger Anschlag in Bogota oder Caracas erregt nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie das nämliche Ereignis in Amsterdam oder Stockholm. Das ist einer der Hauptgründe dafür, warum die relativ gewaltarmen westlichen Demokratien für terroristische Gruppen eine ungemein attraktive Operationsbühne darstellen. Die Konkurrenz um die Erregung der Aufmerksamkeit der westlichen Welt kann einen Eskalierungseffekt dergestalt auslösen, dass stets neue, brutalere Anschlagsvarianten ersonnen werden, um die Weltöffentlichkeit zu beeindrucken. Im Einzelfall kann von diesem makabren Wettbewerb jedoch auch ein deeskalierender Effekt ausgehen, weil eine Gewaltorganisation nicht riskieren will, sich durch Minianschläge lächerlich zu machen (ETA in Spanien nach islamistischem Megaanschlag vom 11. März 2004).

An wen wird was kommuniziert?

Die Frage nach den negativen und positiven Adressaten (Bezugsgruppen) ist vorzuziehen, da von ihr maßgeblich der Inhalt der terroristischen Botschaft abhängt. Oft ist es nicht einfach, zu erkennen, an wen sich Terroristen wenden, welches das anvisierte Publikum ist. In groben Umrissen lassen sich vier Hauptadressatengruppen erkennen:

1) Die erklärten Feinde, die eng oder weit definiert sein können: Der klassische, vor allem der sozialrevolutionäre Terrorismus attackierte vor allem Hauptvertreter des bekämpften Systems (Militär, Politik und Wirtschaft). Ähnliches gilt für den ethnisch-nationalistischen Terrorismus; beim religiösen Terrorismus ist die Feindkategorie viel weiter und diffuser: der Westen, alle Ungläubigen etc.

2) Als Pendant zu den Feinden die engere Gefolgschaft, das radikale Milieu als positive Bezugsgruppe: jene, auf deren moralische und logistische Unterstützung die Terroristen angewiesen sind. Das kann ein kleiner Kreis von Sympathisanten sein (sozialrevolutionärer Terrorismus, Extremfall der RAF) oder eine ansehnliche Bevölkerungsgruppe (bei ethnischen und religiösen Gewaltbewegungen; die „radical community“). Ihre Bedeutung – lange verkannt – als Adressat terroristischer Botschaften ist kaum zu überschätzen.

3) Rivalen, das heißt andere radikale Gruppen, die um Unterstützung bei denselben sozialen oder religiösen Schichten werben, ebenfalls die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich lenken wollen, für die gleichen oder ähnliche Ziele kämpfen. Wie kann man sie übertreffen, von der eigenen Überlegenheit überzeugen, sie vor dem Publikum diskreditieren und in den Schatten stellen? (Konkurrenzkämpfe sind unter terroristischen Gruppen üblich, Kooperation eher die Ausnahme.)

4) Das breite Publikum, die Öffentlichkeit im umfassenden Sinn, die primär national oder international sein kann. Sie soll vor allem beeindruckt werden, den terroristischen Verband zur Kenntnis nehmen. Hierzu zählt auch die große Masse der „als interessiert unterstellten“ potenziellen Anhänger, die aufgewühlt, zur Parteinahme für die Terroristen veranlasst werden sollen. Unter Umständen ist das Projekt der Terroristen aber weniger ambitiös, reicht es ihnen, wenn die Masse der Menschen verunsichert, eingeschüchtert wird, sie jedenfalls ernst nimmt.

Im Zeitalter des Fernsehens und der Videoclips werden Texte immer mehr durch schockierende Bilder ersetzt, welche postheroische, an Gewaltkonflikten arme Gesellschaften aufschrecken und alarmieren.

Wichtige Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen und die noch keineswegs geklärt sind, wären etwa, wie kompatibel die an verschiedene Bezugsgruppen gerichteten Botschaften sind. Was für die engere Gefolgschaft als Durchhalteparole gedacht ist, muss noch nicht potenzielle künftige Anhänger überzeugen. Außerdem gilt es bei terroristischen Gruppen, die in einem internationalen Kontext operieren, die unterschiedlichen kulturellen Milieus zu berücksichtigen, in denen die Botschaft platziert werden soll. Hinzu kommt, dass selbst hinsichtlich einer und derselben Bezugsgruppe durchaus schillernde, mehrdeutige Botschaften ausgesandt werden:

1) Botschaften an die Feinde:

– starke unmittelbare Bedrohung, verbunden mit der Hoffnung auf eine repressive Überreaktion (Provokationskalkül). „Es muss schlechter werden, damit es besser wird“ (Zeloten und Sicarii; Narodnaja Volja; auch ETA).
– Racheschematismus: Das Blut der eigenen Opfer soll nicht ungesühnt bleiben, für jeden getöteten Terroristen muss die Gegenseite bezahlen (Israel/Palästinenser).
– Abnützungskrieg („war of attrition“): Die Anschläge werden so lange fortgesetzt, bis den Feinden die „Kosten“ zu hoch werden, sie abziehen oder sonstige substanzielle Zugeständnisse machen (antikoloniale Befreiungskriege, auch Aufbegehren gegen „internen Kolonialismus“ – ETA und IRA).
– Versuch, einen politischen Dialog zu erzwingen, das heißt vom Gegner, insbesondere vom Staat, als militärisch-politischer Verhandlungspartner ernst genommen zu werden (PLO, IRA).
– Extreme, unversöhnliche Feindschaft: Es gibt nichts zu bereden oder zu verhandeln, nur einen Modus sozialer Interaktion: Gewalt und Vernichtung (Rechtsextremisten, religiöse Fanatiker).

2) Botschaften an die eigene Sympathisantenszene und Gefolgschaft:

– Erzeugung moralischen Drucks durch eigenes Engagement und erbrachte Opfer, vor allem durch Märtyrer-Schicksal/Selbstmordattentate: Wer folgt uns nach, tritt in unsere Fußstapfen? (Sämtliche terroristischen Organisationen von RAF bis Hamas).
– Durchhalteparole: Nicht aufgeben, der bewaffneten Avantgarde vertrauen, Zähigkeit wird durch Endsieg belohnt!
– Geltendmachung politisch-militärischen Vertretungsanspruches: Gewaltakt soll Anhänger zusammenschweißen, mit Gemeinschaft Keimzelle des künftigen Staates schaffen (ETA, IRA, Hamas, Hisbollah).
– Drohende Untertöne: Wer uns im Stich lässt, ist ein Verräter, muss mit Bestrafung rechnen, Knieschüssen, Hinrichtungen (ETA, Narodnaja Volja etc.).

3) Botschaften an rivalisierende Organisationen:

– Beweis überlegender Effizienz und Opferbereitschaft (Libanon in den 80er Jahren: Konkurrenz zwischen Amal und Hisbollah, Irak nach der Invasion von 2003, Tschetschenien);
– Alleinvertretungsanspruch hinsichtlich des zu befreienden Kollektivs (vor allem bei territorial verankerten Gewaltverbänden):
– Drohung: Notfalls wird Rivalität gewaltsam ausgetragen, und zwar mit instrumenteller, nicht mit kommunikativer Gewalt (Official IRA vs. Provisional IRA in den 70er Jahren):

4) Botschaften an das breite Publikum:

– Existenzbeweis: Die terroristische Gruppe zeigt, dass mit ihr zu rechnen ist, bombt sich in die allgemeine Aufmerksamkeit hinein.
– Unterminierung der Staatsautorität: Staatlicher Macht sind Grenzen gesetzt, der Staat vermag nicht die öffentliche Sicherheit zu garantieren.
– Drohkomponente: Keiner ist außerhalb der Reichweite der Terroristen und gänzlich ungefährdet (im Extremfall: jeder, der nicht für uns Partei ergreift, macht sich schuldig); der Einzelne soll sich im Zweifelsfall eher passiv verhalten, auf keinen Fall für Gegner Partei ergreifen.
– Werbekomponente: Wir vertreten eine gerechte Sache, Eure Sache, schließt Euch an, seid ebenfalls mutig und opferbereit!
– Appell an die internationale Öffentlichkeit: Der Gewaltanschlag wird als Akt der Notwehr angesichts akuter Unterdrückungsgefahr dargestellt, soll die internationale Staatengemeinschaft auf den Plan rufen und zum Eingreifen veranlassen. Dieses Appellmuster, schon im 19. Jahrhundert von den türkisch beherrschten Völkern auf dem Balkan (Griechen, Serben etc.) praktiziert, wiederholt sich bis in die Gegenwart hinein (zum Beispiel im Zypern der 50er Jahre: Ermordung britischer Soldaten – Großbritannien schlägt hart zurück – Denunzierung des repressiven britischen Kolonialregimes in internationaler Öffentlichkeit).

Wie diese Aufzählung zeigt, gibt es selbst im Hinblick auf ein und dieselbe Bezugsgruppe ein breites Bündel möglicher Botschaften, die via Gewalt transportiert werden. Auch die eigenen Anhänger bleiben von Drohungen nicht verschont. Umgekehrt schließen die Terroristen in der Regel den Dialog selbst mit ihrem ärgsten Feind nicht aus. Gleichwohl richten sich die Botschaften nicht in gleichem Maße an alle Bezugsgruppen. Die kommunikative Strategie kann sich im Verlauf der Entwicklung einer terroristischen Organisation auch langsam verschieben und verändern. Im Folgenden seien einige Kommunikationsprofile aufgezeigt, wie sie für die Hauptformen des Terrorismus bezeichnend sind.

Kommunikationsprofile in der terroristischen Praxis

a) Rechtsradikalismus

Wie bei allen Gruppen, die sich stark dünken, entfällt hier weitgehend der angestrebte Propagandaeffekt, die Suche nach der breiten Publizität. Rechtsradikale haben meist bescheidenere Ziele, möchten allenfalls ihren Namen in der lokalen Presse abgedruckt sehen (Norwegen). Sie sind auch nicht auf der Suche nach Verbündeten, erheben allenfalls den Anspruch, im Namen eines gleichgesinnten lokalen Publikums zu handeln oder für den Staat, der zu feig/schwach ist, nationale Interessen zu vertreten. Dieses Handeln birgt, im Unterschied zu den anderen Formen des Terrorismus, wenig Risiken, da es sich nicht gegen Staatsvertreter, sondern gegen schwache Gruppen in einer gesellschaftlichen Außenseiterposition richtet. Der Kommunikationsgehalt derartiger Aktionen reduziert sich im Wesentlichen auf Drohungen: Jeder Angehörige der Randgruppen, der sich im Macht- und Einflussbereich der Rechtsradikalen aufhält, riskiert angegriffen und niedergemacht bzw. misshandelt zu werden.

b) Ethnisch-nationalistischer Terrorismus

Am Anfang einer ethnisch-nationalistischen Gewaltbewegung mag, wie im Fall der spanischen ETA, die der Franco-Diktatur die Stirn bot, ein klassisches Provokationskalkül stehen: Man fordert durch gezielte Anschläge auf Vertreter des Sicherheitsapparates den Staat heraus, wohl wissend, dass er hart zurückschlagen und dabei auch Unbeteiligte treffen wird, die sich dann, wie man hofft, den Aufständischen anschließen werden. Doch je länger der Konflikt sich hinzieht – und gerade ethnisch-nationalistische Gewaltkonflikte ziehen sich endlos hin –, desto mehr differenziert sich das gesellschaftliche Umfeld im Hinblick auf den Terrorismus aus, desto klarer wird auch, was die terroristischen Botschaften ausrichten und wen sie nicht zu erreichen vermögen. Ihre bevorzugten Adressaten sind dann eindeutig der als Okkupationsmacht wahrgenommene Zentralstaat einerseits, die engere Anhängerschaft der Terroristen andererseits. Inzwischen hat der Zentralstaat gelernt, mit den Terroristen umzugehen. Ihn, wie anfangs, zu äußerst heftigen und im Ergebnis kontraproduktiven repressiven Überreaktionen provozieren zu wollen, ist nutzlos. Also schwenken die Terroristen zu einer Zermürbungsstrategie um, setzen weniger auf spektakuläre Einzelanschläge, versuchen vielmehr ihre Kampagne durch regelmäßig sich wiederholende Angriffe zeitlich in die Länge zu ziehen, in der Hoffnung, irgendwann würden die Staats- und Regierungsvertreter der ständigen Angriffe und der mit dem hohen Kontrollaufwand verbundenen Kosten überdrüssig werden und die Minderheit in die politische Unabhängigkeit entlassen. Ein solches Langzeitkonzept lässt sich allerdings nur durchhalten, wenn ein Teil der betreffenden Minderheit fest hinter den Gewaltaktivisten steht. Deshalb sind die Anschläge zugleich wichtige Signale für die eigene Anhängerschaft: Sie sollen dieser gegenüber vom ungebrochenen Kampfes- und Opferwillen der bewaffneten Avantgarde Zeugnis ablegen und sie in die Pflicht nehmen, diese auf jede nur erdenkliche Weise weiter zu unterstützen.

Offenbar werden durch Praktiken der Selbstverstümmelung und -opferung quasisakrale Gefühle geweckt, und zwar unabhängig davon, ob dies explizit unter einem religiösen oder einem säkularen Vorzeichen geschieht.

Dagegen spielen die übrigen Bevölkerungssektoren im Kommunikationskalkül der Terroristen nur eine untergeordnete Rolle. Beispielsweise haben sie sich damit abgefunden, dass es auch innerhalb der Minderheit selbst breite Gruppen und Schichten gibt, die ihren Gewaltkurs ablehnen und sich in dieser Haltung nicht mehr beeinflussen lassen. Die Mehrheitsbevölkerung interessiert sie ohnehin nur insoweit, als sie darauf spekulieren, durch gelegentliche willkürliche Anschläge außerhalb ihres engeren Siedlungsgebietes allgemeinen Schrecken zu erzeugen und den Druck auf die Regierung, an die Minderheit substanzielle Zugeständnisse zu machen, zu erhöhen.

c) Sozialrevolutionärer (marxistischer) Terrorismus

Dieser Typus terroristischer Bewegungen, für den die RAF, die Roten Brigaden, Action directe und andere Gruppen aus den 70er und frühen 80er Jahren stehen, lässt sich als ein Gewaltverband auf der ständigen Suche nach einer breiten Gefolgschaft, dem so genannten revolutionären Subjekt, charakterisieren. Wie im Falle des ethnisch-nationalistischen Terrorismus ist ein Hauptadressat der Anschläge der Staat. Doch wird gegen ihn kein langfristiger Abnützungskrieg geführt, vielmehr bleibt die Erwartung bestehen, dass er sich im Zuge seiner übertriebenen Abwehrmaßnahmen, für jedermann erkenntlich, selbst ruinieren, das heißt als Unrechts- und Willkürstaat entpuppen und in einer revolutionären Welle hinweggefegt werden würde, um von einem neuen, besseren Herrschaftssystem ersetzt zu werden. Doch dieser revolutionäre Umschwung ist schwerlich ohne eine aufständische Massenbewegung denkbar. Folglich hielten die sozialrevolutionären terroristischen Zellen ständig nach ausgebeuteten und unterdrückten sozialen Schichten Ausschau, aus denen eine solche Massenbewegung hervorgehen könnte. Obwohl hochtheoretisch, waren die langen Erklärungen, die sie als Begleittexte zu ihren Anschlägen verfassten, nicht zuletzt an die Adresse dieses noch ausfindig zu machenden revolutionären Subjektes gerichtet. Erst als sich immer deutlicher herausstellte, dass sich, von einem sehr begrenzten Sympathisantenkreis abgesehen, niemand für ihre weitreichenden Umsturzpläne interessierte, fand eine dem ethnisch-nationalistischen Terrorismus analoge Schwenkung statt. Zum Hauptadressaten ihrer Gewaltbotschaften wurden, neben dem nach wie vor diabolisierten Staat, nunmehr die Mitglieder der terroristischen Organisation und ihre kleine Unterstützerschar selbst, die sich auf diese Weise ihre höhere Berufung als revolutionäre Avantgarde bestätigten und gegenseitig am Verlassen der Organisation hinderten. Iring Fetscher und Herfried Münkler haben in diesem Zusammenhang von einer „existenzialistischen“ Wende und Begründung des bewaffneten Kampfes der RAF gesprochen.

d) Religiöser Terrorismus

Die Kommunikationsprofile des ethnisch-nationalistischen und des sozialrevolutionären Terrorismus sind insofern interessant, als sie, in gebrochener Form, auch beim religiösen Terrorismus wieder auftauchen. Zunächst ist aber auf einen Zug hinzuweisen, der diesem ein unverwechselbares Eigenprofil verleiht: die zentrale Bedeutung, die für den gläubigen Gewaltaktivisten seine Verbindung zu Gott hat. Diese Unterordnung unter den Willen des Allerhöchsten und die imaginierte Kommunikation mit ihm stellt die Beziehung zu allen irdischen Bezugsgruppen in den Schatten. Das gilt jedenfalls für den religiösen Einzelterroristen und kleine Zellen religiöser Fanatiker, während man annehmen darf, dass in dem Maße, in dem ein Verband wächst, für seine Kommunikationsstrategien die korporativen Eigeninteressen und die Interessen der von ihm vertretenen Gemeinschaft von Gläubigen in dieser Welt bestimmend werden. Eine weitere Instanz, die das Verhalten religiöser, insbesondere islamistischer Attentäter maßgeblich beeinflusst, sind die Geistlichen. Diese entscheiden mit, welche Gewaltakte als Mittel, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, zulässig sind und wo die Grenzen liegen (Fadlallah bei Hisbollah: gegen Flugzeugentführungen).

Im Übrigen gibt es nicht „das“ Kommunikationsprofil des islamistischen Terrorismus. Vor allem ist eine Trennlinie zwischen primär in einem begrenzten territorialen Rahmen operierenden Organisationen wie Hamas, Hisbollah oder den tschetschenischen Rebellen einerseits und dem transnationalen Terrorismus von Al Kaida und ihren Ablegern und Sprösslingen andererseits zu ziehen. Was Hamas, Hizbollah usw. betrifft, so begegnet man durchaus vergleichbaren Kommunikationsmustern, wie man sie bereits von der IRA und der ETA her kennt. Ihre Hauptkommunikationspartner sind der als feindliche Besatzungsmacht wahrgenommene Staat und die auf sie eingeschworenen Bevölkerungssegmente. Während sie gegen den feindlichen Staat (im Fall der Hisbollah ursprünglich vor allem der israelische Staat – wie sie sich in der Zukunft verhalten wird, ist noch offen) einen Zermürbungskrieg führen, scheuen sie keine Mühe, jene Bevölkerungsgruppen, die sie mobilisiert und hinter sich gebracht haben, in ihrem Engagement zu bestärken und dafür zu belohnen. Die anderen Gruppen sind für sie zweitrangig, auch der globale Dschihad interessiert sie nicht sonderlich.

Al Kaida und die daran angelagerten Organisationen, die eine globale Dschihad-Strategie verfolgen, erinnern wiederum stark an die sozialrevolutionären terroristischen Gruppen der 70er und 80er Jahre. In der Tat sind die Kader von Al Kaida, vergleichbar den genannten Gruppen, großenteils aus gescheiterten religiösen Protest- und Umsturzbewegungen auf nationaler Ebene, etwa in Ägypten, Algerien, ansatzweise auch in Saudi-Arabien, hervorgegangen. Wie die Linksterroristen jener Zeit erhofften sie sich von einer Provokationsstrategie einen grundlegenden politischen Wandel. Wie bei jenen ist ihr Vorgehen hochgradig ideologisch motiviert, man hat jedoch Mühe zu erkennen, wie ihre weitreichenden religiös-politischen Pläne eines Macht- und Herrschaftswechsels im Einzelnen umgesetzt werden sollen. Und wie jene sind sie auf der vergeblichen Suche nach dem revolutionären Subjekt, der breiten Masse von Gläubigen, die ihrem Kampfaufruf Folge leisten. Sie finden primär Gehör bei Einzelnen, meist Außenseitern der jeweiligen Gesellschaft.

Die Parallele lässt sich sogar weiter ziehen bis hin zur von Fetscher und Münkler beobachteten existenzialistischen Wende bei den marxistischen Gruppen, insbesondere der RAF. Offenbar gibt es auch im islamistischen Lager mittlerweile Gruppen, die einen stark autistischen, privatistischen Zug haben. Sie haben die Verbindung zur weiteren sozialen Umwelt weitgehend gekappt, stehen primär nur noch mit Gesinnungsgenossen in Verbindung, bestärken sich wechselseitig in ihren radikalen Ideen. Dementsprechend sind ihre Anschläge nur noch begrenzt als Propaganda für etwas und Signale an jemanden zu verstehen, sondern stellen Opferrituale eigener Art dar, die primär den Zweck verfolgen, den „Märtyrern“ den Zugang zum Paradies zu eröffnen (O. Roy).

Kommt die terroristische Botschaft an?

Das ist eine schwierige, im Unterschied zur Wirkung der Medien wenig untersuchte Frage, zu der an dieser Stelle nur einige tentative Anmerkungen gemacht werden sollen. Dabei erscheint es zweckmäßig, drei Aspekte der terroristischen Botschaft auseinander zu halten: die Drohkomponente, die allgemeine Appellfunktion und den Solidarisierungsaufruf.

Was den Drohaspekt betrifft, der in den Anschlägen enthalten ist, so verfehlt er seine Wirkung nicht. Etliche Beispiele belegen, dass nach einem terroristischen Megaanschlag die Staatsmänner unterschiedlicher Couleur und Provenienz eng zusammenrückten und den Terrorismus als eine der Hauptgefahren für die Menschheit anprangerten. Doch auch beim Durchschnittsbürger, für den die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags zu werden, minimal ist, weckt der Terrorismus, wie Umfrageergebnisse belegen, große Ängste und Befürchtungen. Das dürfte damit zusammenhängen, dass es sich um eine Bedrohung handelt, die aus heiterem Himmel kommt, hinter der Menschen stehen, die systematisch Böses im Schilde führen und gegen die man sich nicht wehren kann. Bedenkt man, welche tiefgreifenden Veränderungen die Sicherheitsarchitektur der westlichen Staaten wegen der vom transnationalen Terrorismus angeblich ausgehenden Gefahren erfahren hat und wie sehr Rechtsstaatsprinzipien dabei strapaziert wurden, so kann man den Terrorismus als besonders erfolgreich in seinem Bestreben bezeichnen, mit relativ bescheidenen Gewaltmitteln einen maximalen Bedrohungseffekt zu erzielen.

Auch der allgemeine Aufmerksamkeitseffekt (Appellfunktion) ist, zumindest bei größeren Anschlägen, gewährleistet. Unser Mediensystem in seiner gegenwärtigen Struktur und Ausrichtung auf spektakuläre Bilder sorgt dafür, solange – was unwahrscheinlich ist – die Zahl terroristischer Aktionen nicht inflationär zunimmt. Gewiss berichtet die internationale Presse nicht über jeden Anschlag in der sogenannten „Dritten Welt“, doch auf der jeweiligen nationalen Ebene wird er durchaus zur Kenntnis genommen. Die immer zahlreicher werdenden Megastädte in der ganzen Welt sind für Störungen aller Art hochempfindliche soziale Gebilde, die den Terroristen einen ausgezeichneten Resonanzboden für ihre Gewaltexplosionen und die daran geknüpften Signale bieten.

Am schwierigsten für die Terroristen ist es, den Solidarisierungseffekt zu erzielen, d.h. Gleichgesinnte und Sympathisanten dazu zu bewegen, sich ihnen anzuschließen oder sie zumindest zu unterstützen. Das hängt zunächst mit der paradoxen Intention zusammen, durch einen Zerstörungsakt positive Gefühle der Anteilnahme und Unterstützungsbereitschaft erzeugen zu wollen. Nicht minder fällt jedoch ins Gewicht, dass in diesem Fall kein Ausweichen, sich der Gefahr Entziehen, auch nicht die Delegation der Rachegefühle auf einen Staat erwartet wird, sondern ein riskantes Engagement zugunsten der Terroristen, das unter Umständen teuer bezahlt werden muss durch Vertreibung, Haft und im Extremfall mit dem eigenen Tod.

Doch Terrorismus ist per definitionem Kleingruppengewalt.

Wenn ich es recht sehe, gibt es zwei Mechanismen, mit deren Hilfe versucht wird, die dadurch bedingten Hemmschwellen für ein Aktivwerden zugunsten der Gewaltakteure zu überwinden: Der eine ist die Bezugnahme auf reale oder imaginäre Gemeinschaftsbindungen, die den angesprochenen Personenkreis mit den Terroristen verknüpfen. Das können im einfachsten Fall Freundschafts- oder Verwandtschaftsbindungen sein, denen sich der einzelne vor allem bei ethnischen Minderheiten, die starke traditionelle Züge bewahrt haben, kaum entziehen kann. Gemeinsame kollektive Herkunft und der Besitzanspruch auf ein bestimmtes Territorium sind weitere Faktoren, die Bevölkerungsgruppen zusammenschweißen (eine Ideologie, auf die sich die Gewaltprotagonisten berufen, reicht dazu im Allgemeinen nicht aus). Unter Umständen werden solche Gemeinschaften auch unfreiwillig „von oben“ geschaffen, etwa im Rahmen einer Diktatur oder eines Besatzungsregimes, wenn alle Mitglieder einer Nation oder Volksgruppe als verdächtig erscheinen und entsprechend behandelt werden. Im Falle religiös motivierter Gewaltgruppen können sich die Aktivisten auf das sämtlichen abrahamitischen Religionen gemeinsame Brüderlichkeitsethos berufen, das alle Mitglieder verpflichtet, für einander und für die angeblich oder wirklich bedrohte Religionsgemeinschaft einzustehen.

Der andere Mechanismus ist eine unmerkliche Verschiebung innerhalb der Gewaltskala von der Täter- auf die Opferseite. Wer laue Mitstreiter zu einem aktiven Engagement für die gemeinsame Sache bewegen will, brüstet sich weniger mit dem Schaden, den er der Gegenseite zugefügt hat, sondern verweist eher auf die Mühen und Strapazen des eigenen Feldzuges und die Opfer, die bisher erbracht worden sind. Soll dies alles umsonst gewesen sein, wollt ihr uns im Stich lassen und die historische Mission des Widerstandes gegen einen übermächtigen Gegner aufgeben?, lautet die dahinter stehende Frage. Wer etwa die jüngere Geschichte der nordirischen IRA kennt, wird bestätigen, dass von kaum einer anderen Ereigniskette ein ähnlich mobilisierender Effekt auf die katholische Bevölkerung Nordirlands ausging wie von der Hungerstreikaktion der IRA-Häftlinge Anfang der 80er-Jahre. Der springende Punkt war, dass nicht etwa ein neuer Feldzug gegen die britische „Besatzungsmacht“ gestartet wurde, sondern die einsitzenden IRA-Leute, um als politische Gefangene anerkannt zu werden, sich gewissermaßen selbst zur Geisel erklärten und nacheinander in einen unbefristeten Hungerstreik eintraten, teilweise ihre Unbeugsamkeit mit dem Tod bezahlten. Dass durch Zufügen von Schmerzen gegenüber dem eigenen Körper bis hin zum gezielt herbeigeführten Märtyrertod Politik gemacht und andere zur Nachahmung angestachelt werden können, hat Bernd Weisbrod in jüngeren Veröffentlichungen wiederholt herausgestellt. Offenbar werden durch derartige Praktiken der Selbstverstümmelung und -opferung quasi-sakrale Gefühle geweckt, und zwar unabhängig davon, ob dies explizit unter einem religiösen oder einem säkularen Vorzeichen geschieht. Gewiss ist es meist nur eine kleine Zahl von Adepten, die sich durch solche exemplarische Aktionen „anstecken“ und dazu motivieren lässt, in die Fußstapfen der ihr Leben aufs Spiel setzenden Gewaltaktivisten zu treten. Doch Terrorismus ist per definitionem Kleingruppengewalt. Es bedarf nur einer zwar regelmäßigen, jedoch begrenzten Zahl von Neuzugängen, um ihn am Leben zu erhalten.

Auf einer allgemeineren Ebene ist daran zu erinnern, dass Terrorismus nicht zuletzt ein Mode- und Nachahmungsphänomen ist. Auf dem Scheitelpunkt terroristischer „Wellen“ ergreifen intuitiv zahlreiche Menschen für die Terroristen Partei und sehen in ihnen und den von ihnen vertretenen Gruppen die Opfer, während, nachdem die Welle abgeflaut ist, Ernüchterung Platz greift und die Brutalität der Gewaltakte sowie ihr begrenzter Nutzeffekt vermehrt in den Vordergrund rücken.

Literatur:

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Peter Waldmann, geboren 1943 in Meiningen/Thüringen, ist deutscher Soziologe und Gewalt- und Terrorismusexperte. Er studierte Rechts- und Sozialwissenschaften in München und Paris. 1966 promovierte er zum Dr. iur. in München. 1973 erfolgte seine Habilitation für Soziologie mit einer Arbeit über den argentinischen Peronismus. 1975-2002 war Waldmann Professor für Soziologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Augsburg (Bayern) und beschäftigte sich mit Lateinamerikastudien. „Terrorismus und Kommunikation“ ist im Februar 2009 in der Zeitschrift „Loccumer Protokolle“ erschienen und beruht auf einem Referat, das der Autor im Rahmen der Tagung „Mit Terroristen reden? Vom Umgang mit politischer Gewalt im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts“ an der Evangelischen Akademie Loccum im Dezember 2008 gehalten hat.

Quelle: Recherche 2/2009

Online seit: 25. September 2019

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