Es gab wohl kaum eine Debatte, die sich weniger schlingernd und stoß-mich-zieh-mich-artig fortbewegt hätte als die gegenwärtige Auseinandersetzung zur veränderten Position des Menschen. Einerseits will man sich von der lieb gewordenen Exzellenz der menschlichen Position nicht trennen, andererseits will man sich als fortschrittlich egalitär geben. Man will die Gen-und Repro-Industrie schärfstens, will andererseits aber nicht ausschließen, dass das „Andere“, in Gestalten zwischen Hauskatze oder „Außereuropäischen“ doch gehörig Subjektivität besitzt. Das akademische Ich will das innere Tier gleichzeitig an die Kandare nehmen und es bewundernd streicheln. What to do? Hier also ein paar cool und unerschütterlich in eine unendliche Zukunft deutende Bemerkungen.
Gegenwärtig zu sein heißt In-Sein. Es bedeutet, dass man verbunden ist. Der Zustand der Trennung oder Distanz führt die Oszillation zwischen Vergangenheit und Zukunft ein. Dazwischen ist die Linie, die uns die Illusion einer geschlossenen Zeit vorgaukelt. Gegenwärtig zu sein ist die Bedingung der Möglichkeit der Identifikation mit Allem. Die Abstimmungsaufgabe wird über die menschliche Gattungsgrenze hinaus ausgedehnt. Wie wir gesehen haben, wird sie sogar über die Grenze der irdischen Welt hinaus ausgedehnt. Die Welt ist kein geschlossenes System. Wenn das wiederum gilt, dann ist die Mühe, die man sich macht, um die Entstehung der Arten evolutionär, also auf einer Art physikalischer Zeitlinie, die durch Expression und Repression markiert ist, linear zu deuten, vergebens. Wie sollte aus einem Ei alles werden, wenn das Ei selbst wiederum in einem Raumgefüge existiert, welches interdimensional und multidimensional angelegt ist? In dieses Ei könnten durch die Kraft jenes Raumgefüges selbst, in dem es nicht nur so von ungefähr, sondern wesentlich ist, epigenetische Effekte eingeschleust werden, die nicht mehr unter den Rahmenbedingungen des geschlossenen Geotops zu erklären sind. Die Vielzahl der Arten wird prädikativ auf das armseligste erfasst, wenn es (eigentlich wie in der Kunst) immer nur heißt: Es entwickelte sich dies, und dann entwickelte sich das. Wieso entwickelt sich etwas? Weil sich etwas anderes so und so entwickelte, worauf ein Dieses eine Reaktion entwickelte. Aristoteles hat damit angefangen, die Arten zu erklären, indem er so tat, als ließe er sich von seiner eigenen Erkenntnis ihrer Sinnigkeit überraschen. Er erklärte etwa, dass der Pelikan diesen einkaufstütenförmigen Schnabel besitzt, weil er damit Fische zu seiner Brut transportieren kann. Die Eigenschaften der Arten wurden von ihm gesehen als etwas, das einer Zweckbestimmung unterliegt, die rückwirkend dieses oder jenes distinktive Merkmal hervorbrachte. Die Exemplare der verschiedenen Arten wurden dadurch zu einer Art Erfüllungsgehilfen ihrer eigenen Zwecke, die jeweils Gefahr liefen, von Menschen in der überraschenden Weise erkannt zu werden, dass selbst Dienstleistungen ihm gegenüber aus ihnen abgeleitet werden konnten. Der breite Rücken des Pferdes lud beispielsweise auf das Schreiendste dazu ein, ihm etwas aufzuladen. Die Vielfalt der Arten wurde also in einem ersten (aristotelischen) Schritt teleologisch, nach den Zweckbestimmungen, und in einem zweiten – da der erste immer noch nicht die Vielfalt erklären konnte – durch Zweckbestimmungskonkurrenz begründet. Diese Konkurrenz wird im Kohabitat oder in der ökologischen Nische ausagiert, wobei die Zweckmäßigkeit der Art durch Nischenanpassung verfeinert wird. Die Arten entwickelten sich in kooperativer Aggression im Kohabitat, um es einfach einmal so zu nennen. Aber wieso sind überhaupt so viele Nischen Voraussetzungen zu so vielen verschiedenen ökologischen Kohabitationsgruppen? Und woher dieser Druck? Woher kommen Proliferations- und Differenzierungsdruck? Wieso wohnt einem geschlossenen Weltsystem überhaupt ein derartiger Druck inne? Würde denn ein solches geschlossenes System nicht genug daran haben können, sich ein paar wenige Arten zu leisten, wenn nicht überhaupt nur eine Art? Ist eigentlich ein Planet denkbar, auf dem nur eine einzige Art vorkommt?
System Erde
Wäre die Erde ein geschlossenes System, wäre es doch nicht nur denkbar, sondern sogar unausweichlich, dass es nur eine einzige Art geben würde. Es würde diese Art diese Nische, die eine bestimmte Lebensweise begünstigte, besiedeln, wobei offen bleibt, wie sie sich gattungsmäßig konservieren würde. Weder die geschlechtliche Fortpflanzung noch das sich gegenseitige Fressen müssen als Standard planetarer Besiedelung gelten. Geschlossene Systeme entstehen, indem die Bedingungen, die auf einem Planeten herrschen, die Invasion andersartiger Körper blockiert. Ein Beispiel: Eine Landung auf dem großen gasförmigen Jupiter dürfte sowohl für Vehikel, die aus Erdmaterialien komponiert sind, wie auch für deren Besatzung, die ihrerseits terrestrischen Verkörperungsbedingungen unterliegen, ein unüberwindliches Problem darstellen. Umgekehrt wird man annehmen dürfen, dass die Erde nicht ohne Weiteres für Lebewesen, deren Körper unter vollkommen anderen Verkörperungsbedingungen entstanden sind, zu betreten ist. Höchstwahrscheinlich muss man unterscheiden zwischen Substanzen, die in das System eindringen können und solchen, denen dies aus Gründen der Geltung der Schwerkraft verwehrt bleibt. Während die irdischen Körper zweifelsohne als die Spezialität der Erde gelten können, die exklusiv hier und nirgendwo sonst zu finden sind, ist es doch so, dass Eigenschaften wie „der Raum“ oder „das Licht“ die Systemgrenzen überschreitende Größen sind. Auf der Erde sein, sich im Erdsystem zu befinden, bedeutet daher, sein Einverständnis zu bestimmten kleingeschriebenen Verkörperungsbedingungen im Seinsvertrag gegeben zu haben. Es bedeutet aber auch, an den die Systemgrenzen überschreitenden Größen Anteil zu haben, die die Erde selbst einem größeren Zusammenhang einverleiben. Was das Licht betrifft, so liegt auf der Hand, dass es zu großen Teilen die auf die Erde auftreffende kosmische Strahlung ist, die das Erdsystem „ernährt“. Die energetische Versorgung kommt also bereits zu einem guten Teil aus der außerirdischen Zone (Sonnenstrahlung, auch andere kosmische Strahlungen wie ultraviolettes Licht, Licht aus dem Rotspektrum). Die Erde befindet sich also in einem Wellenkontinuum, das sich mit dem Raum bzw. als Raum ausbreitet. Die Bedingungen, unter denen dieser Raum zu denken ist, sind daher durchgängig, kontinuierlich für den gesamten „Erdcontainer“ gültig.
Das akademische Ich will das innere Tier gleichzeitig an die Kandare nehmen und es bewundernd streicheln.
Giordano Bruno hat in einer im Jahr 1573 veröffentlichten Schrift mit dem streitbaren Titel Articuli adversus mathematicos den Mathematikern vorgeworfen, sie besäßen kein Maß für ihre Operationen und Prozeduren, weil sie auf die lächerliche Idee verfallen seien, dass sie es bekommen könnten, wenn sie nur das, was sie glaubten schon zu haben, so lange klein schnitten, bis sie zu einem „Minimum“ gelangten. Dieser „amputierte“ Teil, der ihnen zuletzt in diesem Vorgehen beschieden wird, tauge zu nichts und wieder zu nichts, weshalb die Mathematiker, wie Bruno meint, anstatt zu messen (mensurari), dreiste Lügen vortrügen (mentiuntur). Außerdem, so das forsche Pamphlet weiter, müsse klar sein, dass, was für den geometrischen Raum angenommen werde, auch für den physikalischen Raum gelte. Beide seien in Hinblick auf ihre Erkennbarkeit dasselbe. In Bezug auf beide stehe es an zu fragen, was denn das Prinzip der Raumorganisation sei, wie es zur Figuration käme und woher die Dynamik stamme, die die Gegenstände im Raum an ihrem Ort erzeugt und hält. Die Lehre vom Minimum sei daher wenigstens so anzulegen, dass sich eine, eine grenzenlose Vielfalt transversaler Ebenen erzeugende „Embryologie“ aller Formen und Figuren ergibt. Die Eigenschaften des Raumes müssen nämlich an jedem seiner Punkte als in dieser Weise potenziert, ausgestattet und überdeterminiert gedacht werden. Es gibt keinen „ausgedehnten Raum“ ohne Eigenschaften. Durch den Raum ziehen sich die unendlichen Fäden der Eigenschaften, Potenzen, Formen und Figuren. An jedem seiner Punkte ist der Raum ganz er selbst, indem er wie an einem unendlichen Schweif mit unendlichen Knicks und Knoten an die vielen Räume angebunden bleibt.
In der Tat versuchte die Embryologie bzw. Zellwissenschaft des neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts, in der „Selbstorganisation“ lebendiger Materie die Eigenschaften des Raumes unter die Lupe zu nehmen. Man starrte wie gebannt auf das Verhalten von Eiern, Keimblättern und Morulae, in denen ein unbegreiflicher selbsttätiger Mechanismus am Werke zu sein schien. Wie von Geisterhand wurde das Zell-Ballett dirigiert. Der französische Embryologe Dalq stellt seiner Programmschrift „L’oeuf et sa force organisateur“ ein Bild eines Welt-Eis voran, ein Kunstwerk eines Künstler vom Stamm der Dogon. Was Dalq so sehr daran aufgefallen war, sind die das Ei wie Meridiane bedeckenden Linien. Der primitive Körper des Eis wird von ihm als „Organ der Organe“ begriffen, als das Organ erzeugende Organ. Auf einer Emergenzlinie kommt also vor der Differenzierung dieses universale ent-differenzierte Wesen zu liegen, das Vieles werden kann. Der primitive Ei-Körper bequemt sich durch Information, Reiz, Interferenz und geeignetes Milieu auf die Individuationspassage, um ein Exemplar zu werden. Die transversale Ebene, die Emergenzebene, bildet ein Echo zu den Ähnlichen, die zu einer Art gehören. Arten gibt es beispielsweise im Falle von Dreieckigkeit, Viereckigkeit und n-Eckigkeit ebenso wie im Fall von Horntragenden, Paarhufern und „Brustträgerinnen“ (Mammiferae). Die Kraft der Differenz, die das Erdsystem bestimmt und zu dieser Vielheit von Arten geführt hat, ist als die erdbestimmende Kraft etwas, das ihr vorausgeht oder besser: durch sie hindurchgeht. Die Differenz kommt in die Welt, um es einmal so zu sagen, entstammt ihr aber nicht, wird nicht von ihr selbst hervorgebracht.
Weder die geschlechtliche Fortpflanzung noch das sich gegenseitige Fressen müssen als Standard planetarer Besiedelung gelten.
Aus diesem Grund lag es für die Ägypter nahe, zu denken, dass sie mit Schakalen, Katzen, Stieren und Falken etwas vor sich hätten, das die transzendenten Eigenschaften der Erde selbst beweist. In schroffstem Gegensatz zum Darwinismus kamen sie auf die Idee, diese Tiere als Vertreter eines transhumanen Raumes, als Andersweltvertreter, Extraterrestrische oder eben Götter anzuerkennen und zu verehren. Ihr Reflex war nicht nur der, die Tiere als minder herabzuwürdigen, indem sie zum Gebrauch durch den Menschen bestimmt werden. Die stattlichen und auch weniger stattlichen Vertreter des Tierreiches auf der Erde machten den Schluss unausweichlich, dass ihre relative Autonomie und „Nischenangepasstheit“ ein Wissen voraussetzt. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Wissen dem menschlichen überlegen sei. Allein die Koexistenz mit den Anderen schien die Einsicht zu erzwingen, dass eine Form der tieferen Schicksalsgenossenschaft vorliegt. Falls die menschliche Spezies auf der Erde annehmen wollte, dass sie, die Menschheit, die der Erde wesentlich zugehörige Spezies sei – wovon Menschen ausgehen müssen, falls sie sich nicht dem gnostischen Syndrom anheim fallen wollen –, dann stellt sich die Frage, wie wir denn nun das Vorhandensein der Anderen deuten sollen.
Legitimität der Anderen
Sind die Anderen denn genauso legitim hier wie wir selbst? Die Legitimität des Einen steht natürlich der der Anderen sie negierend entgegen. Wenn wir legitim hier sind, dann sind sie es nicht. Die Allgemeinheit dieser Frage sticht natürlich sofort ins Auge. Es handelt sich um die Frage des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie wird nicht nur in der Konfrontation mit Kugelfischen, Nachtschwalben, Faultieren und Gorillas gestellt, sondern auch im Angesicht von „anderen Kulturen“. Damit haben wir den wunden Punkt umrundet: Wie begrenzt muss unsere Welt sein, damit wir andere Menschen und andere Tiere und Wesen als Mitglieder von Kulturen erkennen können, die von der unseren getrennt sind und daher auch weniger im Recht? An diesem Punkt wird besonders deutlich, wie problematisch das auf das begriffliche Paar von Identität und Andersheit aufbauende logische Konstrukt von Individuum, Gattung und „Kulturen“ wirkt.
Wenn der Raum, würde man ihn endlich nicht mehr vorkopernikanisch deuten, diese Einfaltungen unbegrenzten dimensionalen Potenzials besitzt – wobei, wie Giordano Bruno nicht müde wird zu wiederholen, es nicht um eine Verunendlichung der einen Welt, sondern um ihre unendliche Vervielfältigung geht –, dann könnten die vielen Arten als Effekt dieses Potenzials in Anschlag gebracht werden. Tiere und andere nicht-menschliche Wesen könnten dann, sehr einfach gesagt, als Effekt einer über die Erde selbst hinausgehenden Unendlichkeit verstanden werden, als Ausdruck der Vervielfältigung ALS Unendlichkeit. Diese vielen Wesen oder Arten wären dann auf der Erde die Boten ihrer jeweiligen trans-terrestrischen Eigenschaften. Anders ausgedrückt: Die vielen Wesen repräsentieren sich als Beweis für die mannigfaltige Dimensionalität des kosmischen Raumes auf der Erde. Die vielen Wesen nehmen teil am Logos der Erde, der sich als Abstimmungsproblem eines poly- bzw. interdimensionalen Raumes zu erkennen gibt. Die vielen Arten werden aus je andern Dimensionen auf die Erde „hineingespiegelt“. Jede einzelne Art ist ein unendliches Vielheitssystem. Über die unendlich vielen unendlichen Schweife, die über die Linien und Stufen der Sonnensysteme und Galaxien hinausreichen, steigen die Wesen herab in diesen meeting point Erde, deren Charakteristik die Differenz ist.
Aristoteles hat damit angefangen, die Arten zu erklären, indem er so tat, als ließe er sich von seiner eigenen Erkenntnis ihrer Sinnigkeit überraschen.
Aus diesem Grund hat es ein Fundament in der Sache, wenn man sagt, dass Tiere und andere nicht-menschliche Wesen „Götter“ seien. Sie als „Götter“ zu verehren, ist zumindest eine Möglichkeit, das Verstehen der Komplexität der mit dem Raum mitgegebenen Seinsweisen auszudrücken. In der Verehrung ist die Ungewissheit darüber, mit welcher Form der Intelligenz man denn nun konfrontiert ist, optimistisch gewendet. In dieser Allianz mit dem Tier in Gestalt seiner Verehrung wird die Raumpotenz selbst befreit, beginnt der Carneval der Tiere sich zum intergalaktischen Fasching auszuweiten, der die darwinistischen Regeln insofern aushebelt, als Darwins Programm nur in einer historischen Welt gilt. Wenn nämlich die Ich-Funktion durch die Komplexität des Raumes ebenso ausgesetzt wird wie die Alleinherrschaft des Punktes, dann sind die vielen Ichs in Zeit und Raum so verteilt zu denken, dass sich die stringente evolutionäre Linie nicht mehr ergibt, auf der sich die fitten Individuen in ihre Überlebenserfolge hineingesteigert haben. Was sich gerade noch diagrammatisch sehen lässt, sind faserige Tubulenzen, deren interdimensionale Wirkungen aufeinander vielleicht gerade noch als kybernetisch zu bezeichnen sind. Diejenige Poesie, die beispielsweise Tier- und Pflanzeninkarnationen in die Ich-Gruppe einführt, bindet also die Arten in Sträuße, was alles dem erklärten Ziel, nämlich der Vervielfältigung von Empfindung und Erkenntnis, dient. Der menschliche Charakter, als eine Befindlichkeit, die psychologischen und kulturellen Rahmenbedingungen unterworfen wird, muss sich selbst unergründlich bleiben, so lange nicht die Unermesslichkeit jener Schicksalslinien in Betracht gezogen wird, die das Ich an die Vielen bindet. Diese Art des Platonismus, die Erkenntnis als Erinnerung an die Kometenschweife multiplizierter Ichs, die sich durch die unendlichen Welten ziehen, wäre dann wohl das, wovon „The Fifth Dimension“ singt. Genauer, es ist bereits die fünfte Dimension, die das Ende des Darwinismus besiegelt.