Daniel Arasse gehört zu den Schwergewichten der französischen Kunstkritik. Dabei kommen seine Interpretationen eher leichtfüßig daher. Das heißt, es ist für den Leser ein Leichtes, Arasse auf seinen Gedankengängen zu begleiten. So ist auch sein Essay Bildnisse des Teufels ein Text, der zum eigenen Mit- und Nachdenken anregen möchte. Wer aber will sich noch mit dem Teufel auseinandersetzen? Man führt sich ihn heute eher im „Angedenken“ vors geistige Auge, sieht also in ihm etwas längst Vergangenes. Doch nicht nur im satirischen Bild des „armen Teufels“, sondern auch durch die tragische Geschichte des 20. Jahrhunderts – Weltkriege, Shoa, atomarer Overkill – haben sich vage Vorstellungen des Teuflischen und des Bösen festgesetzt. Wie manifestiert sich nun das Teuflische bildlich? Daniel Arasse zitiert zu Anfang seines Textes den Staatstheoretiker Jean Bodin. In seiner 1580 erschienenen „Dämonomanie“ geht er von 7.405.926 Teufeln aus (wober er sich auf den Medicus Johann Weyer beruft). Dieses Zitat ruft einem ins Gedächtnis, dass der Teufel viele Namen hat – und eben auch viele verschiedene teuflische Eigenschaften: Antichrist, Asmodis, Beelzebub, Diabolus, Luzifer, Satan, Herr der Fliegen.
Kralle, Hörner, Bocksfuß
Welch Eigenschaften und Namen der Teufel auch haben mag, Daniel Arasse hält einen grundlegenden Wechsel in der Perspektive bildlicher Darstellung fest. Im Mittelalter ist der Teufel der ganz Andere, wenn man will: das Un-Menschliche an sich. Die Maler und Bildhauer bedienten sich der fantastischen Mischwesen aus dem Orient, und vor allem schöpfte man aus der antiken Mythologie. Der Teufel mit Kralle, Hörnern, Schweif, Bocksfüßen oder Hufen gleicht dem Gott Pan. Auch die Satyrn sind ihm ähnlich. Und dass diese im Gefolge des Dionysos auftreten, also für Ekstase, Ausschweifung und Rauschzustände empfänglich sind, macht das Teuflische an ihnen noch einsichtiger. Den wenigen Gebildeten im Mittelalter mag diese Verwandtschaft bekannt gewesen sein, für den einfachen Mann wie für den Adeligen barg das Bildnis des Teufels als das ganz Andere ein Problem. So wie die Herrlichkeit der Engel zwar darstellbar ist, aber ihr himmlisches Wesen stets das ganz Andere zum Menschen bleiben muss, so ist auch der Teufel das unfassbar Un-Menschliche.
Wie also ihn erkennen, falls er einem begegnet? Die Crux für den Betrachter, so Arasse, liegt darin, „dass der Teufel und seine Dämonen als solche nicht erkennbare Verführer sind und dass es daher wichtig ist, immer an der Kardinaltugend der prudentia, der klugen Vorsicht festzuhalten – von deren drei Teilen einer das Gedächtnis ist –, um den Verführungen des Teufels zu widerstehen.“ Diese umsichtige Klugheit ist weniger Weisheit denn Einsicht. Was aber, wenn diese Einsicht leer ist, da das Bildnis des Teufels zwar als das ganz Andere angesehen, aber seine reale Gestalt nicht erkannt werden kann? Dann bleibt auch das Gedächtnis „leer“, denn es kann sich das gänzlich Un-Menschliche des Teufels als Existenz nicht in Erinnerung rufen. Dem mittelalterlichen Kenner des Neuen Testaments mag bei dieser Einsicht ein Schauer über den Rücken gelaufen sein. Denn bei der „Versuchung Jesu“ widersteht Jesus den Verführungen des Teufels, weil er ihn als solchen erkennt. Im Evangelium nach Lukas verrät Judas Iskariot Jesus an die Hohepriester, weil der Satan von ihm Besitz ergreift, Judas aber den Teufel als solchen nicht erkennt. Daniel Arasse geht auf diese Problematik nicht ein, besser gesagt, er verschiebt eine mögliche Antwort in eine andere Epoche.
Seine Freiheit und Würde bezahlt der Mensch damit, dass er im schlimmsten Fall dem Teufel gleicht.
Die Vertreter des Humanismus erkennen die Gefahr, die im mittelalterlichen Teufelsbild steckt. So kommt es zu einer Art Verinnerlichung, Vermenschlichung des Teuflischen, Dämonischen und Bösen durch quasi existenzialphilosophische Argumentation. Daniel Arasse notiert: „Bedingung und Preis der dignitas hominis, der Menschenwürde, liegt darin, dass auch das Teuflische dem Menschen selbst innewohnt; als einzige Kreatur ist er frei erschaffen worden, daher kann der Mensch sich bis zu Gott erheben, aber er kann bekanntlich auch bis zum Tier, bis ins Teuflische hinabsteigen.“ Seine Freiheit und Würde bezahlt der Mensch damit, dass er im schlimmsten Fall dem Teufel gleicht. Ab jetzt steht es ihm frei ins Gefolge des Dionysos einzutreten, um menschlicher Satyr zu werden und offen zu sein für Ekstase, Ausschweifung und Rausch. Hat der Darwinismus spektakulär das Menschliche mit dem Tierischen verbunden, so hat der Humanismus still und heimlich das Menschliche ans Dämonische gebunden. Und die bildenden Künstler der Renaissance nehmen diese Verknüpfung dankbar auf, wie Arasse überzeugend ausführt. Dabei findet sich die ältere Darstellung des Teufels als Pan und Satyr, halb Mensch, halb Tier, nun bei den Malern in den Niederungen des Groteskendekors wieder, wird also Teil einer Groteske, in der jeder das, was er sieht, nicht mehr ernst nimmt. Der Schauder entlädt sich im Lachen. Doch durch die postulierte Menschenwürde im Humanismus kommt es zu einer Vervielfachung des ernst gemeinten Teufelsbildnisses. Ob bei Signorelli, Sodoma oder Leonardo da Vinci, der Teufel ähnelt mehr und mehr dem Bild des Menschen. Für das Portrait des Teufels steht nun der Mensch Modell. (Der Titel des französischen Originals lautet übrigens Le portrait du Diable.)
Menschwerdung des Teufels
Man könnte nun einwenden, dass auch bei der Darstellung Jesu und bei den Madonnen-Bildnissen reale Menschen Modell standen. Das ist richtig. Nur Jesus ist der Mensch gewordene Sohn Gottes, und Maria ist der auserwählte Mensch, um den göttlichen Sohn zu gebären. Von der Menschwerdung des Teufels ist in biblischen Texten nichts zu lesen. Durch die im Humanismus postulierte Menschenwürde und die Maler der Renaissance geht das Portrait des Teufels in das Antlitz des Menschen über. Die von Daniel Arasse postulierte „prudentia“, also die „kluge Vorsicht“, hat es jetzt bei der Erkennung des Teufels nicht leichter als im Mittelalter. Im Gegenteil! Die Bildnisse des Teufels sind theoretisch unendlich viele, weil mit der Menschenwürde verbunden, könnte sich das Dämonische hinter jedem Menschenantlitz verbergen. Das ergibt ein schier unendliches Maskenspiel, bei dem das Gesicht des Menschen eine zu enthüllende Maske des Teuflischen abgibt. Dabei kann die „teuflische Hässlichkeit“ zudem als „physisches Anzeichen moralischer Monstrosität“ beim Menschen interpretiert werden. Und die „Menschenwürde“ kippt um in die „Entstellung der menschlichen Gestalt“, wie Arasse es formuliert.